Die Zukunft des Handys

Mehr als Telefonieren: Bald geht das Handy nicht nur ins Internet sondern wird außerdem Walkman, eine Fernbedienung für die Wohnung und kryptographisch geschützter Kreditkartenersatz.

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Beinahe täglich werden für das Handy neue Funktionen erfunden. Das Mobile hat gute Chancen in Zukunft zum wichtigsten Begleiter zu werden. Über die Stromtechnologie wird es mit der eigenen Wohnung verbunden sein, Solarzellen und energiearme Displays steigern seine Leistungsfähigkeit und die Musikindustrie hat es eh bereits als neuen Walkman auserkoren. Jetzt hat Siemens auch noch den ersten Prototyp für ein Krypto-Handy vorgestellt.

Die große Zukunft, die mein Handy vor sich hat, wurde mir letzte Woche wieder schlagartig klar. Ich hatte für etwa 60 Mark getankt und wollte bezahlen, als ich bemerkte, dass ich weder Portmonee noch Kreditkarte bei mir hatte. Peinlich berührt, bot ich dem Kassierer der Tankstelle meinen Personalausweis als Pfand an, bis ich mit dem Geld vorbei kommen würde. "Personalausweis? Da könn'se sich doch nen neuen bestellen", grummelte der Mann ablehnend, "hamm'se nen Handy?" Widerstrebend lieferte ich ihm die Kontaktstelle meiner kleinen Welt aus. Das Handy als Sicherheit, so wurde mir schlagartig klar, war nicht nur am wirkungsvollsten sondern auch am visionärsten.

Nach der täglichen Überschüttung mit WAP-Handy-News scheint es um das mobile Telefon etwas ruhiger geworden zu sein. Das gemächliche Tröpfeln von Neuigkeiten, die das Handy betreffen, täuscht jedoch. Die Entwicklungen und Verbesserungen einzelner Handybauteile schreiten täglich voran. Auch die Einsatzmöglichkeiten gehen zunehmend über Telefonie und Internet hinaus. Das Mobile - so planen die Forscher - soll sich mehr und mehr zu einem zentralen Lebensbegleiter entwicklen. Technologie-soziologisch hat das Gerät außerdem gute Chancen, denn man muss nur die Abhängigkeit ausbauen, die der Mann von der Tankstelle für sich genutzt hat.

Powerline: Handy und Haushalt

Nach WAP und dem "Zugang" zum Internet planen jetzt die Stromkonzerne eine weitere Schnittstelle, an der das Handy sinnvoll einzusetzen wäre: Als Fernbedienung für den Haushalt. Dieses Feature wird sich, so sind sich die Stromkonzerne sicher, als Nebeneffekt aus der Powerline-Technologie, dem Übertragen von Daten über die Stromleitung, ergeben. Gelingt es den konkurrierenden Stromkonzernen, sich mit der Regulierungsbehörde für Post- und Telekommunikation über die derzeitige Störabstrahlung zu einigen, wird der vernetzte Haushalt laut Planungen schon in etwa einem Jahr Zukunft. Journalisten konnten vor einigen Tagen bei einer Pressevorführung des Mannheimer Energieversorgers MVV bereits Kaffeemaschinen, Lampen oder Radios über ihr Handy ferneinschalten.

MVV ist kein Einzelfall, auch der Essener Stromkonzern RWE demonstriert mit einem Testhaus die Fortschritte, die diese Entwicklung macht. So wird man also bald beispielsweise seinem Sohn beim unerlaubten nächtlichen Lesen locker in der Theaterpause per Handy das Licht ausschalten oder kaschiert für interessierte Diebe seine Abwesenheit durch per Handy kommandierte Inbetriebnahme von Radio und Stehlampe. Das Handy wird zum Kontroller. Funktionieren soll das Ansteuern der Geräte über das Handy zunächst per Adapter. Später werden direkt Befehle an einzelne IP-Nummern gegeben. Wenn das Internetprotokoll Ipv4 mit seinen mageren 4 Milliarden IP-Nummern (genauer 4.294.967.296) durch das 128 Bit-Addressraum-starke Ipv6 ersetzt werden wird - dann werden nicht nur Computer, sondern alle möglichen Maschinen und Güter eine IP-Adresse bekommen. Unter 1000 DM, so schätzt RWE, wird die Grundausstattung eines Powerline-angeschlossenen Hauses zunächst aber kosten.

Solarpower und energiearme Displays

Bevor das Handy jedoch mehr ist als der zentrale Kontakt zu Freunden und Businesspartnern, wird es noch leistungsfähiger werden müssen. Größtes Problem derzeit ist immer noch die Stromversorgung. Schliesslich wird es nicht angehen, dass man den Herd mit dem Braten abstellen will und das Handy meldet "low battery" und versagt seinen Dienst. Eine - zugegeben derzeit noch ungenügende, aber in Zukunft vielversprechende - Lösung wird hier Solarenergie sein. Weisungsgebend hat das Land des größten Handy-Wahns die Nase vorn: Japan. Hier werden die Menschen Berechnungen zufolge Ende März - also jetzt - mehr Mobil-Telefone haben als Festnetzanschlüsse.

Forscher des japanischen Konzerns NTT haben jetzt Zwischenergebnisse eines Entwicklungsprojekts für die Stromversorgung von Handys und Handhelds durch Solarenergie vorgestellt. Eine "Solar Card Power" von der Größe einer Kreditkarte kann derzeit bei vier Stunden Tageslicht ein Handy im Sprachbetrieb für immerhin eine halbe Stunde mit Strom versorgen. Das ist definitiv noch zu wenig, aber die NTT-Forscher wollen in Zukunft die Ladezeit der Solar-Karten durch die Verwendung von Solarzellen mit einem höheren Wirkungsgrad halbieren. Außerdem soll die Energieübertragung per Induktion verbessert werden und die verwertbare Energiemenge so gesteigert werden. Einerseits bemüht man sich also auf alternative Energieerzeugung umzusteigen, andererseits wird an der Senkung des Energieverbrauchs gearbeitet. Die Universität Princeton entwickelte beispielsweise hochauflösende und zugleich energiearme Displays. Die OLEDs, Organic Light Emitting Diodes, vereinigen, so wurde gemeldet, fluoreszierendes und phosphoreszierendes Material auf eine innovative und neue Weise. So seien sie heller, energieärmer und dabei hochauflösender, denn sie erlauben eine kleinere Pixelgröße als herkömmliche LCDs. Zurück geht das Ganze auf ein Phänomen der Quantenmechanik. Das Projekt, so melden die Forscher, sei jedoch weniger futuristisch, als es sich anhört. Bereits in sechs Monaten sollen die Displays marktreif sein.

Musik und Sicherheit

Last but not least das, worauf man sich eh schon geeinigt hat: Das Handy wird der neue Walkman. Darauf bauen mittlerweile nicht mehr nur die Gerätehersteller. Während Samsung oder Ericsson das Handy mit einem MP3-Modul ausstatten, verkündet auch die deutsche IFPI, ihres Zeichens die maßgebende Initiative der Musikindustrie, das Konsumieren von Musik am Handy. Noch in diesem Jahr sollen Möglichkeiten dazu geschaffen werden, ließ ihr Sprecher Gramatke den Nachrichtendienst dpa wissen. Etwa drei Mark soll man pro Song bezahlen, so stellt man sich das im Haus der Musikkonzerne vor. Nicht bedacht hat man dabei jedoch, dass das Telefonieren keine End-to-End-Sicherheit bieten kann. Laut Ovum, einer unabhängigen englischen Research- und Beraterfirma, die gerade eine Studie über mobilen Commerce herausgebracht hat, wird das Kaufen mit dem Handy zumindest solange nicht praktiziert werden, bis die mobile Telefonie ausreichend Sicherheit verspricht. Sicherheit, die derzeit noch nicht gewährleistet sei.

Dem könnte jetzt allerdings Abhilfe geschaffen werden. Die deutsche Firma Siemens hat ein Kryptohandy entwickelt, das ab Jahresende im Handel sein soll. Der Prototyp für den derzeit gängigen GSM-Standard basiert auf dem Modell S35i und soll auf Knopfdruck eine Verschlüsselung der Telefonate ermöglichen. Bei der Vermittlung werden die verschlüsselten Sprachsignale dann wie Daten behandelt. Das funktioniert allerdings nur, wenn der Gesprächspartner ebenfalls ein solches Modell benutzt. Ein unerwünschter Mithörer, so meldete die Firma, müsste seinen Computer jahrelang rechnen lassen, um die richtige Zahlenkombination herauszufinden. Sind erstmal alle Handys auf einen Kryptografie-Standard umgestellt - das ist jedoch noch Zukunftsmusik -, wird das Handy eine weitere wichtige Funktion auf sich vereinen: das der Kreditkarte. Der Tankwart, der mein Handy als Pfand kassiert hatte, wird dann einfach über mein Handy die geforderte Summe abbuchen. Ob der Gerichtsvollzieher in dieser Zukunft nicht nur das Konto pfänden wird, sondern - in letzter Instanz - auch die eigene Erreichbarkeit, wird wohl ein Gericht klären müssen.