Die Würde des Amts ist antastbar
Der Bundespräsident und die Schwächen der repräsentativen Demokratie
Deutsche Bundespräsidenten sind schizophrene Figuren der Politik. Geboren aus dem üblichen Parteienhader, zumeist selbst durch Ellenbogen-Karrieren in den demokratischen Olymp gelangt, verwandeln sie sich nach der Wahl von einer verfassungslogischen Sekunde zur nächsten in einen geläuterten unparteiischen Weisheitsträger. Die Institution des Bundespräsidenten steht für die "corporate identity" der bundesrepublikanischen Parteienhader-Gesellschaft, die sich zu Fest- und Feiertagen auch mal ein wenig einheitsstiftende Würde leisten will, die ansonsten ein Desiderat bleibt.
Der Bundespräsident soll mit seiner politisch transzendenten Stellung den Demokraten einen Teil des Glaubens zurückgeben, den wir in der alltäglichen Demontage politischer Seriosität und im ständigen Reformstau steckend längst verloren haben. Richard von Weizsäcker war die Idealerscheinung dieses feudalen Politikertypus, der unbequeme Sätze sprach, denen wir andächtig lauschten, weil sie unser Rückgrat stärkten oder wohlig an uns herunterliefen, ohne dass es uns oder ihn je etwas gekostet hätte.
Höchste Würde zum Preis politischer Abstinenz
Bundespräsidenten sind verfassungsrechtlich gesehen also moralische Instanzen, ohne - von Ausnahmekonstellationen abgesehen - echte demokratische Verantwortung zu tragen. Die bewusste Schwächung des vormaligen "Ersatzkaisers" der Weimarer Republik manifestiert sich in der relativen Kompetenzarmut eines Amts, das der jeweilige Amtsinhaber durch mehr oder weniger gelungene "Good will"-Kampagnen kompensieren mag. Meinte noch Konrad Adenauer, wenn er das Amt innehätte, würde er es politisch zu nutzen verstehen, so hat doch keiner der Träger des höchsten deutschen Amtes je Geschichte geschrieben, die sonderlich erinnerungswürdig wäre.
Brauchen wir das Amt überhaupt noch? Brauchen wir dieses inkarnierte Einheitsprinzip in einer Dissensgesellschaft, die immer öfter den Streit um seiner selbst willen sucht, weil alles andere konturlosen Parteifiguren und ihren "Wir machen fast alle glücklich"-Programmen kein wählbares Profil mehr vermittelt?
Immer dann, wenn Bundespräsidenten kurzfristig ihren wolkigen Sockel würdeloser Unverbindlichkeit verließen, wurden sie von Parteipolitikern ungnädig abgewatscht, sie sollten sich aus der Politik und ihren giftig Blasen werfenden Sümpfen heraushalten. Als Theodor Heuss an Kabinettssitzungen teilnehmen wollte, um realen Einfluss auf die Geschicke der Bundesrepublik zu nehmen, erteilte ihm Konrad Adenauer eine klare Absage. Rau wurde wütend von den christlichen Unionisten als Nichtpatriot diskreditiert, als er deren Nationalstolzbegriff in Abrede stellte, weil man nur stolz auf seine eigenen Leistungen sein könne. Höchste Würde zum Preis politischer Abstinenz - das ist das nicht allzu harte Los der Präsidenten.
Bedingt unterhaltungstaugliche Kapriolen bei der Nominierung
Nun also suchte man einen Neuen und das von zahlreichen Macht- und Prestigeerwägungen motivierte Spiel lief auf Hochtouren. Dabei ging es selbstverständlich nicht um die Frage nach einer geeigneten Figur jenseits der Parteigräben, nach einer Frau oder einem Mann, die Statur haben, ohne sich das von einer Partei bescheinigen lassen zu müssen, was doch ohnehin ein Widerspruch in sich ist. Die Kür des Bundespräsidenten ist nichts anderes als die Frage der Profilierung - nicht die des Präsidenten -, sondern die der Parteiherrscher.
Sollte eine Frau Bundespräsidentin werden, könnte das Frau Merkel ihre Kanzlerkandidatur kosten. Also optiert sie scheinbar für Wolfgang Schäuble, den sie zwar letztlich nicht will, um dann die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan aus der Tasche zu ziehen, die, gottlob, nicht hoch im Kurs steht, um schließlich beim fröhlichen Spiel über die Bande beim Chef des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler, zu landen. Stoiber macht mit, obwohl ihm Schäuble wohl lieber gewesen wäre, um nur ja zu vermeiden, dass später ihm das machtlose Amt auf's Auge gedrückt würde.
So oder ähnlich laufen die taktischen Mätzchen ab, etwa so würdig für das Amt wie ein Würfelspiel oder Pferderennen. Nach diesen bedingt unterhaltungstauglichen Kapriolen erkennt Frau Merkel im Kandidatenvorschlag nunmehr - auch das ein Mirakel unserer diffusen Demokratie - ein klares Signal für "eine bürgerliche Alternative gegen Rot-Grün". Köhler wurde seinerzeit von Gerhard Schröder für die IWF-Tätigkeit vorgeschlagen und genießt offensichtlich das Vertrauen des Kanzlers. Frau Merkels Signal ist also offensichtlich keines. Es ist eher ein Rauschen, das von der FDP noch wichtigtuerisch verstärkt wurde.
Die FDP kompensiert die Wahlschlappe in Hamburg mit ihren Pfündchen in der Bundesversammlung, wenn es schon zuletzt nicht einmal für drei Prozent reichte. Für den immer glückloseren Wolfgang Schäuble wolle man nicht auf einen eigenen Kandidaten verzichten. Den hatte man zwar nicht wirklich, aber Parteivize Andreas Pinkwart nannte - der Bedeutung des Amtes Rechnung tragend - Wolfgang Gerhardt, um dem Kandidatenkarussell noch ein bisschen taktisch liberalen Schwung zu geben.
Das klare "Signal" von Frau Merkel konterte der Kanzler flugs mit dem Vorschlag, Frau Gesine Schwan, die Präsidentin der Europa-Universität in Frankfurt/Oder, zur Bundespräsidentin zu wählen - wohl nicht mehr als ein müder Reflex, da diese Kandidatin in der von der Schwarz-Gelb majorisierten Bundesversammlung geringe Aussichten auf Erfolg hat.
Welche Signale wir Deutschen benötigen
Demokratien haben Repräsentationsprobleme, von denen Monarchien kaum bedrückt werden. So eine prästabilierte Harmoniefigur wie Elisabeth II. ist für repräsentative Zwecke geboren worden, so wenig sie leider dafür Sorge getragen hat, dass die britische Monarchie einen würdigen Nachfolger findet. Wann aber ist ein demokratischer Präsident repräsentationstauglich, wenn wir schon unseren alten Kaiser Wilhelm nicht wieder haben können? Wenn er singt wie Walter Scheel oder sich Volkes Sympathien erwandert wie das Ex-NSDAP-Mitglied Karl Carstens? War Heinrich Lübke, ein Mann mit gleichfalls bräunlicher Vergangenheit und hoher rhetorischer Originalität ("Liebe Neger") geeignet? Selbst wenn die "lieben Neger" der fama angehören sollten, blieben da noch genug Fettnäpfchen, um Lübkes gesammelte Satiren auf einer leider vergriffenen "Pardon"-Platte zum Besten zu geben.
Roman Herzog bleibt vornehmlich mit seinem Diktum in ewiger Erinnerung, dass ein "Ruck durch Deutschland" gehen müsse (Ein Ruck soll durch Deutschland gehen). Nicht einmal geruckelt hat es. Gibt es überhaupt eine echte Eignung für das Amt jenseits so getragener wie folgenloser Rhetorik? Der Anschauungsunterricht der letzten Tage macht klar: Eignung für das Amt der Ämter ist kaum definierbar. "Präsidiabel" ist der, der aus den eigennützigen Formelkompromissen der Präsidentenmacher erfolgreich hervorgeht, die sich nach vollzogenem Akt ein wenig im Sonnenglanz des höchsten Amts wärmen dürfen.
Gesellschaften sehen sich nach solchen Autoritäten, Vater- und Mutterfiguren, die ihnen Einheit, Geborgenheit, Sicherheit und Harmonie für eine kurze Zeit des Scheins spendieren. Wollte man mehr, müsste man das Amt des Bundespräsidenten mit einer breiten demokratischen Legitimation ausstatten und es nicht der Entscheidung der parteipolitisch determinierten Bundesversammlung überlassen. Die Demokraten streiten darüber, ob das ein echter Zugewinn wäre, wenn das im Windkanal der Geschichte ausgelotete Machtsystem der Demokratie so neu konstruiert würde und vielleicht noch mehr Kompetenzwirrwarr auslösen könnte.
Gerade in Zeiten einer schlingernden bis hilflosen Politik, die kaum eines der wirklich dräuenden Probleme zu lösen weiß, wäre ein anders gewählter und kompetenziell aufgerüsteter Bundespräsident vielleicht aber doch ein dynamisches Element für die deutsche Seenotrettungsgesellschaft (Volle Panik auf der Titanic). Immerhin mag für den aussichtsreichen Kandidaten Horst Köhler sprechen, dass er ein Profi in Finanzangelegenheiten ist - und davon gibt es, den maroden Staatsfinanzen nach zu urteilen, wohl nicht allzu viele. Köhler fährt also jetzt hoch auf dem gelb-schwarzen Wagen, aber deshalb muss er seinen Königsmachern längst nicht treu bleiben.
Frau Merkel charakterisiert ihre hochmögende "Deutschland sucht den Superstar"-Entscheidung selbstredend so, dass man einen Kandidaten gefunden habe, der "das verkörpert, was die Menschen in Deutschland jetzt brauchen". Die Menschen in Deutschland brauchen Arbeitsplätze, geregelte Einkünfte und Renten. "Signale" allein, ob nun "bürgerliche" oder rot-grüne, wenn das denn noch ein greifbarer Unterschied sein sollte, reichen längst nicht mehr hin. Zum wenigsten aber Signale, die aus nicht gestimmten Instrumenten von eitlen Machtsymphonikern tönen und Kanzler Schröders Abscheu vor Kakophonien schon fast wieder nachvollziehbar machen.
Und was sagt Horst Köhler selbst dazu? Der Präsident in spe will sich für einen breiteren Reformkurs einsetzen. Das sind freilich Töne, die wir in den letzten verschenken Jahren schon zu oft gehört haben, als dass wir darauf noch in einen überzeugten Refrain einstimmen könnten.