Die angeblich übermächtigen US-Geheimdienste und der Ukraine-Konflikt
Überlegungen zum aufgeblähten Sicherheitsapparat der USA
Noch vor der Ukraine-Krise, die manche an eine Wiederkehr des Kalten Krieges erinnert, war viel die Rede von den überbordenden Lauschaktivitäten insbesondere der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste. Gewarnt wurde, dass die NSA Zugriff so ziemlich auf alles hat, tief in die Privatsphäre der Menschen auf der ganzen Welt eindringt - sofern sie elektronisch kommunizieren -, die Finanz- und Transaktionsströme überwacht und selbst Regierungsmitglieder befreundeter Regierungen wie auch US-Senatoren belauscht, um up to date zu sein. Man fragt sich nun, warum die so mächtigen Geheimdienste den aktuellen Konflikt offenbar weder vorhersehen, noch wichtige Informationen über den Verlauf liefern konnten, wie dies auch schon im Irak-Krieg, im Georgen-Krieg und in den Ländern des "Arabischen Frühlings", der bislang nur in Tunesien Anlass zur Hoffnung gibt, deutlich wurde.
Die pro-europäische Maidan-Bewegung wurde vom Westen gestützt, man wollte die Ukraine auf die Seite Europas ziehen. Die europäischen und amerikanischen Geheimdienste werden versucht haben zu eruieren, wie die Opposition und die Janukowitsch-Regierung, wahrscheinlich auch, wie die russische Regierung handeln werden. Bekannt war allgemein, wie wichtig für Russland die Ukraine war, sicherheitspolitisch als Puffer zur Nato sowie als Stützpunkt der Schwarzmeerflotte und wirtschaftlich als entscheidender Baustein für die Eurasische Union, dem Gegenprojekt zur EU. Und allgemein bekannt war auch, dass die Ukraine zwischen Ost und West, zwischen dem ärmeren Westen und dem reichen Osten, in dem der Anteil von Russen und russisch sprechenden Bürgern hoch ist, gespalten ist.
Zudem war bekannt, dass sich im Westen der Ukraine rechtsextreme, faschistische und militante Bewegungen herausbilden, die zusammen mit der Partei Swoboda der nationalsozialistischen Vergangenheit nachtrauern. Swoboda ging aus der Sozial-Nationalen Partei hervor, deren Symbol die Wolfsangel der SS-Division "Reich" war, das während der Maidan-Proteste auch wieder von Aktivisten getragen wurde. 2004 wurde die Partei umgetauft, in Freiheit, also Swoboda, und man wechselte das Symbol. Dadurch wurden die Rechten attraktiver, die Partei, die auch der NPD nahe steht, gewann bei den letzten Wahlen 12 Prozent der Stimmen und wurde mit der Klitschko-Partei Udar und Timoschenkos Vaterland nun zum Teil der Regierungskoalition. Zu den militanten rechtsextremen Gruppierungen gehört etwa Bratstwo, die gerade zur Mobilisierung zur "Selbstverteidigung" aufgerufen hat.
Verehrt wird von den westukrainischen Rechten Stephan Bandera, der unter den Russen in der Ostukraine als Verbrecher gilt. Es gibt Gedächtnisfeiern und Skulpturen für den Nationalisten. Er war der Anführer von militanten Nationalisten, die mit den Nazis zusammengearbeitet haben, und Führer der Ukrainische Aufstandsarmee. Schon 1941 soll er ein Massaker an Juden und Kommunisten in Lemberg (Lviv) zu verantworten haben. Er rief einen ukrainischen Staat aus, womit er sich mit den Nazis überwarf und ins Gefängnis gesteckt wurde. Nach 1944 kämpfte er mal mit den Deutschen gegen die Russen, mal mit sowjetischen Partisanen gegen die Deutschen. 1946 flüchtete Bandera nach München, wo er 1959 vor seiner Wohnung in der Kreittmayrstraße durch einen Blausäureanschlag vom KGB getötet wurde. Schon Ex-Präsident Wiktor Juschtschenko, der durch die Orange Revolution mit Timoschenko an die Macht kam, verlieh, um sich an die Rechten anzuwanzen oder diese zu legitimieren, Bandera posthum den Titel "Held der Ukraine", damals noch unter Kritik der EU. Janukowitsch entzog ihm dann den Ehrentitel wieder.
Man hätte also vermuten können, dass eine einseitige Stärkung der westukrainischen, mit rechten Nationalisten durchsetzten Oppositionsbewegung zu Problemen mit den Menschen in der Ostukraine und mit Russland führt. Man hätte auch wissen können, dass der junge Staat fragil ist, dass es explosiv wirken könnte, wenn man ihn entweder in den Einflussbereich Russland oder in den der EU zwingt.
Aber entweder haben die US-Geheimdienste geschlafen, hatten keine Informationen oder schätzten die Lage falsch ein, wenn man nicht davon ausgeht, dass die Absicht bestanden haben könnte, den Konflikt bewusst zuzuspitzen, um Russland herauszufordern, auch unter der Gefahr, dass die Ukraine zerbricht. Natürlich ist es ein Unterschied, ob die republikanische Opposition in Gestalt von McCain auf dem Maidan auftaucht und die Revolte anstachelt oder was die US-Regierung macht, die freilich unter dem Druck der Opposition steht, die ihr Schwäche vorwirft. Aber beraten durch Informationen der Geheimdienste und der Botschaften hätte die US-Regierung eigentlich geschickter vorgehen können, sollte man meinen.
Reduzieren die US-Geheimdienste und die US-Regierung die Politik auf den "mindset" der politischen Führer?
Wenn man allerdings einen Beitrag im Daily Beast zur Rolle der US-Geheimdienste liest, dann wird dort Kritik formuliert, aber lediglich daran, dass diese auf Terrorismus, aber nicht auf Putin ausgerichtet waren. Und dass die US-Politik unterschätzt, bis wohin Putin gewillt ist zu gehen. Das habe man in Georgien gesehen, und das habe sich jetzt wiederholt, wofür der alte Falke und Ex-NSA-CIA-Geheimdienstchef Michael Hayden zitiert wird:
Das ist weniger das Problem, wie viele Datensammlungskapazitäten wir gegen Russland richten, und allgemeiner die analytische Herausforderung, den Geisteszustand von Putin zu verstehen. Unser Außenminister sagt, das ist nicht der Kalte Krieg, das ist ein Win-Win und es ist kein Nullsummenspiel. Aber für Putin ist es das. Das müssen wir verstehen.
Vorgeworfen wird Politikern und Geheimdienstexperten, sie hätten nicht vorhergesehen, dass Russland die Krim besetzen würde. Für Hayden war dies derselbe "Fehler" wie beim Arabischen Frühling. Man habe Putins "mindset" nicht verstanden, was auch heißt, dass der Ex-Geheimdienstchef der Überzeugung ist, dass die große Politik vom "mindset" der politischen Führung abhängt. So also scheint man bei den Geheimdiensten zu denken, erschreckend simpel, weswegen es keineswegs verwunderlich ist, warum komplexe Situationen von den Geheimdiensten nicht eingeschätzt werden können. Da geht es nur um die Putins oder Husseins, weswegen dann die Eliminierung der Führungsfigur schon als Lösung gilt. Genau so wurde der Irak-Krieg geführt. Man wollte die Führung wegbomben und glaubte, dann würden alle auf Seiten der Befreiungsmacht stehen.
Ähnlich wie Hayden argumentiert Damon Wilson, 2008 Direktor des Nationalen Sicherheitsrats für Europa und zuständiger Berater des Präsidenten bei der Georgienkrise, heute ist er Vizepräsident des Atlantic Coucil. Man habe Warnungen gehabt, dass Putin in Georgien einmarschieren könnte, habe das aber nicht für möglich gehalten. Allerdings war Russland auch nicht in Georgien einmarschiert, sondern lediglich in Abchasien und Ossetien, ähnlich wie man jetzt nicht in die Ukraine eingedrungen ist, sondern nur die Krim "schützt".
Wilson meint zudem, dass die Geheimdienste zu stark auf den Terrorismus und damit auf Afghanistan, den Irak oder Iran ausgerichtet seien, während man Russland und die Ukraine vernachlässigt habe. Dem mag man nicht wirklich folgen, wenn man zur Kenntnis nimmt, in welchem Ausmaß die NSA etwa auch in Europa alles abgesaugt hat, was sich sammeln ließ. Russland habe man mitsamt seinem Geheimdienst nicht mehr ernstgenommen, was auch Hayden sagt. Es sei aber auch schwieriger geworden, Agenten in andere Länder zu bringen. Die Einführung biometrischer Ausweise habe dazu geführt, dass Agenten in Russland schnell aufflogen.
Nach einem erfahrenen Geheimdienstanalysten, so die sehr ideologisch ausgerichtete Berichterstattung von Daily Beast, wären die jungen Geheimdienstmitarbeiter davon ausgegangen, dass Putin nichts tun werde. Sie hätten gedacht, dass die Welt sich verändert habe, aber nicht gemerkt, dass sich Putin nicht verändert hat und im Kalten Krieg stehen geblieben ist. Das so zu sehen, heißt eigentlich, in den USA müsste das Denken des Kalten Kriegs wieder einziehen, um realistisch zu werden. Daher wird denn angeblich ein Geheimdienstmitarbeiter zitiert, der ein Ukraine-Spezialist sein soll und der sagt, dass "Gewalt die einzige Kraft zur Lösung sein wird".
Schön ist auch die Stelle, wo es heißt, dass nicht alle Regierungsmitarbeiter Putin unterschätzt hätten: "2010 wurde der damalige Verteidigungsminister Gates in einem der von Wikileaks veröffentlichten Depeschen zitiert, dass er sagte, Russland sei eine 'Oligarchie, die von Sicherheitsbehörden betrieben wird'. Aber Gates war eine große Ausnahme."
Das ist entlarvend, denn von den USA könnte man just dasselbe sagen, nämlich dass es ein Staat ist, der von den Sicherheitsbehörden kontrolliert wird. Am Schluss heißt es, Kerry habe gesagt, man würde mit Sanktionsandrohungen in eine andere Phase eintreten: "Aus Putins Perspektive war man seit Jahren in dieser Phase." So kann man also in den "mindset" der Sicherheitsbehörden und der amerikanischen Mentalität ein wenig hineinsehen. Das ist, Jahre nach George W. Bush, nicht beruhigend.