Die große "Mutter Kirche" und ihre Söhne

Seite 3: Der große Schatten, oder: "Die größte transnationale Schwulenorganisation"

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Alle Welt weiß es ohnehin: hinter der römisch-katholischen Verächtlichmachung homosexuell liebender Menschen verbirgt sich ein riesiger Schatten. Als der Jesuit und Therapeut Hermann Kügler 2005 im Spiegel die katholische Kirche als "die größte transnationale Schwulenorganisation" bezeichnet hatte, musste er dies sogleich wieder zurücknehmen.

Ein unbequemes Buch für den Kölner Kardinal

Recht hatte er trotzdem. Empirische Untersuchungen aus den USA sowie die Veröffentlichungen von renommierten Pastoraltheologen und Priestertherapeuten weisen sogar auf einen deutlich größeren Anteil homosexueller Priester hin als Kügler seinerzeit. Ich kenne keine klugen und wirklich kirchenerfahrenen Katholiken, die im persönlichen Gespräch die hohe Präsenz von homosexuellen Theologen im Priesterberuf leugnen würden. Ob es sich nun - je nach örtlichen Gegebenheiten - um 20, 25 oder mehr als 50 Prozent der Kandidaten und Amtsträger handelt, darüber mag man lange streiten. Mein persönlicher Erfahrungswert tendiert eher in Richtung 50.

Der ganze Sachverhalt ist weder ein Resultat des letzten Reformkonzils, noch hat die repressive Ratzinger-Ära dem Trend in irgendeiner Weise gegensteuern können. Nicht irgendein "liberaler Irrweg" gibt den Hintergrund ab, sondern die abnehmende Plausibilität der zölibatären Berufswahl für heterosexuelle Männer nach Zerfall des verkirchlichten Milieus.

Die Verhaltensweisen für römisch-katholische "homosexuelle Personen" sind in den Schreiben der Glaubenskongregation und im Weltkatechismus enthalten. Die "Betroffenen" sollen sich als Objekte von Mitleid und taktvollem Verhalten betrachten. Der Gesamtkomplex ergibt einen maßgeschneiderten Verhaltenskodex gerade auch für homosexuelle Priester (z.B. eine besondere Berufung, das Leidenskreuz Christi zu tragen; ein permanentes Sündenbewusstsein und häufiges Beichten; Fernhalten von allen "homosexuellen Kulturen"; das Verbergen der eigenen Identität vor der Umwelt). 1992 schrieb Joseph Ratzinger als Glaubenspräfekt:

Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist in der Regel andern nicht bekannt. […] Grundsätzlich gilt, dass die meisten homosexuell orientierten Menschen, die danach streben, ein keusches Leben zu führen, ihre sexuelle Orientierung nicht publik machen. Daher tritt das Problem der Diskriminierung bei Arbeits- oder Wohnungssuche usw. für sie normalerweise nicht auf.

Kongregation für die Glaubenslehre, 23. Juli 1992

Und genau so wird es in der römischen Kirche auch gehandhabt. Wer Geist und Leiblichkeit mit schizoidem Platonismus trennt und sich schön diskret, schuldbewusst und immer folgsam verhält, braucht eine Diskriminierung nicht zu befürchten. Wer sich hingegen auf den Weg der Angstfreiheit begibt, seinen Mitmenschen vertrauensvoll begegnet oder eine befreiende Seelsorge für andere verfolgt, muss gehen.

Einige Beispiele und Erkenntnisse aus neuerer Zeit

Veröffentlichungen der letzten zwei Jahrzehnte beleuchten die kirchlichen Verhältnisse zu Genüge. Aus neuerer Zeit ist besonders das Buch "Der heilige Schein" von David Berger ("Vom Weltjudentum gesteuerte Attacke auf Kirche und Papst") zu nennen. Hier wird nicht nur autobiographisch die Erpressbarkeit schwuler Theologen aufgezeigt, sondern von einem Aussteiger ein ganzes Spektrum rechtskatholischer Szenen beschrieben, in dem Homophobie und Homosexualität auf scheinbar paradoxe Weise gleichzeitig eine wichtige Rolle spielen. Von der homosexuellen Klerus-Szene des skandalträchtigen Priesterseminars von St. Pölten lassen sich z.B. enge persönliche Verbindungslinien zur rechtskatholischen Publizistik und bis in den allernächsten Kreis des derzeitigen Papstes nachzeichnen. Meines Wissens gibt es gegen solche Hinweise in Bergers Buch keine Gerichtsklagen. Aber Religionsunterricht darf der Autor seit diesem Monat nicht mehr erteilen.

In der "Causa Mixa" wird trotz aller im Internet zugänglichen Berichte meist auf "Prügelstrafe" oder irreguläre Spendenverwaltung verwiesen. Indessen zeichnen die Veröffentlichungen doch recht deutlich das Bild eines unglücklichen Bischofs, der bei jungen männlichen Theologen um Liebe bettelt und das Drama seines Lebensweges durch einen noblen Weinkeller, Heimsolarium, Stereoanlage, Kunstsammlung, Klerikerwürden im rechten Kirchenflügel oder ähnliche "Tröstungen" zu mildern versucht. Über die theologischen Qualitäten dieses ehedem von Joseph Ratzinger protegierten Amtsträgers kann sich jeder z.B. anhand eines Firmgottesdienst-Videos auf YouTube ein eigenes Bild verschaffen.

Im Essener Bistum von Franz-Josef Overbeck, der - wie bemerkt - den Weltkatechismus an Homophobie noch übertrifft, gedeiht ein besonderes Klima der Schnüffelei und Denunziation. Der Vatikan hat dort derzeit zu untersuchen, ob nicht einer der geistlichen Saubermänner das Beichtgeheimnis gebrochen hat, um homosexuelle Mitbrüder kaltstellen zu können. In diesem Fall würde ein homophober Priester gehen müssen und zwar wegen Exkommunikation. Wie viele Unappetitlichkeiten wollen die verantwortlichen Herren uns Katholiken eigentlich noch zumuten?

Einen traurigen Fall von Anpassung schildert Hans Küng in seinem jüngsten Buch "Ist die Kirche noch zu retten?". Vor seiner - demokratischen - Wahl zum Bischof von Basel im Jahr 1995 war Kurt Koch, heute als Kardinal im Vatikan tätig, ein offener und kritischer Theologe. Rom verzögerte nach einem Einspruch vom Opus Dei seinen Amtsantritt um ein halbes Jahr, und diese Zeitspanne genügte, um den liebenswürdigen Theologen linientreu zu machen. Als junger Professor hatte er sich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen eingesetzt, als Bischof aber beteiligte er sich an dieser Diskriminierung. Hans Küng teilt in diesem Zusammenhang auch ein "delikates" biographisches Detail mit:

Noch ein halbes Jahr vor seiner Priesterweihe (1982) veröffentlichte er [Kurt Koch] die kleine Schrift "Lebensbeispiel der Freundschaft. Meditativer Brief an meinen Freund". Es handelt sich um eine Hymne auf die körperliche Zärtlichkeit zu seinem Freund, den er in bizarrer Weise als "die zweite, die soziale Gebärmutter meines Lebens" bezeichnet. Auffallenderweise erscheint diese Schrift in der offiziellen Bibliographie Bischof Kochs nicht mehr.

H. Küng: Ist die Kirche noch zu retten? 2011 (Seite 175)

Als Kommentar zum Zitat aus der Freundschaftshymne von Kardinal Kurt Koch lese man den vorletzten Satz von Ziffer 2357 im Römischen Weltkatechismus.

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