Die gefallenen Engel des grün-schwarzen Mainstreams

Seite 2: Die Notwendigkeit einer Diskurs- und Medienkritik

Im Standard spottet Harald Fiedler über die Aufregung mancher deutscher Medien, ein anderer Text analysiert Prechts Verhältnis zu den Medien.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bespricht "Die vierte Gewalt" im Profil, und ist nicht unkritisch:

Hier geht man maximal aufmerksamkeitsstrategisch vor: dramatische Befunde, scharfe, plakative Attacken, kurze, schnelle Sätze, Ausrufezeichen – Gottfried Benn nannte sie "Lärmstangen" – in Serie. ... strikt empirisch betrachtet, sind die Befunde nicht so klar, wie die Autoren meinen. Weder im Fall der Flüchtlingskrise noch im Fall der Pandemie hat es die eindeutige Mehrheitsmeinung und den hegemonialen Scheinkonsens von Leitmedien im Feld der journalistischen Berichterstattung in dieser Form gegeben. Und für die Ukraine-Krise gibt es – jenseits gefühlter Realitäten – noch keine aussagekräftigen Studien.

Medientheoretisch gesehen gilt des Weiteren, dass die Autoren zwei Paradigmen miteinander verschrauben, die einfach nicht zusammenpassen wollen. ... Mal kurz persönlich gesprochen: Es ist, denke ich, ein Jammer, dass dieses so zupackend geschriebene Buch offenbar so hastig entstanden und damit so leicht angreifbar ist, weil es den Moment hätte markieren können, in dem eine fundierte, nicht auf Vernichtung, sondern auf Verbesserung zielende Medienkritik den Mainstream der Großöffentlichkeit erreicht.

Bernhard Pörksen, Profil

Er gibt aber der Substanz der Kritik recht und fragt nach:

... was würde passieren, wenn man beginnen würde, ein ganz anderes Spielfeld zu suchen? Ein Spielfeld, in dem man – jenseits von Dominanz-Wille, Marketing-Getöse und Positionierungseifer – für einen Moment tatsächlich miteinander spricht, explorierend und nicht vorschnell definierend, also insgesamt weniger sicher?

So gesehen könnte bei aller Kritik das aktuelle Buch von Richard David Precht und Harald Welzer ein willkommener, einigermaßen paradox eingefädelter Auftakt sein, um endlich in der Breite der Gesellschaft über die Maßstäbe und die Notwendigkeit einer Diskurs- und Medienkritik zu disputieren, die es tatsächlich unbedingt braucht.

Bernhard Pörksen

Enttäuschte Liebe

Die Erregung ist diesmal wohl auch deshalb so besonders groß, weil Harald Welzer und vor allem Richard David Precht zwei gefallene Engel des grünen Bildungsbürgertums, der moralisierenden grün-schwarzen urbanen Mitte sind.

Solange Welzer über drohende Klimakriege und die Freunde der offenen Gesellschaft schrieb, für "Selber denken" eintrat und ein Untertitel "Anleitung zum Widerstand" noch nicht querdenkerisch konnotiert war, solange Precht für Veganismus plädiert und Pflichten einfordert, solange waren beide die Guten.

Wenn zu den Pflichten auch die Selbstbescheidung der Medien gehört, und Askese nicht allein das Fleischessen betrifft, sondern auch das Twittern, dann ist es auf einmal böse.

Anders als in Schwarz-Weiß Mustern können die postmodernen Öffentlichkeiten nicht mehr denken. Grautöne sind von gestern, sind "80er Jahre", wie es die Spiegel-Frau Melanie Amann bei Markus Lanz penetrant mehr als einmal sagte.