WAP oder: Wie das Internet laufen lernt

Unter dem Machtkampf der Firmen um WAP als mobile Schnittstelle zum Internet leidet die Verbraucherinformation.

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Vorletzte Woche war es soweit: "WAP" hatte es als Techie-Wort nach "mp3" bis in die Tagesthemen geschafft. Dem Hype um das Protokoll, das Internetanwendungen auf dem Handy Handys ermöglicht, konnte im Vorfeld der Cebit nicht einmal die Redaktion der Tagesthemen widerstehen. Im Moment scheint das Wireless Application Protocoll der wichtigste Zukunftsentwurf der IT-Branche zu sein. Nicht nur Herstellerfirmen von Mobiltelefonen und PDAs, auch Banken, Provider und Softwarefirmen folgen dem Hype der Cebit und beteiligen sich daran, Pressemitteilung um Pressemitteilung herauszugeben. Es WAPt überall. Die Verbraucherinformation bleibt bei diesem Hype allerdings auf der Strecke.

Ein Neues Medium - ein Neuer Markt?

Kooperationen von Großunternehmen um zukünftige WAP-Märkte boomen. Hier ein Ausschnitt eines Inserats der Deutschen Bank

Im Grunde könnte jedes IT-Gerät mit Display für WAP zugeschnitten werden. Nicht nur Handys, sondern auch Digitalkameras, MP3-Player, PDAs und andere Organizer versprechen ein Internet zum Mitnehmen. Ein Hersteller zeigte auf der Cebit sogar eine Maus mit integriertem LCD-Display, das Nachrichten auf der Basis von WAP zeigt, die ein Mausklick im Browser öffnet. Warum einfach, wenn es mit WAP gehen könnte, ist der allgemeine Tenor. Die mediale Schnittstelle, die sich über WAP und dem Zusammenwachsen von Internet und IT-Produkten ergibt, gilt international als der neue Markt. Immerhin werden in Deutschland 15 Millionen Internet-Nutzer noch von den 23 Millionen Handy-Nutzern übertroffen. Weltweit, so prognostiziert die finnische Firma Nokia, wird diese Zahl in den nächsten zwei Jahren von 400 Millionen auf rund eine Milliarde ansteigen.

Zwecks vorsorglicher Positionsabsicherungen in diesem vielversprechendem Markt boomen die internationalen Kooperationen. Allen voran preschen die Riesen der Branche: AOL plant die Zusammenarbeit mit Handy-Marktführern Nokia, Ericsson und dem britischen Unternehmen RTS Wireless. Via SMS sollen Kunden über neu eingegangene AOL-E-Mails informiert werden, die dann ein Sprachcomputer vorliest. Schon ist Boris Becker in der AOL-Fernsehwerbung wieder "drin". Teil 2 der Werbung spielt aber natürlich nicht am PC, sondern am Handy, das über neu eingegangene Nachrichten informiert. Allzuviele Mails scheint der ehemalige Tennisstar nicht zu kriegen, ansonsten hätte er mit diesem Feature ein ernsthaftes Problem: Für Leute, die professionell über Email kommunizieren und mehr als 4 Emails am Tag bekommen, scheidet die SMS-Benachrichtigung über neu eingegangene Mails auf Grund von sonstigem Dauerterror aus. An einem professionellen WAP-Portal arbeitet man jedoch bereits, die Ausweitung der AOL-Nation läuft nach der Fusion mit Time Warner unaufhaltsam weiter.

Auch Microsoft lässt sich nicht lumpen, neben ihrer Dominanz im PC-Bereich nun den Handymarkt in Angriff zu nehmen. Ein WAP-Browser namens Mobile Explorer wurde bereits vorgestellt, Kooperationen mit der British Telecom ebenso wie mit dem drittgrößten Telekommunikationshersteller Ericsson sichern ihnen weitere Vorteile. Im allgemeinen wird Microsoft jedoch von den meisten Firmen der Handybranche mit Vorsicht behandelt. Die Vormachtstellung im PC-Markt durch die Abhängigkeit von MS- Betriebssystemen scheint wie eine Warnung zu wirken. Die zwei größeren Initiativen, die sich zur Standardisierung der mobilen Internetverbindung gegründet haben, lassen jedenfalls Microsoft aussen vor. In der einen, SyncML machen IBM, Lotus, Motorola, Nokia, Psion, Palm Computing und Starfish Software die zukünftigen Standards für den Austausch und die Synchronisierung von Daten zwischen Handys und anderen mobilen Geräten (aber auch PCs, Unternehmens- und Webservern) unter sich aus. Und auch die zweite Initiative Symbian, die aus einer Vielzahl von Kooperationen besteht und sich ausschließlich der Kompatibilität von Entwicklungen kabelloser Netz-Kommunikation verschrieben hat (u.a. aus Ericsson, Nokia, Motorola, Matsushita, Psion, etc.), basiert auf dem psionschen Betriebssystem EPOC, nicht auf dem microsoftschen Windows CE.

WAP-Aktivitäten in Deutschland

Hierzulande haben zuletzt vor allem die Banken das Internet entdeckt, obwohl dies mit zahlreichen Problemen verbunden ist (siehe Online-Banken ohne Verbindung). In froher Erwartung zahlreicher und zahlungskräftiger Nutzer, die da kommen werden, investiert und kooperiert man, was das Zeug hält. Meister der Zusammenschlüsse ist im Moment die Deutsche Bank, die sich - so scheint es - jeden Partner nimmt, den sie kriegen kann. Vorstandssprecher Rolf-Ernst Breuer kündigte in der letzten Zeit eine Kooperation nach der anderen an. Zunächst präsentierte man zusammen mit Jerry Yang von Yahoo eine riesengrosse Kreditkarte und verzierte sie mit dem Logo der Suchmaschine, jetzt plant man E-Commerce-Zusammenarbeiten mit dem Softwarekonzern SAP, dem Provider AOL und E-time Capital, die sich auf die Optimierung von finanziellen Transaktionen im Internet spezialisiert haben. Auch eine Zusammenarbeit mit der Suchmaschine Lycos, dem Fernsehkanal RTL, der spanischen Banken-Gruppe LaCaixa und der Verlagsgruppe Frankfurter Allgemeine Zeitung kündigte Breuer an. Neben Deals, die einer Software-Optimierung dienen, kümmert man sich also um Präsenz im Netz (Yahoo/AOL), sowie um mainstreamkonformen Inhalt.

Aber auch WAP bleibt bei der Deutschen Bank nicht außen vor. Mit Mannesmann, vor allem aber mit dem finnischen Weltmarktführer für Mobiltelefone Nokia will das Kreditinstitut schon seit letzter Woche als erstes deutsches Finanzhaus Bankdienstleistungen per Handy über WAP anbieten. Die Mitarbeiter meiner Filiale Berlin/Alexanderplatz sind allerdings - laut eigener Auskunft - noch mit der Zeichung der Infineon-Aktie zu beschäftigt, um detailliertere Erklärungen abgeben zu können. Gerne, bot die nette Dame an, verschickt man aber an mich eine Broschüre, die man selbst zu lesen noch keine Zeit fand.

Freilich kümmern sich nicht nur Banken, sondern vor allem die Mobiltelefonanbieter um Informationsdienste für ihre Kunden. T-Mobil, die Mobil-Tochter der Telekom, hat laut Meldung Online-Informationen von mehr als 20 Content-Anbietern gesammelt. Sie werden das WAP-Portal mit Nachrichten, Wirtschaftsinformationen, Sportergebnissen, Kinotips, Stauinfos und Flugplänen versorgen. Besonders stolz ist man jedoch auf seinen zukünftigen WAP-Restaurant-Führer, der mehr als 10 000 Restaurants in Deutschland umfassen soll.

Wer soll das Bedienen?

Während auf Anbieterseite allseits Euphorie über das neue Protokoll herrscht, sieht es auf Seite der Kunden zappenduster aus. WAP-Kunde zu werden, ist nahezu unmöglich, denn es gibt keine WAP-fähigen Handys zu kaufen. Immer noch nicht. Selbst Nokia, die auf der Cebit vor einem Jahr das erste WAP-fähige Handy vorgestellt hatten, liefern seit vergangenem Oktober nur minimale Stückzahlen aus, die sofort vergeben sind. Mein lokaler E-Plus-Shop stand denn auch meiner Anfrage nach einem WAP-Handy mehr als hilflos gegenüber. Weder wären welche vorrätig, noch könne er mir Auskunft darüber geben, wann welche lieferbar sind, meldete der Mann bedauernd. Soll hier ein Angebot, verbunden mit einer künstlichen Knappheit vehemente Nachfrage kreieren? Oder agiert die Handywelt einfach nur planlos, um den neuen Markt, den das neue Medieum generieren wird, wie man glaubt, vorausschauend zu besetzen? Werbestrategen jedenfalls werden sich an den Kopf fassen, ob soviel kostenloser Präsenz in den Medien, der kein Produktkauf folgen kann.

Sowieso ist unklar, auf welche Zielgruppe WAP zugeschnitten wird. Weder in der Branche noch in den Medien hat man sich bis jetzt auf eine Zielgruppe geeinigt. Mobil, soviel ist sicher, wird sie sein, internetabhängig auch. In den Tagesthemen redete Gabi Bauer diffus von Jugendlichen und begründete das mit dem überraschenden SMS-Boom, den junge Leute ausgelöst haben. Daneben einigen sich die meisten Medien auf Börsensüchtige - und so stellen sich das auch die Banken vor. Aber ob die vielbeschäftigten Broker Lust und Laune haben werden, auf dem Mini-Display Börsenkurse zu entziffern und auf den kleinen Bedienungselementen ihren Handel abzufusseln, bleibt dahingestellt.

Die Branche versucht zwar, durch Schreib- und Navigationshilfen Erleichterung bei der Bedienung zu schaffen, jedoch scheint die durch ein handygrosses Display mit integriertem Keyboard (reagiert auf Berührung) beim Ericssons R3805 oder ein Scroll-Rädchen beim Nokia 7110 nicht wirklich umfassend gegeben. Guckt man wiederum nach den Kundenprofilen auf den Angeboten der WAP-Portale, findet man mehr oder weniger undifferenzierte, aber multifunktionale Informationen für jedermann. Der allgemeine Tenor ließe sich etwa wie folgt zusammenfassen: "Neues vom Kino, Sport und von Restaurants aus Ihrer Umgebung." Es scheint offensichtlich: WAP wird weder einen spektakulären und neuen Umgang mit Information bringen, noch spektakuläre Information. Mit Sicherheit wird WAP in Zukunft weit weniger Bedeutung haben, als der Medienhype uns derzeit glauben macht, mit einer Revolutionierung des Internet hat es jedenfalls nicht zu tun. Auch das vielbeschworene SMS, dessen stillerer Siegeszug für WAP gerne als Vergleich herangezogen wird, wird - so meldete der Spiegel - nur von zehn Prozent der deutschen Handybesitzer genutzt.

Viel Lärm um was?

Warum also das ganze Getöse auf der Cebit? Warum dieser Lärm um ein Produkt, das es noch nicht zu kaufen gibt und in seiner Internet-Performance derzeit noch weltweites Warten verspricht? Warum dieses Geschrei gegenüber einer Zielgruppe, die keiner definieren kann? Was sich unter der Oberfläche der täglichen Flut von WAP-Pressemitteilungen abspielt, ist im Großen und Ganzen ein "innenpolitischer" Machtkampf um ein Internet, das laufen lernt, genauer um die Schnittstelle mobiler Kommunikation. Nicht baldige Millardengewinne mittels WAP sind es, die derzeit ausgefochten werden, sondern die Teilnehmerschaft und Position bei einem Spiel, das gerade erst begonnen hat (und in entfernterer Zukunft viel verspricht. Heute jedoch nicht).

Bevor einen allerdings junge, neue Start-Up-Unternehmen überrollen, die mit der technologischen Entwicklung mitwachsen, sichert man sich lieber durch lautes Getöse selber ein Plätzchen. Schließlich gilt heute ausgehend von der amerikanischen Wirtschaft im Westen die Devise: A new media, a new market. Allerdings geht der Machtkampf, der vehement über Pressemitteilungen ausgefochten wird, deutlich auf Kosten des Verbrauchers. Denn während er allerorten WAP als Hype um die Nase gewedelt bekommt, bleibt eine umfassende Verbraucherinformation auf der Strecke. Das Problem: GPRS und HSCSD sind mit den derzeitig erhältlichen WAP-Handys nicht kompatibel.

WAP-Handys und GPRS/HSCSD

Spätestens im Herbst dieses Jahres planen die Funknetzanbieter neue Datenübertragungsmodi GPRS (General Package Radio Service) und HSCSD (High Speed Circuit Switched Data), die über spezielle Verfahren Datenwege bündeln. Sie versprechen eine viel schnellere Übertragung. Zwar ist das viel gehörte Gerücht falsch, dass mit der Etablierung der Kanalbündelungstechniken GPRS und HSCSD WAP weg vom Fenster sein wird - im Gegenteil. Das mobile Internet durch WAP wird erst dann wirklich so schnell werden, dass man seinen Zug nicht bereits verpasst hat, wenn die Auskunft über die Fahrzeiten endlich auf dem Mini-Bildschirm erscheint.

Aber die ersten WAP-Handys, die jetzt auf den Markt kommen, sind leider nicht mit diesen schnelleren Datenübertragungsmodi kompatibel. Heißt: Wer jetzt ein WAP-Handy kauft, wird im Herbst dumm dastehen. In der Tat scheint das jedoch weder den Herstellerfirmen noch den Netzbetreibern wirklich klar zu sein. Auf deren Websites werden GPRS und HSCSD zwar angekündigt, aber nicht mit der Nutzungsmöglichkeit durch bestimmte Mobiltelefonmodelle in Verbindung gebracht.

Auskünfte zur möglichen Nutzung der zukünftigen Verfahren für Handys sind nicht zu finden. Selbst in den Callcentern herrscht Verwirrung. Auf meine Nachfrage nach der Kompatibilität zwischen dem WAP-fähigen Motorola-Handy P7389 und den neuen Datenübertragungssystemen GPRS und HSCSD antwortete die nette Dame vom Callcenter der Firma: "Das sagt mir gar nichts." Bei der E-Plus-Service-Kunden-Hotline erklärt man mir erstmal teurere Minuten lang vom Band, wie sehr man die Funkreichweite optimiert hat, bevor endlich ein realer Mensch am anderen Ende der Leitung ist. Derjenige weiß dann, dass HSCSD im Herbst kommen soll, dass das Nokia 7110 aber "wahrscheinlich" nicht kompatibel damit sein wird. Eine Schulung mit detaillierterer Information werde erst nach der Cebit durchgeführt. Das Nokia Cardphone könne ich jedoch nutzen, allerdings nicht zum Telefonieren. Auch im Nokia Shop an der Friedrichstraße müssen die Mitarbeiter erst recherchieren, bevor sie mir nach einem Rückruf die tatsächliche Inkompatibilität verkünden. Vor einem derzeitigen Kauf von WAP-Handys sei also erstmal abgeraten. Im Herbst sehen wir dann weiter.