Die Wahlen in Pakistan sind nebensächlich

Fünf Jahre lang ging es in Gojal vom Hafen in Attabad mit dem Boot durchs Karakorum Gebirge. Bild: Gilbert Kolonko

Während sich die Medien mit den schon entschiedenen Wahlen in Pakistan beschäftigen, gehen die Ereignisse, die einen Blick auf die Zukunft des Landes zulassen, unbemerkt vor sich

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Die Wahlen in Pakistan sind wichtig, aber die Wasserkrise anzugehen wichtiger", sagte Richter Sardar Tariq schon im Juni. Zumindest er scheint zu wissen, dass die Armee als Wahlsieger feststeht, da es keine der miteinander verfeindeten politischen Parteien schaffen wird, eine Mehrheit zu erringen, mit der sie nur halbwegs anständig regieren kann.

Dazu liegen gegen Imran Khan und den anderen möglichen Premierminister, Shabaz Sharif, Strafanzeigen vor. So kann das Militär weiter im Hintergrund die Fäden ziehen, weil sie den zukünftigen politischen Landeschef jederzeit hinter Gitter bringen können, ohne dass es nach einem Putsch aussieht.

Anderseits zeigt auch der heutige Bombenanschlag in der Stadt Quetta, mit mehr als 30 Toten, dass die Armee es nicht einmal mit 350.000 Soldaten schafft, für Sicherheit am Wahltag zu sorgen. Wie soll das auch gehen, wenn das Militär die gleichen extremistischen Gruppen für ihre Zwecke in Afghanistan und Kaschmir benutzt.

Bedrohliche Naturereignisse: Überschwemmungen ...

Während dessen kam es im Norden des Landes innerhalb weniger Tagen zu zwei Naturereignissen, die veranschaulichen, was neben der Wasserkrise und vielen anderen Problemen noch auf Pakistan zukommt. Am 17. Juli brach durch die verstärkte Schneeschmelze ein Stück des Badswat Gletschers und versperrte dem Kurumbar River den Weg.

Der staute sich, und das überlaufende Wasser bildete einen See, der dutzende Häuser der Dörfer Badswat and Bilhanz überschwemmte. Der Ort liegt glücklicherweise in keiner dichtbesiedelten Gegend, sondern 65 km nördlich der Distrikthaupstadt Ghizer. Augenblicklich besteht keine Gefahr für die Menschen unterhalb des Sees - jedenfalls solange der naturgemachte Damm nicht bricht.

Die Einheit von Ingenieuren der pakistanischen Armee, die sich ein Bild von der Lage Vorort gemacht hat, ließ am 19. Juli durch ihren Sprecher verlauten, dass der See in ein paar Tagen von alleine abfließt. Zwei Tage später krachten erneut Stücke des Gletschers weg - der See breitet sich weiter aus.

... und Erdrutsche

So ähnlich spielte es sich im Jahr 2010 in Gojal ab, als ein Erdrutsch das Dorf Attabad und 20 seiner Bewohner verschüttete und dem Hunza-Fluss den Weg versperrte. Die pakistanischen Verantwortlichen ließen verlauten, den naturgemachten Damm innerhalb einer Woche ablaufen zu lassen - ein halbes Jahr später hatte sich der Hunza-Fluss zu einem 20 Kilometer langen und bis zu 100 Meter tiefen Fluss gestaut.

Monatelang waren 20.000 Menschen vom Rest Pakistans abgeschlossen, dann ging es mehr als fünf Jahre mit dem Boot durch das Karakorum-Gebirge. Mehrmals rettet nur der "Wettergott" die Menschen unterhalb des Attabad-Staudammes vor einem Dammbruch, weil kühlere Temperaturen dafür sorgten, das mehr Schmelzwasser abfließen konnte als zufließen.

Nördlich des Attabads See, um den herum die Chinesen Tunnel für den Autoverkehr gebaut haben, liegt die Abzweigung ins Shimshal Tal - berühmt in der Bergsteiger-Szene wegen seiner zähen und ausdauernden Träger und Bergführer. Am 23. Juli versperrte ein Erdrutsch den 80 Kilometer langen Canyon der bis ins Tal führt, dazu suchen sich Schmelzwasserströme unkontrolliert ihre eigenen Wege.

Beide Erdrutsche sind kein besonderes Phänomen im Norden Pakistans mit seinen mehr als 5000 Gletschern. Ebenfalls ist normal, dass es über den Stand des gestauten Sees in Ghizer keine aktualisierten Informationen gibt.

Ein Blick von der Kante des Ghulkin Gletschers auf das gleichnamige Dorf. Foto: Gilbert Kolonko

Unkontrollierter Siedlungsbau hat in ganz Gilgit-Baltistan für Hunderte von tickenden Zeitbomben gesorgt. Von der Provinzhauptstadt Gilgit bis hinauf zum 200 Kilometer entfernten Grenzort Sost, wird jede freie Fläche des langgestreckten, steinigen Nadelöhrs bebaut.

Selbst ältere Siedlungen sind gefährdet. Auch das Dorf Ghulkin, das gegenüber der Einfahrt nach Shimshal liegt. Im Innern des Ghulkin Gletschers hat sich ein See gebildet, der jederzeit ausbrechen und die 500 Häuser des Dorfes wegspülen kann.

Nachrichten über Erdrutsche und weggespülte Häuser gibt es regelmäßig, doch in der Regel nur auf kleinen Webseiten mit regionaler Leserschaft. Einheimischen Wissenschaftlern, die mehr über das Verhalten der über 5.000 Gletscher des Landes erforschen wollen, wird das Geld gestrichen.

Das Unwesen der übermächtigen Geheimdienste

Den ausländischen Forschern das Leben von den Nachrichtendiensten schwer gemacht: Allein in Gilgit-Baltistan treiben mehr als zwanzig pakistanische Geheimdienste ihr Unwesen. Ihre Ausbeute der letzten Woche: Ein Ausländer, der angeblich missioniert haben soll, ist rausgeworfen worden, dazu ein ausländischer Reiseveranstalter, der gegen ein Visagesetztverstoßen haben soll - zurück in Islamabad erfuhr der Veranstalter, dass es dieses Gesetz gar nicht gibt.

Dass der zu Unrecht beschuldigte Herr zu den Menschen gehört, die mit eigenem und Spendengeldern eine Brücke finanziert hat, nachdem die Unwetter 2010 viele wichtige Brücken und Straßen in Gilgit-Baltistan zerstört hatten, zeigt auch, warum die Freunde Pakistans außerhalb des Landes immer weniger werden.

Dazu haben die Geheimdienste auch diesen Monat wieder dutzende Bürger Gilgit-Baltistans auf die Terrorliste gesetzt, auf der auch Menschen aus Hunza/Gojal stehen - eine Gegend, in der die Analphabeten Rate unter der neuen Generation nahezu bei Null liegt, genauso wie die Kriminalitätsrate; einer Gegend, in der das Denken und Handeln so frei von Vorurteilen ist, dass die Menschen sogar in Trikots der indischen Kricket-Nationalmannschaft herumlaufen (vgl. Die Lösung des Kaschmirkonflikts liegt in Gilgit-Baltistan).