Die große "Mutter Kirche" und ihre Söhne

Seite 5: Neue Töne von einem Kardinal und sehr vielen Theologen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es gibt durchaus Hoffnungszeichen. Im April 2010 plädierte der Wiener Kardinal Christoph Schönborn für einen Wandel hin zu einer "Moral des Glücks" und konkretisierte dies so: "Beim Thema Homosexualität etwa sollten wir stärker die Qualität einer Beziehung sehen. Und über diese Qualität auch wertschätzend sprechen." Solche Differenzierungen aus dem Mund eines engen Ratzinger-Schülers sind immerhin etwas Neues, auch wenn sie nicht so warmherzig ausfallen wie im letzten Jahrhundert die Wertschätzungen von Kardinal Basil Hume. Mit den Memoiren von Rembert Weakland (USA) liegt inzwischen auch das hilfreiche Zeugnis eines homosexuellen Bischofs vor.

"Geschlossene Gesellschaft" - Karikatur von Annelie Hürter (Wir sind Kirche, Eichstätt)

Mehr als 300 römisch-katholische Professorinnen und Professoren der Theologie haben in diesem Jahr im Rahmen des Memorandums Kirche 2011 Respekt für homosexuell Liebende eingefordert. Das allerdings darf man wirklich als Novum bezeichnen. Immer deutlicher wird, dass die Homophoben zu jener machtvollen Minderheit gehören, die die Kirche - nach zuletzt hierzulande 180.000 Austritten in einem Jahr - in eine Sekte verwandeln wollen. Immer deutlicher wird auch, dass die bislang schweigende Mehrheit nicht mehr Willens ist, den traditionalistischen Kamikaze-Kurs widerstandslos hinzunehmen.

Selbst in den konservativsten ländlichen Milieus werden Schwule und Lesben heute unten in den Gemeinden angenommen wie jede und jeder andere auch (bodenständige Milieukatholiken lassen sich durchaus vom Leben belehren, Fundamentalisten nicht). Jeder wirklich engagierte Katholik weiß, dass es viele homosexuelle Seelsorger gibt, und jeder halbwegs gescheite Bischof ist sich bewusst, dass er ohne diese Seelsorger sein Bistum gar nicht zusammenhalten könnte. Für die Menschen spielt es keine Rolle, ob ein Priester hetero-, bi- oder homosexuell orientiert ist. Sie fragen nur, wie "fromm", glaubwürdig, geschwisterlich und mitmenschlich ein Pfarrer sein Dienstamt ausfüllt.

In der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche hat sich längst eine kompromisslose Parteinahme zugunsten lesbischer und schwuler Mitchristen durchgesetzt. Defizite gibt es noch beim Zentralkomitee der Katholiken und im traditionellen Verbandkatholizismus. Aber diese Defizite resultieren wohl nicht aus Homophobie oder Homosexuellenfeindlichkeit, sondern aus einer gewissen Sprachscheu und aus der finanziellen Abhängigkeit hauptamtlicher Akteure vom amtskirchlichen Apparat.

Therapie: "Hört auf mit dem Selbsthass und lasst euch lieben!"

Gerne will ich mich als schwuler katholischer Theologe in diesem Jahr mit den Protesten der Regenbogen-Community gegen kirchliche Homophobie solidarisieren. Es wäre mir allerdings sehr lieb, wenn die altbekannten Gleise der Bürgerrechtsempörung zumindest versuchsweise verlassen würden. In einer langen, sehr gewalttätigen Geschichte hat die Kirche Schwule und Lesben vornehmlich zu - angeblich lebensuntüchtigen - Seelsorgeobjekten degradiert.

Heute darf die Sache auch einmal andersherum laufen, nämlich als Befreiung und Seelsorge an der Kirche. Den Gemeinden könnte die Bewegung beim Christopher-Street-Day zurufen: "Homosexuelle Priester gehören zu eurem menschlichen Reichtum! Gebt ihnen Rückendeckung!" Mit Blick auf unglückliche Homosexuelle bis hinauf in die oberen Leitungsetagen der Kirche könnte eine passende Losung lauten: "Hört auf mit dem Selbsthass und lasst euch lieben!" Bei solchen Werken der Barmherzigkeit von Lesben und Schwulen, soviel ist sicher, wäre Rom sprachlos.

Literatur:

  1. Berger, David: Der heilige Schein. Als schwuler Theologe in der katholischen Kirche. Berlin 2010.
  2. Brinkschröder, Michael: "Wer zu seinem Bruder sagt: 'Schwuchtel'". Zur Erneuerung der christlichen Sexualethik. Vortrag beim Bundeselterntreffen der BEFAH am 19.03.2011 in Berlin. [noch unveröffentlicht]
  3. Bürger, Peter: Das Lied der Liebe kennt viele Melodien. Eine befreite Sicht der homosexuellen Liebe. 2. erweiterte Auflage. Oberursel 2005.
  4. Bürger, Peter: Homophobie und Homosexualität in der römisch-katholischen Kirche. In: Michael Albus / Ludwig Brüggemann: Hände weg! Sexuelle Gewalt in der Kirche. Butzon & Becker, Kevelaer 2011, S. 99-118.
  5. Drewermann, Eugen: Kleriker. Psychogramm eines Ideals. 4. Auflage. Olten und Freiburg 1989.
  6. Migge, Thomas: Kann denn Liebe Sünde sein? Gespräche mit homosexuellen Geistlichen. Köln 1993.
  7. Müller, Wunibald: Verschwiegene Wunden. Sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erkennen und verhindern. München 2010.
  8. Robinson, Geoffrey: Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation. Oberursel 2010.
  9. Tóibín, Colm: Der Papst trägt Prada. Katholische Kirche, Sexueller Missbrauch und Homosexualität. In: Lettre International 90/2010, S. 32-38. (Auszug im Internet)
  10. Weizer, Jens: Vom anderen Ufer. Schwule fordern Heimat in der Kirche. Düsseldorf 1995.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.