Die gestohlene See
Die britische Fischerei und der Brexit
Das EU-Referendum sah Großbritanniens Fischer vereint in der Hoffnung, dass bei einem Austritt aus der Europäischen Union die verordneten Quoten fallen und sie von der von vielen als wirtschaftlich, sozial und ökologisch verheerend angesehenen Gemeinsamen Fischereipolitik der EU erlöst würden. Die sahen die Briten von Anfang an als ein französisches Konstrukt, das der Rolle des freien Marktes zu wenig Bedeutung beimaß und stattdessen auf Regulierung setzte. Durch das Prinzip des "gleichen Zugangs" seien die vormals britischen Fischbestände konfisziert und unter den EU-Mitgliedern aufgeteilt worden - 80% des westeuropäischen Fischs, von dem den Briten selber nur ein Bruchteil blieb, in Form von Quoten, die sie sich auch noch mit "Quota hoppern" teilen müssten: ausländischen Fischereifahrzeugen unter britischer Flagge.
Der Wahlkreis Moray gilt als euroskeptischste Gegend Schottlands. Ganz in der Nähe liegen die großen Fischereihäfen von Peterhead und Fraserburgh, und da gibt es durchaus einen Zusammenhang. Die Scottish Fishermen's Federation vertritt die Trawler-Fischer und hat sich im Gegensatz zum Rest von Schottland vehement für den Brexit eingesetzt. Ihr geht es um die Stärkung des politischen Einflusses der Fischereiindustrie. Ihr Versprechen: Der Austritt aus der EU bringe reale und positive Möglichkeiten in die Fischergemeinden des Nordostens Schottlands, dorthin, wo sich heute das Zentrum der britischen Fischerei befindet.
Doch die Unterstützung der Fischer für den Brexit war nicht auf Schottland begrenzt. Vom Ärmelkanal bis zu den Shetlands hatten sich die Fischer Großbritannien in der "Fishing for leave"-Kampagne zusammengeschlossen, die in der "Schlacht auf der Themse" auch mediale Aufmerksamkeit erfuhr. Dabei gingen Fischer unterschiedlicher Fangtechniken zusammen, ein seit dem 14. Jahrhundert eher selten beobachteter Umstand.
Damals hatte König Edward III gerade eine Petition zum Verbot des "wondyrchoun" erreicht, der Prototyp einer Baumkurre, mit dem die Fischer seit ein paar Jahren den Grund der Themse-Mündung umpflügten und jede Menge Fische fingen. So viele, dass sie gar nicht alle verkaufen konnten und ein Teil des Fangs regelmäßig in die Schweinemast ging. So zogen sich die Pioniere der Schleppnetzfischerei den Zorn der Angel-, Netz- und Muschelfischer der Gegend zu, deren Lebensgrundlage sie damit zerstörten. Diese Art von Gegnerschaft konnte den Siegeszug der Trawlfischerei auch nicht mit Petitionen aufhalten und lebt bis heute fort. Doch für das Gelingen von "Fishing for leave" machten die Fischer eine Ausnahme.
Richard Lochhead, erst kürzlich zurückgetretener schottischer Fischereiminister, sieht nun neue, andere Komplexitäten auf die Fischer zukommen. Er hatte den Verbleib in der EU befürwortet, gerade weil sie der schottischen Landwirtschaft Schutz bot. Auch einige Fischer selber hätten ein Bleiben bevorzugt, wie etwa die Norweger von Marine Harvest, die das schottische Aquakulturgeschäft mit Lachs dominieren. Oder die Aalfischer vom Lough Neagh in Nordirland, dem größten Süßwassersee der britischen Inseln. Von hier aus exportieren sie Aale für drei Millionen Pfund Sterling im Jahr, der überwiegende Teil geht nach Deutschland und in die Niederlande. So geht bei einigen die Ungewissheit um vor dem, was kommen mag. Auch Großbritannien hat von den EU-Subventionen in den Fischereisektor profitiert. Die Fischer werden sich nun auf eine "Zeit danach" einstellen müssen.
Einige Umweltschutzorganisationen waren hinsichtlich des Schutzes der Meere für ein Verbleiben in der EU, da sie Studien Glauben schenken, die eine Umkehr des Niedergangs der Fischbestände im Nordostatlantik sehen, unter anderem als Folge der im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik verordneten Reduzierung des Fischereidrucks. Andere Studien sind weniger optimistisch. Die Bestände von Grundfischarten, einst wichtige Bestandteile des marinen Ökosystems, seien kollabiert. Dafür könne zwar die Gemeinsame Fischereipolitik der EU nichts, aber unter ihrer Aufsicht sei der Niedergang weitergegangen.
Dabei hat die EU wenigstens theoretisch die Macht, eine vom Vorsorgeprinzip geleitete Fischereipolitik durchzusetzen, aber bisher fehlte oftmals der politische Wille, Regeln und wissenschaftlich empfohlene Einschränkungen bei den Quoten auch durchzusetzen. Die EU blieb innerlich uneins und maß der Fischerei nur eine untergeordnete Bedeutung bei.
Vom Niedergang der Fischereibranche
Die Fischereiflotte Großbritanniens schrumpft seit Jahrzehnten. Die Anlandungen der Grundschleppnetzfischerei liegen heute bei weniger als einem Fünftel der Menge von 1970. Das liegt zum einen an den Regulierungsmaßnahmen der EU und der britischen Regierung, zum anderen an den zurückgehenden Grundfischbeständen. Eine weitere Hauptursache ist der Verlust der traditionellen Fangplätze vor Island und Norwegen. Die Ressentiments wegen der cod wars sind noch nicht überall abgeklungen, in zyklischen Abständen machen zum Beispiel Boykottaufrufe für isländischen Fisch die Runde.
Das kommt nicht allen zupass, besonders nicht jenen auf isländische Fischanlandungen angewiesenen britischen Zentren der Fischverarbeitung in Grimsby und Hull - in eben jenen Hafenstädten, die als Folge der Ausweitung der isländischen und norwegischen Hoheitsgewässer einen beträchtlichen Teil ihrer Fischfangflotten verloren haben. 1974 noch zählte Grimsbys Fernfischereiflotte allein 2000 Fischer. In Großbritannien gibt es heute noch ungefähr 12.000 direkte Arbeitsplätze in der Fischerei, 12% weniger als 2004. Es gibt weitere 3.000 Arbeitsplätze in der Aquakultur und 19.000 in der Fischverarbeitung.
2014 belief sich der Gesamtfischfang mit Anlandungen in ausländischen Häfen auf 756.000 Tonnen. Damit gehört Großbritannien zu den Top-Drei-Fängern der EU. Mehr als die Hälfte des britischen Fischs wird heute in den schottischen Häfen von Peterhead, Fraserburgh and Lerwick angelandet. Trotz des Schrumpfens ist die Fischerei profitabler geworden. Der Wert des Gesamtfangs schlug 2014 mit der Rekordsumme von 861 Millionen Pfund Sterling zu Buche.
Fischereiquoten als Handelsware
Die britischen Fischer haben kein Vertrauen in die Europäische Union, bei der sie Korruption wittern. Die ihnen zugedachten Quoten verstehen sie oft nicht. Doch letztere sind ausnahmsweise nicht nur Schuld der EU. Deren Fischereikommission schlägt auf der Grundlage wissenschaftlicher Gutachten Fangbeschränkungen vor. Die zulässigen Gesamtfangmengen wiederum werden vom Rat der Fischereiminister festgelegt. Wie diese dann auf die Flotte vor Ort verteilt werden, ist Sache des jeweiligen Mitgliedsstaates.
Einige Brexit-Befürworter liebäugelten bereits im Vorfeld des Referendums mit anderen Quotenzuteilungsmechanismen, wie etwa den zum Beispiel in Island gängigen individuell transferierbaren Quoten (ITQ). Doch gerade die Erfahrungen dort haben gezeigt, dass die De-facto-Privatisierung der Ressource Fisch mittels ITQs kein Stein der Weisen ist und neue Probleme für die Fischer mit sich bringt, besonders für kleine Fischereien, die durch den Brexit eigentlich einen neuen Aufschwung erleben sollen. Und gerade der immer wieder gebrachte Hinweis auf Island als Vorbild ist hinsichtlich der Bedeutung des Bankenwesens für Großbritannien in gewisser Weise pikant. Der Übergang zum ITQ-Management der Fischbestände wird heute als einer der Gründe angesehen, die Island in die finanzielle Kernschmelze trieben. In der Krise bekamen auch große Fischereiunternehmen Probleme, die bis heute nicht restlos auskuriert sind. 2013 überholte der Tourismus erstmalig die Fischerei als wichtigsten isländischen Wirtschaftszweig.
Dabei trägt die aktuelle Quotenregelung in Großbritannien durchaus Züge, die an ITQ-Systeme erinnern, und zwar an deren umstrittensten Eigenarten. Die in der EU beschlossenen zulässigen Gesamtfangmengen für eine Fischart werden in Großbritannien in eine fixe Zuteilungsquote (FQA) übersetzt. Diese sind handelbar, und das führt zu Verwerfungen in der Industrie.
Die Quoten konzentrieren sich nun in den Händen einiger weniger Quoten-Barone. So gehören 61% der Quoten von England und Wales drei großen Fischereiunternehmen. Besonders benachteiligt von diesem Arrangement sind die kleinen Fischer. Kommen sie mit der ihnen zugewiesenen kleinen Quote nicht über die Runden, müssen sie Quoten von anderen Quoteninhabern leasen. Die Preise schwanken; so kann das Leasen einer Tonne Kabeljau beispielsweise zwischen 300 und 800 Pfund Sterling kosten.
Bei den ungleichen Bedingungen auf diesem verzerrten Markt bringt der Fang am Ende oftmals unterm Strich nur noch wenig ein. Das Horten von Quoten ist nicht illegal und führt bisweilen zu absurd anmutenden Konstellationen, wie im Fall des nicht einmal fünf Meter langen Motorboots NINA MAY, das im Südwesten Englands bereits eine Legende ist, obwohl es kaum jemand jemals fahren sah. Das Boot hat eine Quote von 1.500 Tonnen Fisch im Jahr. Der Eigner gleicht damit Quotenengpässe seiner weiteren, wesentlich größeren Boote aus, einen Rest von 10% verleast er. Die fixen Zuteilungsquoten sollten ursprünglich die Fischereiaktivität eines britischen Bootes widerspiegeln, doch der Fall der NINA MAY zeigt, wie weit man sich seit der FQA-Einführung Ende der 1990er Jahre davon entfernt hat.
Und mehr noch: Britische Rechtsgelehrte kommen zum Schluss, dass das britische Quotensystem rechtlich gesehen von Beginn an auf tönernen Füßen steht. Geradezu unorthodox sei die Leichtigkeit, mit der das Allgemeingut Fisch ohne Einforderung einer angemessenen Gegenleistung an den privaten Sektor ausgehändigt und in Privatbesitz umgewandelt würde. So entgingen dem Gemeinwesen jährlich mindestens eine Milliarde Pfund Sterling.
Die National Federation of Fishermen's Organisations (NFFO) sieht sich nach dem Ausgang des Referendums in unbekanntem Fahrwasser, in turbulentem noch dazu. Man weiß zwar, dass seismische Veränderungen in der Fischereiindustrie anstehen, wie diese jedoch konkret aussehen werden, ist weniger leicht vorherzusagen. Nur eins scheint klar zu sein: Es wird dauern. Solange Großbritannien noch EU-Mitglied ist, gelten die vereinbarten Quoten. Das Aushandeln neuer Quoten und Zugangsrechte wird Zeit beanspruchen und Kosten verursachen, die entweder von der Regierung subventioniert oder gleich direkt an den Kunden weitergereicht werden könnten. Außerdem wird der Großteil der für die Insel relevanten Fischbestände mit anderen Ländern geteilt. Für deren Bewirtschaftung gilt internationales Recht, von dem sich die Briten nicht durch Ausscheiden aus der EU einfach verabschieden.
"Rule, Britannia! Britannia rule the waves…"
Der britische Fischereiminister und unverhohlene Brexit-Befürworter George Eustice erhofft sich nun eine größere Langzeit-Stabilität für die Branche, die aus einer besseren Verhandlungsposition bei der Quotenvergabe und Zugangsdeals zu Fischereirechten erwachsen soll. Viele von der EU-Kommission auferlegte Hemmnisse würden hinfällig werden. So ist die Fischerei in der Nordsee zwar Großbritanniens wirtschaftlich wichtigste, doch werden die Interessen der Insel hier bislang von einem EU-Unterhändler bei den jährlichen Treffen der North East Atlantic Fisheries Commission (NEAFC) vertreten, während andere in der Region wichtige Fischereinationen wie Norwegen und Island eigene Sitze am Verhandlungstisch haben. Die Briten sehen nun einen eigenen Stuhl in Reichweite.
Des Weiteren träumen die britischen Fischer von der Wiedererlangung der Kontrolle über ihre 200-Seemeilen-Zone und einer damit erhofften Aufbesserung der Quotenzuteilung bei vielen Fischarten. Als ungerecht empfindet Eustice beispielsweise, dass die Franzosen 5.500 Tonnen Kabeljau aus der Keltischen See hieven dürfen, während sich die Briten mit 800 Tonnen begnügen müssen. Er hätte der Vollständigkeit halber noch hinzufügen können, dass Großbritannien 2015 mit fast 30.000 Tonnen die größte Kabeljauquote in der EU hielt.
Den Brexit-Befürwortern kam es vor allem auf die Vermittlung der Tatsache an, dass sich französische Fischerboote der britische Sechs-Seemeilen-Zone fischend nähern können, während umgekehrt sich die Briten mit ihren Trawlern und Muschelfängern nicht einmal in die französische Zwölf-Seemeilen-Zone vorwagen dürfen.
Die Briten bevorzugen nach einem erfolgreichen Brexit ein regionales Fischereimanagement, das für ihre Anliegen zugänglicher ist und ihnen durch die Ausdehnung der Hoheitsgewässer ausländische Konkurrenten vom Leibe hält - jedenfalls dort, wo das geografisch und seerechtlich überhaupt möglich ist. Die Franzosen sind nun besorgt, dass die Briten Ernst machen und alle Fremdfischer aus ihren Gewässern jagen.
Die vom Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) geregelten Prinzipien der Erhaltung und Bewirtschaftung gebietsübergreifender und weit wandernder Fischbestände würden davon nicht berührt, versichern die Briten. Ebenso würde es natürlich auch weiterhin Quoten geben. Nur die Zugangsrechte müssten neu geregelt werden, unter Berücksichtigung historischer Zugangsrechte.
Eins wird Brexit laut Eustice nicht stoppen: die mit der Gemeinsamen Fischereipolitik von 2013 gerade schrittweise eingeführte Anlandungspflicht, der gemäß kein Beifang mehr ins Meer zurückgegeben werden darf und die die Fischerei vor einige logistische Probleme stellt. Nach jahrzehntelanger Ressourcenverschwendung durch Rückwürfe sehen die Fischer den "discard ban" als einen Schritt in die richtige Richtung, der aber selbst noch keine Garantie für eine nachhaltige Fischerei ist und auch nicht den Ressourcendiebstahl in den britischen Gewässern stoppt. Das alles könne erst mit der Wiedererlangung der Souveränität erreicht werden.
Der Fischhandel wird ebenfalls betroffen sein. 70% des Werts gehandelter essbarer Meerestiere ist Importen oder Anlandungen ausländischer Fischereifahrzeuge zuzurechnen. Mit 500.000 Tonnen jährlich wird ein großer Teil des britischen Fischfangs exportiert, da er im Ausland höhere Einkünfte erzielt, etwa 1.5 Milliarden Pfund Sterling. Viele Produkte landen auf dem EU-Markt, unter anderem auch 40% des schottischen Lachs-Exports.
Mit dem Ausscheiden aus der EU werden neue Handelsabkommen mit europäischen Handelspartnern und mit jenen nötig, bei denen die Briten als EU-Mitglieder selber von EU-Handelsabkommen profitierten. Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen, zum Beispiel beim für den britischen Markt wichtigsten EU-Exporteur von Fischprodukten, Dänemark. Als Hauptgrund Dänemarks für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union galt seinerzeit das Bemühen des Landes, seine Agrarexporte nach Großbritannien abzusichern. Die veränderte Situation könnte nun dem verbreiteten Euroskeptizismus der Dänen neue Nahrung geben.
Dauerbrenner "Quota hopper"
2014 gab es Empörung in der britischen Presse, als bekannt wurde, dass ein einzelner Trawler, nämlich CORNELIS VROLIJK, ein Viertel der England zugeteilten Fischereiquoten hält, oder 6% der kompletten britischen Quote. Der Trawler fährt unter britischer Flagge, gehört jedoch dem niederländischen Fischereiunternehmen Cornelis Vrolijk/ Jaczon: ein "Quota hopper".
Europäische Regeln von 1999 gestatten Booten ausländischer Eigner den Zugang zu Quoten eines Landes, solange mindestens die Hälfte der Mannschaft in diesem Land lebt oder die Hälfte der Ladung hier gelöscht wird. CORNELIS VROLIJK landet seine Ware im holländischen IJmuiden an: für die nicht sehr werthaltigen Makrelen, Heringe und Blauen Wittlinge gäbe es in Großbritannien schlichtweg keinen Markt.
"Quota hopper" sind seit mehr als drei Jahrzehnten ein Thema in Großbritannien. Ihre Zahl explodierte in den 1980er Jahren. Auf der Insel war man zwar wie in anderen Fischereinationen Europas der Meinung, dass der Fischereidruck drastisch gesenkt werden müsse, in dem man den Fischern finanzielle Anreize zum Verschrotten ihrer Boote bot.
Doch die Regierung Thatcher hielt ihren Anteil an den Kompensationszahlungen zunächst zurück, sie hatte zu dieser Zeit wichtigere Anliegen auf der Agenda als die Fischerei. Und weil es diese Anreize nicht gab, verkauften die britischen Fischer ihre Trawler an gut zahlende Spanier und Niederländer, die damit wiederum - nach britischem Recht - die Fischereilizenz und einen garantierten Anteil an der Fischereiquote des Landes erwarben.
Das ist jedoch nur ein Teil der Geschichte, der 1986 lediglich ungefähr 20 Boote betraf. Weitere 50 "Quota hopper" in jener Zeit waren Boote, die aus Spanien gekommen waren und sich in Großbritannien als britische Fischereifahrzeuge registrieren ließen. Fischereilizenzen für ihre bevorzugten Fanggebiete südwestlich von England und unter Irland gab es damals noch unbegrenzt und waren frei erhältlich, die Spanier mussten lediglich eine Fischereifirma in Großbritannien anmelden. Die ersten spanischen Boote wurden seit 1979 gesichtet, vereinzelt noch, doch 1986 brachen mit der Süderweiterung der EU und der Mitgliedschaft Spaniens alle Dämme. 1987 schätze man die Zahl der "Quota hopper" bereits auf über 120, man begann sich Sorgen zu machen.
Es mangelte nicht an Versuchen, sich der ungeliebten Konkurrenz zu entledigen. So wurden die Regeln zum Erwerb einer Fischereilizenz verschärft, was 1989 schließlich zur vorübergehenden Stilllegung der Fischereiflotte der Eindringlinge führte, die bis 1991 währte. Die betroffenen Schlüsselfirmen klagten sich durch die Instanzen und bekamen vor dem Europäischen Gerichtshof schließlich Recht - für die Briten eine erste Kostprobe für den Verlust ihrer Souveränität an Brüssel. Die "Quota hopper" waren nach einer nötigen Neuregistrierung wieder im Geschäft. Spanische und holländische Fischereifahrzeuge, die während dieser Phase zu einer 18-monatigen Liegezeit in den Häfen verurteilt waren, erstritten 30 Millionen Pfund Sterling Entschädigung.
In England machte man sich mit dem Aufkommen des Phänomens Gedanken, was der eigentliche Antrieb dazu war, doch die traditionelle Intransparenz des Fischereisektors ließ zunächst nur Vermutungen zu. Heute wird vor allem die überproportionale Subventionierung der spanischen Fischerei innerhalb der EU als Hauptgrund gesehen, die in einer beispiellosen Flottenerneuerung ihren Ausdruck gefunden hat. Auch über einen anderen Aspekt konnte nur gemutmaßt werden: den niedrigeren Preis der Arbeit der spanischen Fischer, verglichen mit dem ihrer britischen Kollegen. Die Duldung und Aufrechterhaltung von sozialen Gefällen, kombiniert mit geografischer Beweglichkeit, ist heute mehr denn je Teil des Selbstverständnisses der Europäischen Union, das noch auf die Spitze getrieben werden kann, wenn es gelingt, die Betroffenen gegeneinander aufzubringen.
Als Argument gegen "Quota hopping" wird öfters auch der Verkauf des gefangenen Fisches in spanischen Häfen genannt, doch auch original britische Boote verkaufen dort wegen besserer Preise. Zudem sind die Anlandungen in Spanien übersichtlich: von den 305000 Tonnen Fisch, die 2014 außerhalb Großbritanniens von Booten unter britischer Flagge angelandeten wurden, gingen 2% nach Spanien, verglichen mit 23% nach Holland und 51% nach Norwegen. Um die Jahrtausendwende gab es rund 150 "Quota hopper" im Vereinigten Königreich. Davon sind heute noch 34 Anglo-Spanier und 22 Holländer anzutreffen.
"…Britons never will be slaves": Was nach der Wut kommt
Seit Beginn des Jahrtausends wurde ca. die Hälfte der britischen Fischereifahrzeuge verschrottet. Mit den 130 neuer Indienststellungen im gleichen Zeitraum gab es 2014 noch 756 Fischereifahrzeuge länger als 12m. Ohne den ausgleichenden Effekt der Muschelfangflotte, deren Bestand größtenteils konstant blieb, würde der Anteil ausgeschiedener Boote bei 60% liegen.
Für die britischen Fischer liegt es auf der Hand, dass sie ihre Fischereiflotte dezimieren mussten, um Platz zu schaffen für die spanische Konkurrenz. Mit der oft beschworenen Nachhaltigkeit hatte es in ihren Augen jedenfalls nichts zu tun. Als Netto-Einzahler hätten sie obendrein die Wettbewerbsfähigkeit ausländischer Fangflotten erhöht, die mit britischen Steuergeldern neue Boote bauten und Häfen erneuerten, bei gleichzeitiger Vernachlässigung der eigenen Flotte. Die politische Klasse verachten sie für ihren Verrat - für diese sei das wohl ein zumutbarer Preis für die EU-Mitgliedschaft gewesen, mit Ministerien als Vollstreckungsgehilfen des Willens der EU. Dank derer sind die Briten nun Netto-Importeure von Fisch, der in ihren Gewässern gefangen wurde, subventioniert von ihren Steuergeldern - für viele Fischer ist das die perfekte Versinnbildlichung der Politik Brüssels, aus deren Sphäre des Einflusses sie sich nun verabschiedet haben.
Die Thesen der "Fishing for leave"-Kampagne zeichnen ein düsteres, bisweilen überspitztes Bild der zeitgenössischen britischen Fischerei. Doch nicht alle Missstände sind ausnahmslos der EU anzulasten. Einige gehen auf das Konto der Branche selbst und wurden im Rahmen der Kampagne nicht oder nur sehr zurückhaltend thematisiert, obwohl sie für das Leben vieler Fischer von existentieller Wichtigkeit sind, wie etwa Charakter und Folgen der fixen Zuteilungsquote. Referenden sind für differenziertere Zustandsbeschreibungen wahrscheinlich kein geeignetes Podium, aber sollte der Brexit tatsächlich durchgezogen werden, bietet sich der Fischerei die Chance für einen durchdachten Neubeginn, der aus den Fehlern der Gemeinsamen Fischereipolitik Europas und den eigenen Verfehlungen in der Vergangenheit richtige Schlüsse zieht und die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.