Die Welt vor der Rezession: Diese alten Fehler werden die Lage verschärfen

Bild: Markus Spiske/Unsplash

Angebotsschock, steigende Energiepreise und die Zinspolitik ergeben eine unheilvolle Melange. Warum die aktuellen Entwicklungen und Maßnahmen erhebliche Gefahren bergen. Und welche einfachen Lösungen es gibt. Eine Monatskolumne.

Vor 50 Jahren gab es eine ganz besondere Situation in der Weltwirtschaft: Es gab einen großen Angebotsschock, die Ölpreise stiegen, Öl wurde aber weiter in nahezu unveränderter Menge konsumiert, die Ölproduzenten machten enorme Gewinne, die gemessenen Inflationsraten in den westlichen Ländern gingen nach oben und die Notenbanken erhöhten die Zinsen, um die Inflation zu bekämpfen.

Das Ergebnis war eine tiefe Rezession, enorme globale Einkommensverluste und die erste Welle an Massenarbeitslosigkeit, deren Folgen bis heute nicht wirklich überwunden sind.

Kommt Ihnen bekannt vor? In der Tat, die Ähnlichkeiten mit der heutigen Situation sind verblüffend und eigentlich offensichtlich. Gut, werden Sie vermutlich sagen, dann kann man ja immerhin davon ausgehen, dass die Verantwortlichen und die Fachleute gelernt haben, wie man mit einer solchen Konstellation umgehen muss.

Heiner Flassbeck. Bild: United States Mission Geneva / CC-BY-2.0

Hier liegen Sie aber völlig falsch. Die Wirtschaftspolitik der westlichen Welt ist im Begriff, exakt die gleichen Fehler wie damals zu machen. Die Politiker von heute wissen so wenig wie damals und das Fach, das die Politik beraten soll, ist vollkommen lernresistent.

Warum ist das, was passiert, so gefährlich? Ist es nicht so, dass das Einkommen der Welt durch den Angebotsschock nur umverteilt wird? Die Anbieter von Energie gewinnen, die Konsumenten verlieren, für die Welt insgesamt ändert sich zunächst nicht viel. Nimmt man noch hinzu, dass Energieverteuerung und damit Energiesparen wegen des Klimas ohnehin angesagt sind, muss man sich eigentlich nicht besonders aufregen.

Umverteilung im globalen Maßstab

Das Problem heute wie damals ist, dass diejenigen, die von den hohen Preisen profitieren, ohnehin schon sehr reich sind, schon jetzt kaum wissen, was sie mit ihrem Reichtum anfangen sollen. Das Emirat Katar ist das klassische Beispiel.

Folglich werden die, deren Einkommen stark steigen, weit weniger von diesem zusätzlichen Einkommen wieder ausgeben, als es diejenigen getan hätten, deren Einkommen jetzt sinken. Was bedeutet, dass das Sparen in der Welt deutlich zunimmt bzw. die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen deutlich abnimmt.

Muss das schlecht sein? Bedeutet mehr Sparen nicht automatisch mehr Investieren? Das ist leider nicht so einfach. Der einzige Mechanismus, den sich die herrschende Lehre der Ökonomen ausgedacht hat, der aus mehr Sparen mehr Investieren macht, hat mit den Zinsen zu tun.

Wenn mehr gespart wird, so die Hoffnung, werden die Zinsen sinken und die Unternehmer werden mehr Kredite aufnehmen und folglich die Nachfragelücke schließen, die durch das Sparen gerissen wurde.

Dumm nur, dass die meisten Notenbanken der Welt, vorneweg die US-amerikanische und die EZB, derzeit die Zinsen anheben, weil sie den gegenwärtigen Preisschub als allgemeine Inflation einstufen und sich von der öffentlichen Meinung gedrängt fühlen, diese mit dem Mittel der Zinsanhebung zu bekämpfen – ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen.

Folglich ist der einzige Mechanismus, auf den man als neoliberaler Marktwirtschaftler hätte bauen können, damit aus vermehrtem Sparen keine Rezession folgt, nicht nur ausgeschaltet, sondern sogar in sein Gegenteil verkehrt. Die Notenbanken der Welt verschärfen die Gefahr einer großen Rezession gewaltig.

Schwere Rezession wahrscheinlich

Doch die Prognosen der Fachleute, werden Sie einwenden, sind doch gar nicht so schlecht. Gerade haben die wirtschaftswissenschaftlichen Institute für das nächste Jahr einen ganz leichten Rückgang des BIP für Deutschland vorhergesagt, aber keinen tiefen Einbruch, wenn sich die Energiesituation nicht noch einmal deutlich verschlechtert. Negative Folgen für die Arbeitslosigkeit sehen sie überhaupt nicht.

Stimmt, aber man muss sich genau anschauen, wie die schlauen Fachleute das "hinbekommen" haben. Sie mussten ja "Nachfrage finden", mit der sie begründen konnten, dass der Einbruch nicht so schlimm wird. "Gefunden" haben sie diese Nachfrage, man höre und staune, bei denen, die von dem Angebotsschock am meisten gebeutelt sind, nämlich bei den Verbrauchern in Deutschland.

Die "Prognose" der Institute sagt voraus, dass die privaten Haushalte, deren Einkommen in realer Rechnung deutlich fallen, ihre Ersparnisse abbauen. Die private Sparquote sinkt von 15 Prozent im Jahr 2021 auf unter neun Prozent im nächsten Jahr.

Das muss man sich vorstellen: Trotz extremer Verunsicherung wegen fallender Realeinkommen, trotz steigender Zinsen (die für die Institute-Ökonomen eindeutig zu vermehrtem Sparen führen müssten), trotz jüngst veröffentlichter Indikatoren, die zeigen, dass die Konsumentenstimmung einen historischen Tiefstand erreicht hat, wird in der Gemeinschaftsdiagnose der Institute kräftig konsumiert.

Nur auf diese Weise kann man ein Szenario aufstellen, bei dem der Staat sogar sein Defizit reduzieren kann, ohne dass es zu einer starken Rezession kommt. Die Gaspreisdeckelung war in der Prognose der Institute noch nicht enthalten.

Noch toller: Man "spendiert" in der großen Nachfragenot den Arbeitnehmern hohe Nominallohnzuwächse (5,7 Prozent im Jahr 2023 und 5,9 Prozent im Jahr 2024), weil man sonst die Konsumsause auf der Verwendungsseite noch stärker über eine sinkende Sparquote hätte gegenfinanzieren müssen. Solche Nominallohnzuwächse finden die Institute unproblematisch. Sie schreiben:

Trotz schwächelnder Arbeitsproduktivität im Zuge der Rezession dürften die realen Lohnstückkosten auch im laufenden Jahr stark rückläufig sein, da die Lohnanstiege den beschäftigungsneutralen Verteilungsspielraum nicht ausschöpfen. Dies dürfte im Prognosezeitraum die Arbeitsnachfrage und damit die Beschäftigungsentwicklung stützen.

Gemeinschaftsdiagnose, Herbst 2022, S. 52

Das ist Unfug. Nominale Lohnsteigerungen, die dem gegenwärtigen Preisschub plus der Produktivitätsentwicklung entsprächen, sind keineswegs beschäftigungsneutral. Wenn sie dahinter zurückbleiben, wird keine Beschäftigung gestützt.

Die Preissteigerungen, auf die der gegenwärtige Schub im Preisniveau hauptsächlich zurückzuführen ist, kommen überwiegend gerade nicht den deutschen Arbeitgebern zugute. Die Verschlechterung der "terms of trade", der Handelsbedingungen, die in hohen Importpreisen zum Ausdruck kommt, muss man bei der Berechnung des "beschäftigungsneutralen Zuwachses" natürlich wie eine Verschlechterung der Produktivität berücksichtigen.

Da fragt man sich, warum gerade diese Institute von den deutschen Arbeitgebern so geliebt werden, obwohl sie diese geradewegs ins Messer laufen lassen.

Man bastelt sich eben die Welt, so wie sie einem gefällt. Es wird so aber nicht kommen und man muss jede Regierung bedauern, die sich auf solche Ratschläge stützen muss. Es spricht alles dafür, dass der Konsum spätestens im nächsten Jahr massiv einbricht, weil die Sparquote vermutlich sogar wieder ansteigt.

Die privaten Investitionen werden diesem Einbruch folgen, weil es bei steigenden Zinsen und sinkender Nachfrage nichts gibt, was die Unternehmen dazu bringen könnte, das gegenwärtige Niveau ihrer Investitionsausgaben auch nur beizubehalten.

Da die Geldpolitik von ihrem kontraproduktiven Pfad erst allmählich herunterkommen wird, bleibt in ganz Europa nur die erneute massive Ausweitung der staatlichen Schulden, um das Schlimmste zu verhindern.

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