Die große "Mutter Kirche" und ihre Söhne

Seite 2: Die Allianz der Fundamentalisten

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In diesem Jahr hat sich bei uns leider auch in den evangelischen Kirchen die fundamentalistische Front gegen die Gleichberechtigung homosexueller Christinnen und Christen neu formiert. Dabei leisten sogar acht Altbischöfe ihre Schützenhilfe, unter ihnen Ulrich Wilckens, der eigene Forschungsergebnisse zur Bibel ohne neue Argumente revidiert und durch peinliche Fernsehauftritte für Erstaunen sorgt.

Römischer Weltkatechismus: "Homosexuelle Handlungen sind in sich nicht in Ordnung und in keinem Fall zubilligen." Bild: Archiv Peter Bürger

Doch Theologen wie Jürgen Ebach, prominente Kirchenleute - von Manfred Kock bis hin zum EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider - sowie Bischöfinnen und Bischöfe der Landeskirchen halten ihre Treue zu einem Protestantismus, der nicht wieder hinter die Aufklärung zurück will. Rückendeckung kommt auch von Pietisten. Nach jahrzehntelangem Ringen ist in den evangelischen Gemeinden der Lernprozess einer gelebten Offenheit fast abgeschlossen. Wirklich Sorge muss man sich um einen Rückfall im deutschen Protestantismus - trotz mancher Zauderei - nicht machen.

Abzusehen ist jedoch die Bildung neuer Allianzen von evangelikalen Homofeinden und röm.-kath. "Bibelexperten". Schon zum Ökumenischen Kirchentag 2010 hatten das rechte "Forum Deutscher Katholiken" und die "Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften" gemeinsam gegen "Formen schöpfungswidriger Sexualität" und "Sonderveranstaltungen für Schwule und Lesben" protestiert, was dann den - öffentlich lancierten - Beifall des röm.-kath. Pastoraltheologen Hubert Windisch aus Freiburg fand.

Lioba Zodrow zeigt im Magazin des "Netzwerks Kirchenreform" auf, wie Rom bei der systematischen Einverleibung von antimodernistischen Anglikanern - im Zuge der Fundamentalisierung - eine "Ökumene" der Homophobiker und Frauenfeinde befördert. Zu den potentiellen römischen Konvertiten zählt sie jenen anglikanischen Geistlichen, der Anfang 2011 in Uganda nach dem Mord an dem international geachteten Menschenrechtsaktivisten David Kato mit einer homophoben Hasspredigt "letztlich die Mörder ins Recht setzte".

In den rechtskatholischen bzw. traditionalistischen Internetforen, deren Troll-Gemeinde von bestimmten Bischöfen allen Ernstes als Zukunft der Kirche betrachtet wird, schwillt der Komplex der Frauen-, Schwulen- und Juden-Hetze Tag für Tag bedrohlich an. Auch hier stellt sich wieder die Frage, um welche "kirchliche Identität" es denn gehen soll.

Auf kreuznet.de z.B. kann man - hochwissenschaftlich bewiesen - erfahren, warum Homosexualität "gefährlicher als Rauchen" ist. Einen Link auf unappetitliche Analkrebsseiten von rechtsradikalen homophoben Christenmenschen erspare ich der Leserschaft aber lieber. Wer will, wird auch da im Netz schnell fündig und stößt dabei - flankiert von Hetze gegen türkische Migranten - auf sehr gewalttätige Vorstellungen bzw. Phantasien von Penetration.

Exkurs: Der unbekannte Freund

Besonders katholisch sozialisierte homosexuelle Männer haben sehr oft in der Jugendzeit erste Ahnungen von ihrer besonderen erotischen Begabung in der Betrachtung kirchlicher Kunst erlangt. Der männliche Leib, sonst noch im letzten Jahrhundert weithin ein Tabu der Bilderwelt, war in heiligen Büchern und Hallen ohne Hüllen anzuschauen. Freilich war dieser Leib fast immer ein geschundener Leib, und nicht ohne Grund ist der von Pfeilen durchbohrte hl. Sebastian zum Schutzheiligen der Homosexuellen avanciert.

Die katholischen Ahnungen sind in der Vergangenheit in einem geheimnisvollen "Zusammenfallen von Wissen und Nichtwissen" angesiedelt gewesen (vgl. Lettre International 90/2010, S. 34). Man wusste um das Unaussprechliche der Nachtseite und wusste gleichzeitig bei hellem Tage doch nichts. Gerade auch Verbot und Höllenpredigt konnten die Lüsternheit ins Unermessliche steigern.

Der postmoderne Feuilletonist mag das absehbare Versiegen solcher "Lustquellen" - aus der Repression - bedauern. Wer wie ich als ehemaliger Priesteramtskandidat noch die Selbstmorde von zwei unglücklichen katholischen Theologiestudenten zur Kenntnis nehmen musste, betrachtet den Wandel der Zeiten anders, ohne jede Wehmut, was die alten Verhältnisse betrifft. Dass ein WDR-Dokumentarfilm noch jüngst für meine sauerländische Herkunftsheimat einen Priester zeigen konnte, der mit gemeingefährlichen theologischen Axiomen die Selbstmordgefährdung eines schwulen Jugendlichen aus seiner ländlichen Gemeinde kommentiert, ist schlimm genug.

Doch im offengehaltenen Zwischenraum waltete noch nicht die spießige Kleinbürgerlichkeit des amtlichen Katholizismus unserer Tage. Die Bilderwelt gab nicht nur den gemarterten Männerleib zur Projektion her, sondern auch den guten Hirten des Barocks, an dessen Seite man in unbeschwerter Lebensfreude eine Frühlingswiese betreten konnte.

Die geistliche und mystische Literatur ist voll von homoerotischen Bezügen. Anselm von Canterbury schrieb heftige Briefe an seine geliebten Freunde. Der Zisterzienserabt Aelred von Rieval († 1167) rühmte in einem Werk über die "geistliche Freundschaft" das Lächeln aus den süßen Augen des Vielgeliebten. Richard von Sanct-Victor beleuchtete 1170 die Dreieinigkeit im Erfahrungshorizont der Liebe zwischen Männern. Spätestens seit der Studie "Same-Sex Unions in Premodern Europe" (1994) von John Boswell wissen wir, dass es vor Jahrhunderten sogar einen eigenen geistlichen Ritus zur Feier des mann-männlichen Lebensbündnisses gab. Für den geistlichen Schriftsteller und Priester Henri Nouwen, der zölibatär lebte und zu seiner Homosexualität stand, war z.B. eine Ikone "Christus der Bräutigam" sehr bedeutsam.

Erst wenn wir alle Kunstwerke homosexueller Maler aus dem Vatikan entfernt und alle geistlichen Schriftzeugnisse aus dem Strahlkreis des gleichgeschlechtlichen Begehrens verbrannt haben, wird auch der langsamste Zeitgenosse begreifen, wie eng Homoerotik an vielen Stellen mit der Magie des Katholischen verwoben ist.

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