Die digitale Büchse der Pandora

Internetverbreitung 2010. Bild: Jeff Ogden/CC-BY-SA-3.0

Content-Industrie und die Verwesung guter Ideen im digitalen Raum

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Dass diejenigen, die mit eigenem Kapital an Innovationen arbeiten, Wissen teilen oder bahnbrechende Erfindungen machen, nur in den seltensten Fällen auch jene sind, die dann auch davon profitieren, ist eine traurige, aber altbekannte Tatsache. Im Internet wird dieser Mechanismus allerdings auf eine neue Ebene gehoben.

Infrastruktur, Inhalte und Verwerter

Die drei Stufen der Technologieakzeptanz:

  1. Das kann nicht funktionieren!
  2. Das rechnet sich nie!
  3. Ich hab's schon immer gewusst!

Das typische Erfinderschicksal spielt sich in etwa so ab: Zuerst im Inland verlacht, dann im Ausland groß geworden und schließlich, wenn kein Weg mehr daran vorbei führt, im eigenen Land rehabilitiert und mit steinernen Mienen geehrt.

Besonders drastisch lässt sich dies am Beispiel des Erfinders der Hinterlader darstellen: Die neuen Gewehre wurden von der Monarchie mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass die exzellent gedrillten Truppen nur 1-2 Sekunden pro Schuss schneller sein würden. Den preußischen Nachbarn gefiel die Erfindung da schon besser. Sie statteten ihre Truppen damit aus und re-importierten in den folgenden siegreichen Auseinandersetzungen gegen die Monarchie die Erfindung wieder auf ehemals österreichisch-ungarischen Boden. Ein positiver Fakt für den Erfinder: Er wurde - im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen damals und heute - gut bezahlt.

Das Internet gibt einer bisher ungeahnten Anzahl an Menschen einen Raum und eine Stimme. Das heißt auch, dass es zu einer Explosion der ausgetauschten Information, der neuen Ideen und des produzierten "Contents" kommt. Ich benutze hier bewusst das Wort "Content", weil es in der Wirtschaft gerne genutzt wird, um "geldwerte Inhalte" zu bezeichnen. Kurz gesagt: Fast alle so erstellten Inhalte haben einen wirtschaftlichen Wert und könnten den Autoren potentiell ein Auskommen ermöglichen. Und nur um gleich hier zurück zur Überschrift zu kommen: meistens nicht für den Inhaltsproduzenten, sondern für die Inhalteverwerter. Das kann Google sein, das können aber auch Nachrichtenmagazine sein, die immer wieder über Inhalte aus Online-Publikationen "berichten", aber auch Software, die die so über das Netz verfügbaren Inhalte kreativ nutzt. In den meisten Fällen gibt es eine unterbrochene Vergütungskette, die sich komischerweise kurz vor den eigentlichen Contentproduzenten verläuft.

Plagiatsprüfungssoftware ist ein großartiges Beispiel für die bisherige Praxis. Kommerzielle Plagiatsprüfungssoftware ist meistens teuer und nur für große Unternehmen leistbar. Es liegen entweder Lizenzierungsmodelle vor, die in regelmäßigen Zeitabständen erneuert werden müssen oder ein Bezahlmodell, welches auf die reale Nutzung abstellt. Studierende werden z.B. in den USA durch Universitätsordnungen gezwungen, ihre Arbeiten selber hochzuladen und die AGBs zu akzeptieren, die der Firma eine Weiternutzung der Arbeit kostenfrei erlauben - oder einfach keinen Abschluss zu erhalten.

Das Geschäftsmodell stützt sich dabei zum Großteil auf frei verfügbare Inhalte im Netz: Man kann nur herausfinden, dass jemand von Wikipedia abgeschrieben hat, wenn man auch Wikipedia-Inhalte durchsucht. In diesem Fall ist die freie Nutzung ausdrücklich erlaubt. Nun könnte der kreative Schüler/Studierende/Politiker/Minister aber auch von Publikationen abschreiben, die unter anderen Lizenzen stehen. So kann man zum Beispiel eine kommerzielle Nutzung seiner Arbeit explizit verbieten oder nur gegen Rücksprache erlauben. Oder noch schlimmer: Man kann eine dieser hinterlistigen viralen Lizenzen benutzen, die eine Nutzung nur unter den selben Bedingungen erlaubt. In diesen Fällen wäre die Nutzung gegen die vom Autor gewählten Lizenzen und stellte damit zumindest eine Unheberrechtsverletzung dar.

Diese Beispiele zeigen, wie man den digitalen Raum endlich generell in einen Online-Versandhauskatalog umwandeln könnte - allerdings auf eine Art und Weise, bei der auch die bisherigen Nutznießer durch eine lückenlose Vergütungskette in der Wirtschaft zur Kasse gebeten würden. Dieses rechtliche Wettrüsten würde im besten Fall zu einem kalten digitalen Krieg (sprich: Stillstand am Status Quo) zwischen Contentproduzenten (sprich: allen Nutzern bzw. Konsumenten) und Contentverwertern führen. In weiterer Folge könnte es vielleicht nötig machen, dass man sich gemeinsam nach anderen Alternativen umsieht, die das Netz, wie wir es kennen, nicht völlig zum Stillstand bringt und nur Urheberrechtsanwälten eine finanzielle Zukunft und eine eigene Jacht sichert.

Denn auch ein "kalter digitaler Krieg", abgesichert durch gegenseitige Klagsdrohungen, löst noch nicht das generelle Problem, dass ein gesellschaftlicher Konsens gefunden werden muss, wie man in Zukunft mit Inhalten umgeht und wie eine Vergütung für alle Beteiligten aussieht. Wahrscheinlich führt hier an einer Content-Flatrate kein Weg vorbei, wenn man nicht weitere Jahre sinnlos in Geheimverhandlungen und Lobby-Veranstaltungen vergeuden möchte.

Hier ist explizit der Gesetzgeber gefragt, der dieses Gebiet - ähnlich wie davor schon im Fall neuer Technologien (Kopierer, Privatradio, Videorekorder etc.) - den Klagewellen durch einheitliche Regeln der Klagswillkür mit dem Ziel entziehen muss, den einzelnen Bürger zu schützen! Zumindest wäre die Entkriminalisierung der Gesamtbevölkerung die Aufgabe von Politikern, die ihren Job ernst nehmen. Gerade siebenjährige Kinder müssen ja nicht nur vor Killer-Spielen sondern auch vor der sehr realen Gefahr geschützt werden, wegen des fehlgeschlagenen Downloads eines Songs auf Betreiben der Rechteverwerter von der Polizei befragt zu werden oder sich von einem SWAT-Team im eigenen Haus verhaften zu lassen.

Citizens in "digital failed states"

Weitere Implikationen für einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel ergeben sich durch die neuen Stellungen, die man durch Teilnahme am Informationsaustausch im Netz einnimmt. Denn wenn die Grenze zwischen "privat" und "gewerblich" verschwimmt und ein individueller Blog-Betreiber ähnlich haftet wie ein Medienunternehmen, welches auf eine große Anzahl an Mitarbeitern und Einnahmen zurückgreifen kann, dann müssen durch diese Gleichsetzung auch die selben Rechte erwachsen und nicht nur die Pflichten. Wenn also ein auflagenstarkes Blog, welches tagesaktuell Inhalte produziert, durch Zugriffszahlen nachweisen kann, dass es national und international gut verbreitet ist, müsste dieses Medienwerk einerseits das Recht haben, um Förderungen anzusuchen (z.B. Presseförderung in Österreich), andererseits - und das ist demokratiepolitisch wichtiger - müssten die Betreiber die Schutz- und Entschlagungsrechte von Journalisten haben, wenn sie nach deren rechtlichen Maßstäben gemessen werden.

Es gibt selbstverständlich bereits (meist private) Initiativen in diese Richtung. So befindet sich in Deutschland mit C3S eine Verwertungsgesellschaft für Creative-Commons-Inhalte in Gründung (C3S - Caring for free culture). Es gibt Micro-Payment für Blog-Beiträge und eine aktive Zivilgesellschaft, die verzweifelt versucht, irgendwie über die dröhnenden Vorträge der Verwerter über den bevorstehenden digitalen Weltuntergang mit den Entscheidungsträgern in einen Dialog zu treten. Die letztendlich erfolgreichen Bemühungen zur Aushebelung von ACTA, SOPA und verwandter Verträge, die Formulierung digitaler Bürgerrechte in Deutschland sowie erste Gesetze zur Verankerung der Netzneutralität sind ein Beispiel dafür, dass es durch jahrelange Bemühungen und viel persönlichen Einsatz funktionieren kann, Regelungen zu verhindern, die die Dynamik im digitalen Raum nicht begreifen und ein sinnvolles Befolgen der Gesetze sehr schwer machen.

Letztendlich haben die Nationalstaaten zwar ihren Besitzanspruch auf "ihr" digitales Staatsgebiet angemeldet, allerdings haben sie es bisher unterlassen, ihren Aufgaben dort genauso nachzukommen wie in der realen Welt. Völkerrechtler könnten in diesem Zusammenhang böse von einem "digital failed state" sprechen, da die wesentlichen Fragen nach einer klaren Abgrenzung des Territoriums, der Sicherung der Staatsbürger- und Menschenrechte sowie der Gesetze und schließlich die Ausübung der Staatsgewalt im digitalen Raum nicht geklärt sind.

Das Recht auf Sicherheit und Eigentum

Staaten haben ihre Aufmerksamkeit bisher überwiegend zwei Themenfeldern geschenkt: Einerseits der Frage nach dem Eigentumsrecht (vor der Klärung digitaler Menschen- und Bürgerrechte) sowie andererseits Ausnahmeregelungen auf Grundlage der inneren und äußeren Sicherheit, die das digitale Staatsgebiet de facto unter ein permanetes Cyber-Kriegsrecht stellen, welches die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte ohne ausreichende Verhältnismäßigkeitsprüfung außer Kraft setzen.

Ohne die Klärung der grundsätzlichen Rahmenbedingungen sind Anlassgesetzgebung und Sonderregelungen für einzelne Gruppen der Gesellschaft nicht nur unfair, sondern staatsrechtlich äußerst bedenklich und bei der Lösung im Sinne aller Bürger kontraproduktiv. So sind die negativen Folgen in beiden Bereichen absehbar:

Als Negativbeispiel für den Versuch, die digitalen Eigentumsverhältnisse zu regeln, sei hier der Entwurf des neuen deutschen Leistungsschutzrechts erwähnt: So beschreibt beispielsweise Dr. Till Kreutzer in seinem Kommentar zum Entwurf ausführlich, wie die Regelungen in ihrer jetzigen Form nur zu "neuen Abmahn- und Klagewellen und eine[r] über viele Jahre andauernde Rechtsunsicherheit in ungekanntem Ausmaß" führen werden. Außerdem sei der Schutzgegenstand nicht ausreichend definiert:

Wenn es der Text ist, erstreckt sich das Leistungsschutzrecht dadurch, dass auch kleinste Ausschnitte geschützt werden sollen, auf die Sprache selbst. Eine Quasi-Monopolisierung der deutschen Sprache wäre die Folge, jedenfalls soweit es die öffentliche Kommunikation zu gewerblichen Zwecken anbelangt. (...) [Der Entwurf] lässt damit auch die Frage offen, welche Nutzungshandlungen vom neuen Recht eigentlich erfasst werden sollen.

Referentenentwurf zum Leistungsschutzrecht: Eine rechtspolitische Analyse

Kurz zusammengefasst: Wenn man nicht weiß, für welchen Raum, in welchen Umfang und für welche Personengruppen und Anwendungsfälle eine Regel gelten soll, schafft man mit unüberlegten Entwürfen, die nicht alle teilnehmenden Parteien berücksichtigen, nur noch zusätzliche Probleme. Dabei ist die im Kommentar ebenfalls zitierte Bilanz von Spiegel-Autor Konrad Lisxhka besonders schön auf das gesamte Problemfeld auszudehnen:

[Die Koalition] hat es in den drei Jahren Debatte nicht geschafft, die Unklarheiten bei dem Vorhaben auch nur zu benennen. (...) [Es] fehlt jeder Hinweis auf neue Ideen, wie ein Leistungsschutzrecht aussehen könnte, das die Zitatfreiheit im Netz sichert und innovative Netzangebote fördert.

Abschließend sei erwähnenswert, dass es nicht gesagt ist, ob diese neuen Regelungen überhaupt EU-rechtskonform sind und nicht aufgehoben werden, wenn sie die Angelegenheiten anderer EU-Länder berühren. Trotz dieser Probleme sehen die politischen Vertreter der Bürger offensichtlich keinen Änderungsbedarf und möchten so ein nicht ausreichend bestimmtes Gesetz, welches eine Reihe von Folgeschäden nach sich zieht, gegen den Willen des überwiegenden Teils der Landes- und Unionsbürger zu deren Nachteil beschließen. Für die Rechtskundigen wäre hier der Schnitt zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu ziehen.

Das Recht der Allgemeinheit auf Kultur vs. das Recht des Einzelnen für seine Werke

Der Ausgleich zwischen den Rechten des Einzelnen und dem größeren Anspruch der Gesamtgesellschaft auf Information, Bildung und Kultur wurde historisch immer wieder diskutiert. So war beispielsweise eine der Forderungen der französischen Revolution ein freier Zugang zu den Archiven und auch das Urheberrecht sucht grundsätzlich nach einer Balance zwischen den Urheber- und Verwertungsrechten, die dem Autor ein Auskommen sichern sollen und dem Recht der Allgemeinheit, diese Werke für sich und ihre Kinder zu entdecken und langfristig als Teil der Kultur der Region zu nutzen.

Die Hauptproblematik ist auch hier eigentlich, dass der Staat es versäumt, die wohlerworbenen Rechte - und auch Pflichten - der Bürger im digitalen Raum zu vertreten, die diesen aber laut Verfassung zustehen, wenn wir schon von einer Rechtsgeltung im fiktiven "deutschen", "schweizer", oder "österreichischen" Teil des Netzes sprechen müssen (siehe dazu wieder beispielsweise: Till Kreuzer Überblick über die Entwicklung der Gesetze zum "geistigen Eigentum" in Deutschland, Europa und international). Als Beispiel hier nur kurz die eMail, die eigentlich analog unter dem Postgeheimnis stehen müsste, es aber nicht tut, weil einzelne Gruppen die Gunstt der Stunde nutzen, im digitalen Raum einfach gar keine Rechte, sondern nur Pflichten gelten zu lassen.

Dabei ist auch hier die Genese des Problems durchaus nachvollziehbar: Da sich Regierungen überwiegend von eigenen Experten beraten ließen und diese in Bezug auf das Internet überwiegend in Nachrichtendiensten, der Polizei und dem Militär zu finden waren, konnten die Interessen dieser Gruppen gut durchgesetzt werden. Andererseits gab und gibt es kaum Wirtschafts-, Bürgerrechts- oder Kulturberater, die den selben Einfluss haben und durch Einbringen ihrer Interessen einen Ausgleich schaffen können, wie er in einer Demokratie vorgesehen wäre. Wenn man sich das fortschreitende Wachsen der digitalen Datennetze und die Durchdringung immer größerer Bevölkerungsgruppen vor Augen hält, wäre hier dringend Handlungsbedarf (siehe Grafik) gegeben.

Hier herrscht folglich ein Vakuum, welches die Politik seit den frühen 1990ern fahrlässig ermöglicht und welches insbesondere Wirtschaft und Lobbyisten dazu ermutigt, zur Selbstjustiz zu greifen. In diesem Kontext muss man auch die Versuche sehen, eine Urheberrechtsnovelle gegen den offenkundigen Willen der Mehrheit der Staatsbürger durchzusetzen und an der demokratischen Generaldiskussion um digitales Staatsgebiet vorbeizuschummeln.

All die Interessensgruppen, die es bisher geschafft haben, sich Gehör zu verschaffen sind aber nur ein Teil des Spektrums. Hier ist auch das eigentliche Problem: Wir haben einen Systemübergang, der von den ohne Alternativplan und an das System angepassten Personen schmerzlich wahrgenommen wird. Diese Personen haben jahrzehntelang mühsam um eine gute Position im alten System gerungen und Nachteile auf sich genommen, nur um zu sehen, dass diese Position jetzt - wo sie endlich die Früchte ihrer Arbeit ernten könnten - durch den Fortschritt stark beeinträchtigt wird.

Ich kann hier als warnende Beispiele nur die Musik- und Filmindustrie aufzeigen, durch deren Kampagnen sich Künstler und Publikum entfremdet haben und bei der dann der einzelne Künstler wirklich zwischen die Fronten gerät. Auch hat es die Musikindustrie durch ihr langes Zögern geschafft, die Zeit, die sie sich durch neue Gesetze und das Klagen von Kindern und Senioren verschafft haben, nicht zu nutzen, sondern ohne nennenswerte Reformen verstreichen zu lassen. Besonders erwähnenswert ist hier die äußerst kreative Schadensberechnung der Musikindustrie, wie sie Rob Reid in seinem TED-Talk fröhlich zerpflückt (Rob Reid: The $8 billion iPod). In der Folge wird Musik nun über alternative Plattformen vertrieben und arbeiten manche Künstler sogar schon an der Musikindustrie vorbei direkt mit diesen Portalen zusammen.

Dies führt zu einer sehr schwierigen Position des einzelnen Künstlers, der sich zwischen allen Fronten wiederfindet. Durch die unterschiedliche Integration der Künstler in eines der Systeme gibt es auch kaum eine einheitliche Position. Während hier ein gesamtgesellschaftlicher Dialog und einheitliche Regelungen für alle Wirtschafts- und Kulturzweige sinnvoll wären führen Die plakativen Einzelaktionen der Verwertungsgesellschaften eher zu gegenteiligen Reaktionen, wie die satirische Kampagne "Home Sewing is killing Fashion" eindrucksvoll vor Augen führt.

Logik at work: Home Sewing is killing Fashion. Bild: Public Domain

Entrüstete Künstler sollten auch bedenken, dass - zumindest wenn sie schon einmal Kafka gelesen haben - sie ebenfalls aktiv gegen die offenkundigen Urheberrechts- und Verwertungseinschränkungen eines ihrer berühmteren Kollegen verstoßen haben. Denn Kafkas Werke wurden nicht verbrannt, sondern raubkopiert, remixed und dann posthum aufgelegt.

Hier sehen wir also nochmals das Wirken der Balance zwischen Einzelrechten des Künstlers und der Gesamtgesellschaft, die von Künstlern für die (natürlich relativ gesehen) freie Ausbildung, Förderungen, defizitäre Institutionen usw. im Gegenzug das Recht einfordert, dass es kein absolutes Recht des Künstlers an seinem Werk gibt (welches ja immer auch an die Gesellschaft gebunden ist, in der es entsteht), sondern das Werk letztendlich als Teil des weltweiten Kulturschaffens allen gemeinsam gehört.

Ein exklusives Verwertungsrecht bis 70/90 Jahre NACH dem Tod des Künstlers, welches unter anderem mit der zynischen Begründung, dass so die Familie der Künstler erhalten wird, ist in diesem Zusammenhang einfach nicht mehr einsichtig.

Einzelpersonen und kleine Institutionen sind dabei immer schon die perfekten Bauernopfer gewesen, da sie sich wie Lemminge an die Linie großer Verwerter halten, statt ihre Agilität zu nutzen, um in dem entstandenen Vakuum bessere und neue Bedingungen für das künstlerisch tätige Individuum vorbei an traditionellen Kanälen auszuhandeln.

Tragikomisch ist ja auch, dass die einzige Konkurrenz großer Verwerter - nämlich kleine, lose Einheiten, die besser operieren könnten - sich durch diesen Kadavergehorsam selber ins wirtschaftliche Aus drängen, statt eine neue Nische für sich zu erschließen.

Und auch an der Verwerterfront tut sich einiges, wenn sich, wie oben erwähnt, die erste Creative-Commons-Verwertungsgesellschaft (C3S in Dtld) in Europa konstituiert. Das bedeutet, dass sie europaweit in direkte Konkurrenz zu bestehenden Organisationen tritt und auch einen Teil der Abgaben bekommen muss, weil man sich als Künstler ja auch über das europäische Ausland vertreten lassen kann.

Je besser die Lobbyisten jetzt ihre Arbeit machen, desto größer ist daher in Wirklichkeit der Schaden für die Kunstschaffenden und alle anderen, die an einer langfristigen Lösung interessiert sind. Denn bei strengeren Regeln und mit dem Rechtsstaat nicht mehr vereinbaren Durchsetzungsorgien wird der Bürger zum Künstler, aber auch zum Konsumenten und wählt letztendlich einfach dadurch, dass eben nicht gekauft wird - sondern getauscht.

Die Lage im deutschsprachigen Raum bleibt daher wie immer hoffnungslos - aber nicht ernst.

Gernot Hausar ist Historiker. Forschungsschwerpunkte und Interessen sind Informationsaustausch und -transfer, Technologiegeschichte, Digital Humanities, Netzpolitik, Hacker sowie eLearning. buchfeedback@gmail.com.