Die dunkle Seite der Liebe
Eifersucht, Stalking, Mord: Wenn Liebe krankhaft wird
Liebe kann gefährlich sein – wenn sie auseinander geht. Wie schlimm die Folgen sein können, hängt allerdings von der kulturellen Umgebung ab.
Eigentlich ist sie gar nicht zuhause, doch im letzten Moment hat der Freund aus Jugendzeiten, mit dem sie eine Messe besuchen wollte, sich den Fuß verstaucht und fühlt sich außerstande, nun stundenlang von Messestand zu Messestand zu spazieren. Dass ihr lange angekündigter Messebesuch ins Wasser gefallen ist, will sie ihren Freunden gegenüber auch nicht zugeben und geht mit ihrem Bekannten deshalb nicht wie üblich ins Café, sondern lädt ihn zu einem Schwatz zu sich nach Hause ein.
Sie reden, sie lachen, sie erinnern sich an alte Zeiten. Darüber wird es dunkel, sie zündet eine Kerze an, doch weil niemand anruft – alle wissen ja, dass sie gar nicht da ist – vergessen sie die Zeit. Bis plötzlich doch das Telefon klingelt. Da fällt ihr ein, dass sie ja gar nicht hingehen kann, sie ist ja schließlich offiziell nicht da und wenn sie nun plötzlich doch da ist und dann nicht alleine, wer weiß, was das wieder für Gerüchte auslöst…
Das Telefon hört auf zu klingeln, der Anrufbeantworter springt an. Doch außer einem lauten "Klack" hinterlässt der Anrufer nichts. Zwei Minuten später klingelt allerdings schon wieder das Telefon, kaum dass sie das unterbrochene Gespräch fortführen wollen. Wieder hinterlässt der Anrufer nichts. "Ja, siehst Du, so schrecklich ist das bei mir: Normal habe ich nie Ruhe – ständig will irgendwer etwas mit mir unternehmen!". Und schon klingelt wieder das Telefon. Wieder keine Mitteilung auf dem Anrufbeantworter.
Plötzlich klingelt es an der Tür. Der Besuch schaut langsam entnervt, sie erstarrt schlagartig und wird bleich. Sie bedeutet dem Besuch mit einem Finger auf den Lippen, zu schweigen, löscht das Licht und bittet ihn durch Gesten, ihr ins angrenzende Schlafzimmer zu folgen. Dann schließt sie die Verbindungstür hinter sich.
Nein, es folgt nicht, was mancher jetzt denkt. Vielmehr erklärt sie ihrem Besucher flüsternd "Das ist mein Ex! Er muss das Kerzenlicht gesehen haben und weiß, dass ich da bin!". Währenddessen klingelt erneut das Telefon und an der Tür wird Sturm geklingelt. Das Telefon abzuschalten, traut sich nicht, sie traut sich nicht einmal mehr zurück ins Wohnzimmer. Sie beginnt zu zittern und bittet ihn "Ich habe Angst, bitte bleib heute Nacht bei mir".
Sie enden – angezogen – im Bett, sie zittert und weint in seinen Armen, während an der Tür weiter Sturm geklingelt wird und auch das Telefon keine Ruhe gibt und er sich langsam fragt, wann die Nachbarn endlich die Polizei rufen, da es mittlerweile nach Mitternacht ist und im Haus sicherlich niemand an Schlaf denken kann. Sie meint nur "Der ist hartnäckig, der bleibt bis zum Morgen“ und er überlegt sich, wie er wohl noch heil aus dieser Situation heraus kommt oder ob in wenigen Minuten einer der Nachbarn die Haustür öffnet, der Ex-Liebhaber die Wohnungstür eintritt, sie beide im Bett vorfindet und ihn niedermetzelt.
Doch es ist eine kalte Dezembernacht und nach zweieinhalb Stunden ist der stürmische Ex-Liebhaber genügend abgekühlt, um freiwillig nach Hause zu gehen. Sie schläft erschöpft ein, er erwartet gespannt den Morgen. Als er schließlich gemeinsam mit ihr das Haus verlässt, schauen zwar einige Nachbarn neugierig hinter den Scheiben hervor, aber es erwartet sie niemand mehr vor der Tür. Es ist ein ganz normaler grauer Montagmorgen.
Ein normaler Mensch sollte es akzeptieren, wenn nach dem zweiten an-der-Tür-klingeln nicht geöffnet wird und heimgehen. Doch wenn Gefühle im Spiel sind, bleibt die Vernunft auf der Strecke. In diesem Fall ist außer einer schlaflosen Nacht nichts passiert und die Szene hat sich auch nicht wiederholt. Peinlich war es trotzdem für alle Beteiligten. Es muss dazu nicht einmal das Ende einer langwierigen Beziehung sein, schon eine gemeinsame Nacht kann gekochtes Kaninchen zur Folge haben wie in der "verhängnisvollen Affäre". Und egal, ob zuvor tatsächlich eine Beziehung bestand oder die Liebe immer nur von einer Seite kam, die Verwandlung von Verliebtheit in Besessenheit ist nichts Ungewöhnliches.
Manchmal mag der Partner dazu beigetragen haben, indem er herumgespielt hat oder untreu war, manchmal hatte er lediglich Angst vor den Gefühlsausbrüchen des Anderen und sich genau deshalb verweigert. Die Polizei greift in solchen Fällen nur ein, wenn ernsthafte Gefahr besteht, da sie ohnehin nicht feststellen können, was wirklich los ist: die Variante, wie in "Liebe mich, wenn Du Dich traust", den Liebhaber erst zu bestellen und dann die Polizei zu rufen, existiert schließlich auch noch.
Vorsicht Nebenwirkungen
Die Liebe ist auch so schon kompliziert genug und niemand denkt gerne daran, dass Eifersucht, Wut, Abweisung, Hass, häusliche Gewalt, Besessenheit, Stalking und im Extremfall Mord die Folgen sein können, wenn einer der Partner die Beziehung beenden oder gar nicht erst beginnen will. Viele Psychologen glauben, dass romantische Leidenschaft und Zwangsstörungen (obsessive-compulsive disorder) sich ohnehin ziemlich ähneln. Und während Mord glücklicherweise die Ausnahme darstellt, ist Stalking weit häufiger, als man wahrhaben möchte.
Wie der New Scientist in seiner neuesten Ausgabe berichtet, werden in den USA jährlich über eine Million Frauen und mehr als 370.000 Männer gestalkt. Stalking besteht aus drei Komponenten: unerwünschter Verfolgung oder Belästigung, echter Bedrohung und Furcht des Opfers. Eine Untersuchung von Brian Spitzberg an der San Diego State University in Kalifornien ergab, dass 23,5% der Frauen und 10,5% der Männer gestalkt worden waren. In einer großen amerikanischen Studie berichteten die meisten Opfer, dass sie verfolgt oder ausspioniert wurden, unerwünschte Anrufe, Briefe oder Geschenke bekamen, ihr Grundstück oder Eigentum verwüstet und sogar ihre Haustiere getötet wurden.
Die Verfolgung hielt durchschnittlich über mehr als anderthalb Jahre an; mehr als zwei Jahre, wenn der Stalker ein früherer Sexpartner war. Dreiviertel der weiblichen Opfer kennen ihren Stalker und über die Hälfte werden von einem gegenwärtigen oder früheren Sexpartner verfolgt. Von diesen werden 21% bereits vor dem Ende der Beziehung verfolgt, 43% nach deren Ende und 36% sowohl als auch. Bei den Männern kennt über die Hälfte ihren Stalker bzw. ihre Stalkerin, doch Beziehungen als Ursache sind hier seltener. Andere Untersuchungen zeigten, dass Stalking in 55 bis 89% der Fälle die Vorstufe zu Gewalt ist, wenn eine Beziehung der Auslöser war.
Warum gerät Liebe außer Kontrolle?
Was jedoch eigentlich diese Ursache für ein Verhalten ist, dass bei klarem Kopf jeder verurteilt, auch der Stalker, ist den Forschern noch nicht ganz klar. J. Reid Meloy von der University of California in San Diego und Helen Fisher von der Rutgers University in New Jersey vermuten, dass die Ursachen in der Kindheit liegen, wenn ein Elternteil stirbt oder infolge einer Trennung verschwindet. Sie glauben auch, dass erhöhte Dopamin-Aktivität, möglicherweise in Verbindung mit geringen Serotoninpegeln, dieses Verhalten verstärkt. Beunruhigend ist dabei, dass moderne Technologie ("Mach mir nichts vor, ich weiß, wo du bist") und unbeabsichtigt dem Internet überlassene Daten Stalking einfacher machen.
Theorien, dass romantische Verliebtheit eine neuzeitliche kulturelle Erfindung ist und sexuelle Eifersucht in exotischen Gesellschaften unbekannt sei, sind von Anthropologen längst widerlegt worden: Liebe und Eifersucht finden sich in allen Kulturen und sozialen Schichten. Das Fehlen von Eifersucht würde von den meisten Menschen ja auch als Desinteresse des Partners und Ende der Beziehung interpretiert. Gefährlich wird es erst in dem Moment, wo die Gefühle außer Kontrolle geraten. Insbesondere Männer betrachten ihren Partner oft als persönlichen Besitz und vor allem sehen sie es als Gesichtsverlust, wenn sich die Partnerin provozierend in aller Öffentlichkeit von ihnen trennt und sie zum Gespött der anderen werden. Auch dies ist kulturübergreifend der häufigste Auslöser für Mord aus Leidenschaft.
Auch wenn die Frau vor dem Mann flüchtet, weil er beispielsweise regelmäßig betrunken ist und sie dann angreift, ist ihre Gefahr, getötet zu werden, nach der Trennung höher als innerhalb der missbräuchlichen Beziehung. Der umgekehrte Fall, dass eine Frau ihren Mann umbringt, ist seltener und dann oft eine Notreaktion, um ihm zuvorzukommen.
Eifersuchtsmorde sind gesellschaftsabhängig
Dennoch ist der Mord aus Leidenschaft die Ausnahme und seine Häufigkeit im Gegensatz zu den zu Grunde liegenden Gefühlen tatsächlich von der jeweiligen Gesellschaft abhängig: In Papua-Neuguinea konnte ein Ethnologe beispielsweise bei den Lusi-Kaliai feststellen, dass fast alle Frauen irgendwann einmal von ihrem Mann geschlagen wurden, während bei den Wape, einem anderen Stamm, solche Verhaltensweisen praktisch unbekannt waren. Auch in modernen, zivilisierten Gesellschaften schwankt der Prozentsatz von Frauen, die von ihren Ehemännern geschlagen worden, von 10% bis über 50%.
In Großbritannien töten jedes Jahr über 100 männliche Briten ihre Partner oder Ex-Partner, wobei eine Untersuchung ergab, dass diese Männer eher "ganz normaler Jungs" waren als typische Kriminelle, aber dennoch eine unstabile Vergangenheit haben. In den USA liegt die Zahl mit 1000 Frauenmorden im Jahr zehnmal so hoch und auf die Bevölkerungszahl bezogen immer noch doppelt so hoch wie in England. Dennoch wird dies als Fortschritt angesehen: In den 80er-Jahren waren es noch über 1400 Frauenmorde im Jahr. Als Ursache für die Abnahme wird die bessere Unterstützung für bedrohte Frauen angesehen. Und solange Eifersucht keine tödlichen Folgen hat und in Maßen bleibt, hält sie Paare durchaus zusammen und sorgt dafür, dass Untreue unterbleibt oder zumindest nicht gleich zu einer Auflösung der Beziehung führt. Übertriebene Eifersucht kann allerdings den Partner in die Flucht und in die Arme anderer treiben.
Doch es gibt auch falsche Stalking-Vorwürfe. Im eingangs erwähnten Beispiel wurde der Bekannte, der die Nacht mit durchgezittert hatte und sich später bei seiner Jugendfreundin erkundigte, weil er sich um ihr Wohlergehen Sorgen machte, schließlich selbst bezichtigt, ihr zu nahe zu treten. Ein Missverständnis, da die Betroffene zu viel Angst vor dem echten Stalker hatte, um ihren Bekannten die ganze Wahrheit zu erzählen, diesen jedoch davon berichtet hatte, verfolgt zu werden und auch, ihren Jugendfreund wiedergetroffen zu haben Ein „Wie bitte – ich Dir nachrennen – na das hättste wohl gerne?!?" vor Zeugen wurde schließlich zum empörten Ende der Freundschaft…