Die gefallenen Engel des grün-schwarzen Mainstreams

Seite 3: Medien werden ein Teil der Macht

Viele der jetzt aufgebrachten Vorwürfe gegen das Buch sind offenkundig falsche Tatsachenbehauptungen oder an den Haaren herbeigezogene Verdrehungen und Abweichungen vom eigentlichen Inhalt.

Medien werden ein Teil der Macht. Darum distanzieren sich die Beherrschten von den Medien. Aber die Medien müssten eigentlich Vermittler sein, Vermittler der Macht gegenüber den Beherrschten und andererseits der Beherrschten gegenüber der Macht.

Die Medien vermitteln immer weniger, oft gar nichts mehr außer ihre eigenen Standpunkte und zwar mit Macht gegenüber Beherrschten und gegenüber den Regierenden

Von "Selbstgleichschaltung der Medien" ist im Buch übrigens nicht die Rede. Sehr wohl aber sprach bereits vor acht Jahren der Autor Thomas Meyer, Politikwissenschafter und SPD-Vordenker, davon: In seinem Essay "Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren".

Hier bereits finden sich wie bei Welzer/Precht die Fälle Wulff und Steinbrück, die Kritik an Journalisten als "Co-Politikern", ihre "Gatekeeper"-Funktionen und das Bestimmen, was überhaupt Thema sein darf und was nicht. Dazu Niklas Luhmanns Analyse der Massenmedien.

Sehnsucht nach Bestätigung und Sicherheit im Meer der Irritationen

Ist "Die Vierte Gewalt" nun ein gutes und wichtiges Buch? Wichtig ist es, eben weil es die oben beschriebenen Reaktionen und Debatten triggert, weil es Fragen aufwirft.

Gut ist es nur mit Einschränkungen. Viele wichtige aber wenige neue Dinge stehen drin. Sie sind passabel zusammengefasst, insofern ist vieles auch als medientheoretische Einführung lesbar.

Zugleich merkt man dem Buch an, dass es sehr schnell geschrieben ist. Vieles ist unausgewogen, stellenweise verliert es sich in Einzelheiten und Details, die manchmal vom Kern ablenken, die man manchmal so genau gar nicht wissen will und auch nicht wissen muss, um die Essenz der wichtigen Thesen der Autoren zu verstehen.

Insgesamt ist das Buch von Welzer und Precht eine nicht ungeschickte Zusammenfassung, stellenweise auch Kompilation aus verschiedenen Klassikern wie Jürgen Habermas Buch "Strukturwandel der Öffentlichkeit", Niklas Luhmanns Analyse der Massenmedien und Werken des Sozialpsychologen Erving Goffman. Darüberhinaus werden Umfragen und Untersuchungen herangezogen.

Trotzdem: Das Buch ist ein großer Wurf mit richtigen Thesen, die leider nicht ausgearbeitet sind, sondern mehr essayistisch hingeschrieben.

Was Leitmedien sind, wird nicht deutlich genug klargemacht. Die Begriffe "Leitmedien" und "Qualitätsmedien" sind oft genug selbst Behauptungen eben jener Medien.

Eine Medienkritik auf der Höhe unserer digitalen Zeit müsste diese Selbstbeschreibung infrage stellen. Sie braucht viel Empirie, das harte Bohren dicker Bretter, das Harald Welzers Sache, wenn er will, durchaus ist.

Sie braucht die Reflexion darüber wie die Prozesse in den Medien tatsächlich ablaufen, zwischen den immer noch vorhandenen krakeelenden Alphatieren, den eitlen Kommentatoren und "Einschätzern", den immergleichen "Experten", den fleißigen Arbeitsbienen, den in Kauf genommen Poeten der "guten Story" zwischen Dichtung und Wahrheit und einem Publikum, dass sich für Wahrheit viel weniger interessiert als für Bestätigung der eigenen Ansichten und Sicherheit im Meer der Irritationen.

Richard David Precht, Harald Welzer: "Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird"; S. Fischer. Frankfurt 2022

Thomas Meyer: "Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren"; Suhrkamp, Berlin 2015