Die hippieske Elefantenhochzeit von Wissenschaft und Musik
Man glaubt gar nicht, wo es laut Klangforschern überall so piept
Fanatische Wissenschaftler in der westlichen Hemisphäre suchen und finden den Klang in der unbelebten Materie, Naturereignissen und im kosmischen Raunen des Weltalls. Die hippieske Elefantenhochzeit von Wissenschaft und Musik gebiert dabei Ungeheuer wie die als Symphonie vertonte Erdgeschichte der letzten 110.000 Jahre. Der Überbau-Beipackzettel ist beim Not-So-Easy-Listening meistens länger als der sogenannte Ohrenschmaus.
Es begann durchaus harmlos. Die Methode der sogenannten Sonification, die vor Jahrzehnten entwickelt wurde, besteht darin, Menschen, die nicht gut sehen können, mittels Tönen bei der Vermittlung von Inhalten auf die Sprünge zu helfen. Man ersetzte also die bei der Veranschaulichung von Informationen traditionell verwendeten Tabellen und Grafiken durch Sounds. Soweit eine schöne Sache für Leute, die damit besser Informationen rezipieren können. Das Ohr ist ein feineres Sinnesorgan als das Auge und nimmt Unregelmäßigkeiten in Form von Fehlern besser wahr.
Die Verwendung von vorgefundenen Klängen durch Wissenschaftler war ihnen aber irgendwann zu profan. Und so zogen sie, wie der aktuelle New Scientist berichtet, aus, die Schönheit der klingenden Schöpfung gründlichst zu erforschen. Aus der Sonification wurde die Songification. Der altgediente Physiker Donald Gurnett an der University of Iowa z.B. nimmt seit fast 40 Jahren die von Gasen im interplanetarischen Raum emittierten Radiowellen auf. Er verlangsamt die extrem hohen Frequenzen der Wellen, bis sie innerhalb des für Menschen hörbaren Spektrums sind. Damit kann man dann Gewitter auf dem Jupiter hören, Polarlichter auf der Erde und kosmische Strahlung. Angeblich klingt ein Polarlicht so wie das Stakkato bei einer Weltraumschlacht, weil Elektronen in unregelmäßigen Massen auf die Erdatmosphäre prallen. Cool. So cool, dass die Art Programme-Abteilung der NASA mit Gurnett (der seine Sounds selbst nicht als Musik bezeichnet) einen Deal gemacht hat. Dieser ermöglicht es dem Komponisten Terry Riley, aus dem Sound-Archiv von Gurnett einen Soundtrack zu erschaffen. Das gefürchtete avantgardistische Kronos-Quartett aus San Francisco soll 2002 die Komposition öffentlich aufführen. Es handelt sich dabei also offensichtlich um pure Space-Hippie-Kunst. Sich mal wieder von den Klängen von Mother Universe inspirieren lassen. "Space is the Place" hieß ja schon Anfang der 70er ein Werk, in dem der alte Jazzer und selbsternannte Außerirdische Sun Ra sich mit seinem Georgel und Synthi-Gefiepe so richtig AUSDRÜCKTE, bis der Arzt kam.
Etwas gesünder und bodenständiger beträgt sich Gurnetts Kollege Michael Berry an der Uni von Bristol. Berry versucht mathematische Forschung an Primzahlen mit Klangforschung zu verbinden. Sein Spezialgebiet sind die Riemann'schen Nullen , in dem unter anderem eine besondere Beziehung der Null zu den Primzahlen (Zahlen, die nur durch 1 und sich selbst teilbar sind) erforscht wird. Wie Berry herausgefunden zu haben meint, gibt es in der Harmonie der Primzahlen musikalische Noten, die die Frequenz wiederspiegeln, mit der Primzahlen in Zahlenreihen auftreten. Theoretisch sollte man, so die Idee des Physikers, diese Noten hören können. Berry programmierte ungefähr tausend der ersten Primzahlen in seinen Computer und wandelte sie in der Zahlengröße entsprechend unterschiedlich lange Klangeinheiten um. Die Klänge sollten sich bei einem Versuch zu einem quasi mystischen Akkord vereinen, aus dem wohl der Heilige Geist der Wissenschaft zu Berry sprechen und ihm die Lösung des Primzahlen-Rätsels einflüstern sollte. Leider war das Ergebnis nur ein wenig inspirierender Lärm, der stark nach einer knatternden MG-Salve geklungen haben soll. Berry will aber nicht aufgeben. Zumindest habe er jetzt schon mal gehört, wie chaotisch das System der Primzahlen klingt. Hätte man sich aber auch so gedacht. Zumindest kann Berry für sich in Anspruch nehmen, das kürzeste und aufwändigste Kriegshörspiel überhaupt erschaffen zu haben.
Auch das andere Geschlecht ist von der Klangforschung angefixt. Linda Long, die an der University of Exeter wirkt, generiert "Musik" auf der Grundlage von Protein-Strukturen . Long übersetzt die in Röntgenaufnahmen sichtbaren dreidimensionalen Strukturen der Proteine in Noten, in dem sie Klänge unterschiedlicher Höhe und Länge den verschiedenen Arten von Atomen zuordnet. Die sprungfederartige Helix hat als musikalisches Spiegelbild genauso einen entsprechenden Akkord wie polypeptide Molekülketten. Und Chemical Sister rockt nicht nur das Labor, sondern geht auch bald damit an die Öffentlichkeit. Bei einem interaktiven Happening im Wissenschaftszentrum "Explore-at Bristol" werden Besucher sich anhören können, wie verschiedene Eiweißketten so klingen. Frau Long hält ihre Molekül-Musik für beruhigend und therapeutisch wertvoll. Vielleicht wäre sie doch insgeheim lieber Krankenschwester geworden.
Ein ganz schwerer Fall ist Marty Quinn (man beachte das Sun-Ra-ähnliche Gewand). Oder wie Manfred Mann`s Earth Band schon vor gut 20 Jahren sangen: "Come all without, come all within, you`ll not see nothing like the Mighty Quinn". Maestro Quinn macht Muzak aus DNA-Sequenzen genauso wie aus Erdbeben, dem Klima-Störenfried El Nino oder elektrischen Ladungen, die durch Sonnenstürme auf die Erde losgelassen werden. Erdbeben sind eigentlich die Domäne von Seismologen. Die Erdbebenforscher analysieren seismische Wellenbewegungen durch die Erdkruste, die über die Struktur des Erdballs Aufschluss geben können. Christel Hennet von den Incorporated Research Institutions für Seismology IRIS in Washington hat sich mit Quinn zusammengetan, um den Leuten ein besseres Feeling für seismische Daten zu geben. Denn die Menschen sind ja doof und verstehen unter Erdbebenforschung nur Zickzack-Kurven auf Papierstreifen, meint die Christel.
Und so gingen sie hin und schufen die "Seismic Sonata". Die Komposition beruhte auf Messungen von Erdstößen, die nach einem Erdbeben 1994 in der Nähe von Los Angeles durchgeführt wurden. Marty Quinn ordnete den subtilen Hintergrundgeräuschen der Erdbewegungen nicht weniger als 45 verschiedene Noten zu und ließ sie von einem Piano spielen. Überlagert wurde das Piano von einer Oboe, die die Wellen der Erdstöße nachspielte. Quinn friemelte an der Aufnahme zusätzlich noch technisch herum, bis er vom Ergebnis rundherum begeistert war. Endlich könne man mal hören, wie komplex so ein Erdbeben als Naturereignis sei. Nur: die tongewordenen Katastrophen von Dieter Bohlen knallen für den Konsumenten im Vergleich immer noch etwas eindrucksvoller. Quinns größter Hit ist aber entsprechend der Bedeutung des Sujet seine Climate Symphony . Er verwendete dabei Daten, die ihm der Klimaforscher Paul Mayewski zur Verfügung gestellt hatte. Bei der Erforschung der Frühzeit der Erde werden auch Spuren von Gasen oder Metallen analysiert, die im ewigen Eis an Arktis oder Antarktis konserviert sind. Daraus lassen sich Klimaveränderungen im Lauf der Frühgeschichte von mehr als 100.000 Jahren ablesen. Komponist Quinn wollte in einem Orchesterwerk die Erdgeschichte nachstellen. Glocken läuten z. B. bei Abkühlung des Erdklimas (sind wohl die Jingle Bells), Tom-Toms stellen Phasen von Klimaerwärmung dar, andere Instrumente stehen wieder für andere Details. Ein stetig höher fiedelndes Streicherensemble versinnbildlicht das Verstreichen der Zeit.
Das Ergebnis ist belangloses Gedudel, für das man Mutter Erde nicht haftbar machen kann. Quinn glaubt, dass man mit dem Hören der Klimasymphonie auf einer Gefühlsebene ein Feeling für die Klimamutationen kriegt, eher als mit dem Lesen blöder Bücher. So sind sie halt, unsere musizierenden Hippie-Esoteriker in Laborkitteln. Sounds of Science? Dann lieber doch Sounds of Silence.