Die bessere Bahn in Frankreich
Das Nachbarland ist stolz auf die Ingenieurskunst hinter dem TGV. Dessen Erfolg spart Kurzstreckenflüge
Dass in Frankreichs Bahnsystem einiges anders läuft als in Deutschland, kann man auch hierzulande erfahren. Die SNCF-Beteiligung Thalys hat auf ihren deutschen Streckenabschnitten ein festes Platzbuchungssystem, sodass eine Überfüllung der Züge praktisch unmöglich ist. Der TGV verzichtet in Deutschland auf eine zuggebundene Buchung, was in der Vor-Corona-Zeit häufiger zu Gedränge im Zug geführt hatte. Ab der deutsch-französischen Grenze war die Überfüllung dann schlagartig vorbei.
Während sich Deutschland mit dem Verzicht auf Kurzstreckenflüge noch schwer tut, scheint Frankreich hier schon einen Schritt weiter und drängt darauf, Inlandsflüge zugunsten von Zugverbindungen zu streichen.
Frankreich hat mit seinem TGV (Train à Grande Vitesse) der staatlichen SNCF (Société Nationale des Chemins de Fer Français) etwa eine Dekade Vorsprung gegenüber dem deutschen ICE, der mit einem symbolischen Knopfdruck des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 29. Mai 1991 im Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe pünktlich um 12 Uhr ein neues Eisenbahnzeitalter in Deutschland einläutete.
Schon zehn Jahre zuvor verließ erstmals ein Train à Grande Vitesse den Bahnhof Gare de Lyon in der französischen Hauptstadt Paris in Richtung Lyon. Fuhr dieser Zug noch mit 260 Stundenkilometern Richtung Süden, so rast der TGV heute mit 320 km/h durch das Land und verbindet Paris mit Lyon in zwei Stunden.
Dies ist möglich, weil der TGV, anders als der deutsche ICE, zumeist auf einer eigenen Trasse fährt. Die sogenannten Lignes à Grande Vitesse (LGV) führen von Paris in den Süden, nach Osten, zum Atlantik und nach Norden in Richtung London und Brüssel. Im zentralistischen Frankreich, wo die Einspruchsrechte der Bürger deutlich geringer sind als in Deutschland, ist es deutlich einfacher, neue Strecken zu bauen.
Wie schwer sich die Deutsche Bahn mit dem Netzausbau tut, kann man aktuell an der Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel sehen. Sie ist der Hauptzulauf zum 2016 fertiggestellten Gotthard-Basistunnel und Teil eines europäischen Güterkorridors, der sich von Rotterdam über Köln und Basel bis nach Mailand und Genua zieht.
Zahlreiche Einsprüche der von der Trasse betroffenen Bürger haben dafür gesorgt, dass die Fertigstellung jetzt erst für 2041 vorgesehen ist. Da der Güterverkehr, der zu 75 Prozent nicht von der deutschen Bahn abgewickelt wird, jetzt schon für eine vollständige Auslastung der Strecke sorgt, kann der Personennahverkehr hier nicht bedarfsgerecht ausgebaut werden.
Besonderheiten des TGV
Was den TGV, der von der SNCF gemeinsam mit dem Hersteller Alstom entwickelt wurde, von anderen Hochgeschwindigkeitszügen von Anfang an unterschied, war neben den eigenen Trassen nicht zuletzt das eigenständige Design, für das der französische Designer Roger Tallon verantwortlich war.
Nach Aussagen der SNCF hat der TGV in den 40 Jahren seiner Existenz drei Milliarden Passagiere befördert. Das sind doppelt so viel, wie der deutsche ICE in seinen 30 Jahren Betrieb transportiert hat. Den Erfolg hatte dem TGV zu seinem Beginn kaum jemand zugetraut. Der Aufbau des eigenen Streckennetzes von 2.700 Kilometern Länge ist inzwischen weitgehend abgeschlossen.
Nur noch wenige Neubaustrecken etwa im Südwesten des Landes zwischen Bordeaux und Toulouse sowie entlang der Mittelmeerküste zwischen Montpellier und Perpignan nahe der spanischen Grenze sollen noch realisiert werden. Grund für den Abschluss des Netzausbaus sind nicht zuletzt die hohen Kosten, die der Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken verursacht. Ein rentabler Betrieb ist so nicht möglich.
Die kostspielige Finanzierung
Die Verschuldung der SNCF stieg zwischenzeitlich auf 57 Milliarden Euro. Der Staat hat sich nun bereit erklärt, mit 35 Milliarden Euro einen Großteil davon zu übernehmen, um das Unternehmen zu entlasten. Anstelle eines weiteren Netzausbaus soll in den kommenden Jahren das Hauptgewicht auf der Instandhaltung der bestehenden Strecken liegen.
Die internationalen Verbindungen wurden meist in Jointventures mit anderen Bahngesellschaften ausgelagert und die Züge bekamen dann einen eigenen Namen und eine eigenständige Lackierung. So ist die Lyria SAS, eine Gesellschaft französischen Rechts und ein Tochterunternehmen der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF (Anteile: 74 Prozent) und der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) (Anteile: 26 Prozent) für den Betrieb der TGV Lyria Verbindungen zwischen Frankreich und der Schweiz.
Für die Verbindungen nach Belgien, den Niederlanden und Deutschland (NRW) sind die Unternehmen Thalys International und THI Factory mit Sitz in Brüssel zuständig. Beide sind Töchter der französischen und der belgischen Staatsbahnen. Partner ist Thalys Nederland eine Tochtergesellschaft der Niederländischen Eisenbahn.
An Thalys International war zu Beginn außerdem die Deutsche Bahn beteiligt. Nachdem diese Beteiligung aufgegeben worden war, konnte man Thalys-Tickets fürs Erste nur im Thalys-Office buchen. Nach Süddeutschland auf der Strecke Straßburg - Karlsruhe - Stuttgart - München sowie über Lahr und Emmendingen nach Freiburg (in Lahr und Emmendingen hält übrigens kein ICE) fahren die Züge mit der ursprünglichen Bezeichnung TGV.
Die SNCF besteht seit 1. Januar 2015 aus drei Unternehmensteilen, der Holding SNCF, dem Netzbetreiber SNCF Réseau und dem Bahnbetreiber SNCF Mobilité. Die Namen des Angebotes wechseln nach den sich ändernden Vorstellungen der Marketing-Verantwortlichen in unregelmäßigen Abständen. Derzeit finden sich im Angebot neben dem TGV InOUI, Intercités, TER und OUIGO.
Regionalverkehr und das Konzept einer Bürgerbahn
Die Fernzüge mit dem Namen Intercités verbinden, wie der Name vermuten lässt, die Städte außerhalb des TGV-Netzes. Für die regionalen Zugverbindungen sorgen die TER-Züge, die teilweise auch über die Grenze fahren. So gibt es eine eingleisige TER-Linie von Mülhausen über Neuenburg nach Müllheim, mit einzelnen Kursen bis nach Freiburg.
Sie überquert den Rhein auf einer Brücke, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dort noch funktionsfähigen Teilen und zwei Elementen der ebenfalls teilzerstörten Brücke bei Breisach zusammengefügt wurde. Es hatte Jahrzehnte gedauert, bis der grenzüberschreitende Zugverkehr wieder aufgenommen wurde. Andere Strecken hatten weniger Glück und die hochverschuldete SNCF ist beim Ausbau des Regionalverkehrs durchaus zögerlich.
Das hat mit der gut 9.000 Mitglieder starken Genossenschaft Railcoop eine Initiative auf den Plan gebracht, die ohne staatliche Subventionen vernachlässigte Strecken im Personen- und Güterverkehr befahren will, nachdem sie aktuell die Betriebserlaubnis erhalten hat.
Als Erstes will sie die 2014 von der Staatsbahn aufgegebene Strecke zwischen Lyon und Bordeaux reaktivieren.