Die drei Gesichter des Mario Bava (Teil 1)
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Der schüchterne Bava war 45 und seit 25 Jahren als Kameramann tätig, als er endlich ein Projekt in Angriff nahm, bei dem er von Anfang an als Regisseur firmierte. La maschera del demonio machte Barbara Steele zur Kultfigur. Der Kritiker Raymond Durgnat hat einmal geschrieben, sie sei die einzige Frau auf der Leinwand mit Augenlidern wie gefletschten Zähnen. Schon allein deshalb war sie die Idealbesetzung für einen Film, in dem es dauernd um Augen geht, um Risiken und Nebenwirkungen des Sehens. In einer Doppelrolle spielt Steele die als Hexe verbrannte Asa und ihre Verwandte Katia, der die Untote 200 Jahre später die Lebenskraft aussaugen will. Bei Bava wird daraus eine sehr sinnliche Abhandlung über Eros und Thanatos sowie über die männliche Angst vor der weiblichen Sexualität, die den Frauen nur diese Optionen lässt: sie müssen Heilige oder Hure sein, Jungfrau Maria oder Hexe.
Mit seinen vielen, präzise getimten Kamerafahrten und der opulent wirkenden Schwarzweiß-Photographie (das Licht wurde millimetergenau gesetzt wie für einen Farbfilm, weil das genauer abgestufte Grautöne ergab) sieht La maschera – wie alles von Bava – so aus, als habe er ein Vielfaches von dem gekostet, was tatsächlich zur Verfügung stand. Wer wissen will, aus wie wenig Bava so viel machte, sollte die Kutschfahrt durch den nächtlichen Wald studieren. Gedreht wurde auf einer Studiobühne, die so klein war, dass sich das Gefährt nur acht Schritte vor oder zurück bewegen konnte. Der Wald besteht aus Kameratricks und ein paar Zweigen, die von Helfern an der Kutsche vorbeigetragen wurden. (Wie das gemacht wurde, zeigt Bava im selbstironischen Ende von I tre volti della paura.)
Samuel Z. Arkoff und James H. Nicholson, die Chefs der Firma American International Pictures, flogen seit 1959 regelmäßig nach Rom, um dort Sandalen- und sonstige Genrefilme billig einzukaufen. La maschera del demonio erwarben sie für $ 100.000, ohne zu ahnen, dass sie damit bereits mehr als die gesamten Produktionskosten bezahlt hatten. Die gelieferte Synchronfassung fanden sie „technisch unakzeptabel“, weshalb Arkoffs Schwager in New York eine neue herstellte – ohne Barbara Steele, auch wenn diese später behauptete, sich selbst nachsynchronisiert zu haben (nur ein Originalschrei ist in dieser Fassung geblieben). Mit „technisch unakzeptabel“ war gemeint, dass der AIP einige Elemente (v.a. die sexuellen) als unpassend für ihre jugendliche Zielgruppe erschienen. Also wurde gekürzt und umgetextet.
Javutich, der mit Prinzessin Asa eine sexuelle Beziehung hatte und mit ihr am Anfang des Films gemeinsam hingerichtet wird, ist in der italienischen Version ihr Bruder. Bei der AIP wurde er zum Diener degradiert. Mit dem Inzest wurde auch gleich eine weitere Bedeutungsebene entfernt, denn der Großinquisitor ist ebenfalls Asas Bruder, und zwar der Zweitgeborene. Es geht also nicht zuletzt um Geld und Macht, wenn dieser Herr das Urteil an seinen Geschwistern vollstrecken lässt. Deutsche Synchronfassungen zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass sie sexuelle Elemente lieber dezent zurücknehmen, statt sie – wie die Amerikaner – ganz zu entfernen. In der deutschen Version (Die Stunde wenn Dracula kommt) ist der Mann, der mit Asa geschlafen hat, nicht mehr ihr Bruder, sondern ihr Vetter.
Der Film, der als Black Sunday in die US-Kinos kam, war amerikanisiert worden, hatte neben einigen nun in Schwarzblenden verschwindenden Gewaltsequenzen auch seine Ambiguitäten verloren. Statt der eher sparsam eingesetzten Musik von Roberto Nicolosi, die Bavas Bildern ihre Eigenständigkeit ließ, wurde der Film mit einer Neukomposition von Les Baxter zugedonnert (einiges davon ist von Nicolosi geklaut und uminstrumentiert), die das Publikum lenkt und zeigt, dass man bei der AIP kein Verständnis für Bavas Entscheidung hatte, in manchen Szenen auf Toneffekte ohne Musik zu vertrauen. Diese Eingriffe machten den Film kommerzieller. Die AIP verdiente viel Geld mit Black Sunday, was sich für Bava insofern positiv auswirkte, als Arkoff und Nicholson an weiteren Filmen interessiert waren. In Italien hatte La maschera del demonio kaum die Produktionskosten eingespielt. Ohne die Amerikaner wäre seine – nun offizielle – Regiekarriere vielleicht sehr schnell wieder vorbei gewesen.
Bava auf DVD
La maschera verbindet die schwarzweiße Märchenwald-Atmosphäre der alten Universal-Filme mit den expliziteren Gewaltdarstellungen der Hammer-Produktionen. Als die DVD eingeführt wurde, erwies sich das als sehr bedeutend. Unter den schon früh zum Umstieg bereiten Käufern gab es viele, die auf ihrem neuen Player gern Horrorfilme sehen wollten. Die Universal- und Hammer-Filme fehlten aber auf dem Markt; z.T. dauerte es Jahre, bis sie angeboten wurden. Für kleinere Labels eröffnete das die Möglichkeit, eine Marktnische zu besetzen. La maschera del demonio war das ideale Pilotprojekt. Im Dezember 1999 brachte die Firma Image Entertainment den Film in den USA auf DVD heraus. Obwohl als Black Sunday veröffentlicht, war auf der DVD (in einem hervorragenden Transfer) die von Bava hergestellte Schnittfassung zu sehen – wahlweise mit italienischem Originalton oder in der englischen Synchronfassung, die damals für den Export hergestellt worden und von der AIP verworfen worden war. Dazu gab es einen Audiokommentar von Tim Lucas, der sich als Autor eines umfangreichen Bava-Buches vorstellte, das im folgenden Jahr erscheinen würde (es hat dann doch ein bisschen länger gedauert).
Die Image-DVD ist bis heute vorbildlich. Lucas’ Kommentar ist anregend, äußerst informativ und eine Pionierleistung. Der Ruf des Horrorfilms leidet noch immer darunter, dass das Genre als unseriös gilt, weil es – verglichen mit der kanonisierten „Filmkunst“ – zu wenig seriöse Auseinandersetzungen damit gibt. Eine Ausnahme war Frankreich. Dort publizierte Eric Losfeld die Zeitschrift Midi-Minuit Fantastique (eine Art Cahiers du cinéma für Liebhaber des phantastischen Films), in der Autoren wie Raymond Durgnat, einer der Großen der europäischen Filmkritik, über das schrieben, was vom Mainstream vernachlässigt oder rundheraus abgelehnt wurde. Die Zeitschrift Positif widmete La maschera del demonio eine Titelgeschichte, und es ist bezeichnend, dass die Filme Mario Bavas in Frankreich, wo man sie mit dem Namen des Regisseurs verknüpfte (so wie man auch die etablierten Künste mit einem Urheber verbindet), viel weniger mit Zensur zu kämpfen hatten als in anderen Ländern. Der Grund dafür war nicht, dass es in Frankreich mehr Sadisten, Perverse und Dauerpubertierende gäbe als anderswo. Es gab dort aber eine ernstzunehmende Vermittlungsinstanz, die für mehr Verständnis dem Genre gegenüber sorgte und mit einigen liebgewordenen Vorurteilen aufräumte.
Lucas knüpft an diese Tradition an. Er demonstriert, dass man sich auf intellektuell anspruchsvolle Weise mit dem Horrorfilm beschäftigen kann – und dass das Genre eine solche Beschäftigung auch verdient. Auf dem deutschen DVD-Markt ist Vergleichbares zumindest insofern möglich, als einige Titel der bei Image erschienenen „Mario Bava Collection“ von der Firma e-m-s übernommen wurden: mit eigenem Zusatzmaterial, mehreren Tonspuren und mit Audiokommentaren von Tim Lucas (letztere leider ohne Untertitel). V.a. Lucas ist es wohl zu danken, dass inzwischen alle Hauptwerke Bavas in oft mustergültigen DVD-Editionen vorliegen. Manch einem Leser von Filmgeschichten mag das mitunter sogar absurd erscheinen: Von einem eher minderen Bava-Werk wie Eine Handvoll blanker Messer, einem Remake des Westerns Shane als Wikingerfilm, gibt es eine sorgfältig gemachte DVD. Dagegen wartet man seit Jahren auf Fritz Langs While the City Sleeps ebenso vergeblich wie auf fast alles von Max Ophüls, einem anderen Genie des deutschen Films. Und falls irgendwann G.W. Pabsts Cose da pazzi oder die frühen Kurzfilme von Roberto Rossellini wieder zugänglich gemacht werden, so vermutlich nur, weil Bava dort an der Kamera stand.
Pionier des Giallo
Die „Mario Bava Collection“ hat auch andere Anbieter motiviert, Filme des „Maestro des Makabren“ auf DVD herauszubringen. Zumindest seine offizielle Filmographie war aber endlich. Allerdings gab es da noch Sei donne per l’assassino, sozusagen die Mutter aller Gialli, jener auf stilvolle Eleganz, Schauwerte und stilisierte Gewalt setzenden Mischung aus Kriminal- und Horrorfilm. Wenn Bava schon vergeben ist, scheinen sich einige US-Firmen gedacht zu haben, dann bringen wir eben Gialli von Lucio Fulci, Sergio Martino oder Dario Argento auf sorgfältig gemachten DVDs heraus. So ist wieder einmal das eingetreten, was sich auch in anderen Fällen beobachten lässt: die Amerikaner machen sich weit mehr um die Bewahrung unseres filmischen Erbes verdient als wir, die Europäer. Wenn bei uns einer der von Bava inspirierten Gialli auf DVD erscheint, landet er meistens auf dem Index. Eigentlich ist das recht beschämend.
Der Name Giallo (das italienische Wort für gelb) kommt, indirekt, aus England. Der Verlag Hodder & Stoughton veröffentlichte dort die „Yellow Jackets“, eine Reihe von Kriminalromanen mit gelben Umschlägen, auf denen eine schauerliche Szene (am besten eine Jungfrau in Not) sowie, in Anlehnung an The Crimson Circle von Edgar Wallace, ein roter Kreis abgebildet waren. In Italien übernahm der Verlag Mondadori diese Aufmachung für seine eigene Reihe mit Thrillern (kurz: gialli) zumeist britischer oder amerikanischer Autoren.
Der erste Film-Giallo wurde vermutlich gedreht, als es den Begriff noch gar nicht gab: Carmela (1916) von Elvira Montari. 1933 entstand eine Wallace-Verfilmung mit dem Titel Giallo, und auch Bavas La ragazza che sapeva troppo gehört dem Subgenre an (ein Spielzeugflugzeug fliegt nach Rom, Adriano Celentano singt „Furore“ dazu, und anschließend wird die amerikanische Heldin mit der düsteren Seite der Schauplätze aus Fellinis La dolce vita und einer bizarren Kriminalhandlung konfrontiert, die vielleicht nur einer Marihuana-Phantasie entsprungen ist). Sei donne (Blutige Seide) ist also nicht der erste aller Gialli, aber doch der, der Maßstäbe setzte. Ein Mörder, der sich unter Mantel, Hut und weißer Gesichtsmaske verbirgt, tötet, wie schon der italienische Titel sagt, sechs Frauen. Bava führt in 88 Leinwandminuten fast alles ein, was seither den Giallo ausmacht. Dazu ein Zitat aus dem Buch von Tim Lucas:
Aus den Instrumenten des Verbrechens einen Fetisch machen; das beschleunigte und plötzlich zum Stehen kommende Atmen von halbnackten, vollbusigen Opfern erotisieren; eine Atmosphäre des Schreckens aus der Schönheit der Schauplätze heraus erschaffen und romantisieren; den Tod wie einen Orgasmus filmen und Leichen wie Engel … daraus wurden die Markenzeichen der besten Gialli, die auf Sei donne per l’assassino folgten.
Der Schluss drängt sich auf: So etwas kann nur, so etwas muss frauenfeindlich sein. Aber stimmt das auch? Jeder der Morde ist ein filmisches Bravourstück und als visuelles Erlebnis inszeniert: mit eleganten, äußerst präzisen Kamerafahrten, in grellem Rot (für Blut) und geistergleichem Grün (für Tod). Der Inspektor weiß gleich, dass wir es mit einem perversen Sexualverbrecher zu tun haben, der seine Lust befriedigt, indem er schöne Frauen umbringt. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu der Feststellung, dass hier ein Regisseur Frauen umbringt, damit das (männliche) Publikum seine Befriedigung daraus ziehen kann. Nur: Die Polizei ist im Giallo primär dazu da, das scheinbar Offensichtliche zu Protokoll zu geben, das anschließend als allzu schlicht entlarvt wird. (Pedro Almodóvar macht sich am Anfang von Matador über solche Interpretationsansätze lustig, indem er Antonio Banderas beim Betrachten von Sei donne masturbieren lässt.)
Alle Verbrechen geschehen im Umfeld eines Modesalons. Hinter dieser Fassade des Schönen finden allerlei unattraktive Aktivitäten statt (das Morden ist nur eine davon). Der Film führt vor, wie die Modeindustrie Frauen zu Objekten macht. Bava verfällt dabei auf den Kunstgriff, dass er sterbende und tote Frauen so zeigt, wie man sie sonst nur zu sehen bekommt, wenn sie am Leben sind (er benutzt dabei seine „Madonna-Ausleuchtung“, die nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass aus Gina Lollobrigida ein Star wurde). Das wirft die Frage auf, was generell von der Art zu halten ist, wie wir unsere ästhetischen Vorstellungen auf die Frauen anwenden. Wenn sie im Tod anstößig ist, wie ist das dann im Leben?
Sei donne per l’assassino hat man oft vorgeworfen, dass es nur um das Zeigen von Morden geht, verknüpft durch eine extrem rudimentäre Handlung. Man kann das auch freundlicher formulieren. Bava kommt ohne die übliche Heuchelei aus, versteckt die Gewalt nicht hinter glaubwürdigen Geschichten und psychologisch ausgearbeiteten Charakteren. Das ist gelegentlich schwer auszuhalten. Aber wäre es so viel besser, wenn der Mörder im Rahmen eines ausgeklügelten Szenarios töten würde, und wenn die Opfer ohne Loch in der Bluse sterben würden wie die Banditen in Bonanza, wenn sie von Little Joe vom Pferd geschossen werden? Es gibt Filme mit Frauenmördern, die Über- oder Untermenschen sind und die man leicht in eine Ecke stellen kann, weil sie nichts mit uns zu tun haben. Bavas Killer trägt ein weißes Tuch und wird damit zur Projektionsfläche für uns, das Publikum. So ist Sei donne auch ein Film über die Schaulust und die weniger reputierlichen Aspekte der Kinematographie.