Die ideologischen Integrationsleistungen der AfD

Seite 2: Untaugliche "Alternative" unter Gleichen

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Die AfD hat sich auf der Suche nach einem Alleinstellungsmerkmal, welches sie von den "Systemparteien" unterscheidet, anfangs durch ihre EU-Gegnerschaft hervorgetan, hat dann aber das Flüchtlingsthema für sich entdeckt, zum Hauptbestandteil ihrer politischen Agitation gemacht und damit in der Folge alle Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen. Dadurch sind ihre wirtschaftspolitischen Auffassungen aus dem Blickfeld geraten. Es lohnt sich aber, die grundlegenden ökonomischen Prinzipien, auf die sie sich beruft, genauer unter die Lupe zu nehmen. Im folgenden wird dargestellt, wie sich die Berufung der AfD auf Freiheit und Demokratie - siehe die anfangs zitierten Statements aus der Präambel des Parteiprogramms - in den wirtschaftlichen Vorstellungen der Partei niederschlägt, beispielhaft ausgeführt an Abschnitt "10.1 Freier Wettbewerb sichert unseren Wohlstand" des Parteiprogramms. Dort heißt es:

Durch marktwirtschaftlichen Wettbewerb ergeben sich die besten ökonomischen Ergebnisse. Das unsubventionierte Angebot, von dem sich die Marktteilnehmer den größten Vorteil versprechen, setzt sich dauerhaft durch. Deshalb gilt für die AfD: Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle. Denn Wettbewerb schafft die Freiheit, sich zu entfalten und selbst zu bestimmen, privates Eigentum an Gütern und Produktionsmitteln erwerben zu können, eigenverantwortlich Verträge zum eigenen Vorteil und zum allgemeinen Wohl zu schließen, zwischen verschiedenen Anbietern, Produkten, Dienstleistungen oder Arbeitsplätzen wählen zu können, ertragsbringende Chancen zu nutzen, aber auch ein mögliches Scheitern selbst zu verantworten.

AfD-Parteiprogramm

An diesem Programmpunkt demonstriert die AFD beispielhaft ihre Begeisterung für den Grundgesetzartikel 2 Absatz 1, in dem die ideologische Grundlage für die Konkurrenzideologie der bürgerlichen Gesellschaft formuliert wird und auf den sich auch die wirtschaftsliberale Einstellung der AfD gründet. Das hindert sie aber nicht daran, den sachlichen Zusammenhang von Freiheit und Konkurrenz in ihrem Loblied auf den freien "Wettbewerb" - einig darin mit nahezu allen anderen im Bundestag vertretenen "Systemparteien" - schlichtweg auf den Kopf zu stellen: Die AfD deklariert die Freiheit der Bürger als Resultat ihres konkurrenzhaften Gegen- und Miteinander und verkennt dabei, dass umgekehrt die Freiheit der Bürger die Voraussetzung dafür ist, ihre Persönlichkeit (als Konkurrenten) frei entfalten zu können - wie es schönfärberisch im Grundgesetz heißt.

Die AfD feiert in Abschnitt 10.1. ihres Parteiprogramms die uneingeschränkte Konkurrenz und vermittelt darin eine annähernde Vorstellung davon, wie sie sich das Wirtschaften unter ihrer Regie vorstellt. Sie zündet in diesem Abschnitt ihres Parteiprogramms das gesamte Spektrum an ideologischen Blendgranaten, welches den Liebhabern der Konkurrenzökonomie so einzufallen beliebt, wenn es darum geht, die Qualität und Leistungsfähigkeit derselben zu preisen. Nachfolgend werden die zuvor genannten Statements nochmals einer genaueren Betrachtung unterzogen:

1. "Durch marktwirtschaftlichen Wettbewerb ergeben sich die besten ökonomischen Ergebnisse."

Der unumstößliche Glaubenssatz aller Verfechter des kapitalistischen Wirtschaftswesens von links bis rechts und von gestern bis heute und so "alternativ" wie ein alter Turnschuh. Mit ihrem Bekenntnis zur Konkurrenzökonomie als Garant effizientester Nutzung der Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit findet sich die AfD in trautester Eintracht mit sämtlichen Funktionsträgern jenes "Systems", dem sie fortwährend ihr Misstrauen ausspricht.

2. "Das unsubventionierte Angebot, von dem sich die Marktteilnehmer den größten Vorteil versprechen, setzt sich dauerhaft durch."

Kein Produzent soll durch irgendwelche staatlichen Unterstützungszahlungen bevorzugt und dadurch sein Wille zur Durchsetzung im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf geschwächt werden. Es gilt der Grundsatz, dass Preis- und somit Kosten- bzw. Lohndrückerei das überzeugendste Konkurrenzargument darstellen und demjenigen Unternehmer der dauerhafte Erfolg gebührt, der seine Interessen in jeder Hinsicht durchzusetzen in der Lage ist. Dass sich das, was sich da immerzu so erfolgreich durchsetzt, die möglichst rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitsseite zur Voraussetzung hat, will die Partei lieber nicht in ihr Programm schreiben.

3. "Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle."

Verschärfte ökonomische Konkurrenz bei größtmöglicher finanzieller Zurückhaltung des Staates gegenüber den Geschädigten eines rücksichtslosen Wettbewerbs. "Desto besser für alle": blanker Zynismus gegenüber alle jene, die in der schönen AfD-Welt eines hemmungslosen Gegeneinanders nicht mithalten können! Das ist nicht der ansonsten von Populisten gern gepflegte nationalistisch unterfütterte Rassismus, sondern ein Rassismus der Konkurrenz, der sich eindeutig gegen die Schwachen in der Gesellschaft richtet und deren Schädigung als Vorteil "für alle" verhöhnt. Dass hier mit "alle" aber gar nicht "alle" gemeint sind, sondern nur die Nutznießer des Konkurrenzwesens, unterschlägt die Partei.

4. "Denn Wettbewerb schafft die Freiheit, sich zu entfalten und selbst zu bestimmen, privates Eigentum an Gütern und Produktionsmitteln erwerben zu können, eigenverantwortlich Verträge zum eigenen Vorteil und zum allgemeinen Wohl zu schließen, zwischen verschiedenen Anbietern, Produkten, Dienstleistungen oder Arbeitsplätzen wählen zu können, ertragsbringende Chancen zu nutzen, aber auch ein mögliches Scheitern selbst zu verantworten."

Wenn sich die Anhänger der staatlicherseits erteilten und überwachten Lizenz zum wechselseitigen Benützen und Schädigen den Schönheiten ihres verehrten Konkurrenzwesens widmen, betrachten sie es gerne sportlich ("Wettbewerb"), denn dass der Kampf um Marktanteile immer Gewinner und Verlierer produziert, d.h. Existenzen nicht nur fördert, sondern eben auch beschädigt und vernichtet, macht sich als Werbung für das eigene politische Programm nicht besonders gut. Deshalb wird Wert darauf gelegt, zu betonen, dass das knallharte Konkurrieren natürlich auch Schönes gebiert, nämlich für die Nutznießer, die sich "entfalten und selbst ... bestimmen" können, während man die Geschädigten und Verlierer mit der gesellschaftlich durchaus weiträumig anerkannten Sichtweise abspeist, dass sie ihr Scheitern bedauerlicherweise selbst zu verantworten haben. Denn jeder ist ja bekanntlich seines eigenen Glückes Schmied!

Dem Erfolgreichen blüht ein Zugewinn an "Gütern und Produktionsmitteln" - nicht ohne Grund wird beides in einem Aufwasch erwähnt, denn was dem Lohnarbeiter sein neuer Fernseher ist dem Unternehmer seine neue Fabrikhalle - beides verdient durch eigene Anstrengung -, also auch irgendwie gleichzusetzen, weil Eigentum! Dass der eine seine neue Fabrikhalle durch die unbezahlte Mehrarbeit (= Ausbeutung) des anderen finanziert, ist dabei nicht der Rede wert und soll es auch nicht sein!

Eine weitere Schönheit des freien und ungezügelten Konkurrierens liegt darin, als Teilnehmer am selbigen "eigenverantwortlich Verträge zum eigenen Vorteil und zum allgemeinen Wohl" abschließen zu können, womit auch gleich bewiesen wäre, dass der eigene Vorteil und das allgemeine Wohl ungefähr ein und das selbe sind. Wenn sich der eine am anderen bereichert, ist das bekanntermaßen ja auch zum Wohle des Ausgebeuteten, der dadurch ja immerhin in den Genuss des Vorteils gekommen ist, überhaupt ausgebeutet, d.h. als Lohnarbeiter benützt worden zu sein! So jedenfalls sieht es die herrschende Volkswirtschaftslehre, die behauptet, wenn nur jeder seinen eigenen egoistischen Bereicherungsneigungen nachgeht, dann dient das insgesamt dem Gemeinwohl. Ein ziemlich alter ideologischer Hut, aber die AfD steht ja bekanntermaßen auf Gestriges.

Und nicht zuletzt erwartet den motivierten Teilnehmer am harten und ehrlichen Konkurrenzkampf das Reich der "ertragsbringende(n) Chancen" und darin eine äußerst verlockende und freie Wahl "zwischen verschiedenen Anbietern, Produkten, Dienstleistungen oder Arbeitsplätzen", die sich Unternehmer und Lohnabhängige am besten Hand in Hand - beides ja an der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit interessierte Gesellschaftsmitglieder - und als vor dem Gesetz Gleiche dankbar zu Gemüte führen und sich dabei schon einmal ausrechnen, welchen Gewinn ein jeder für sich daraus wird ziehen können. Und während der eine überlegt, ob der neue Arbeitsplatz seiner (freien) Wahl neben den wiederum gestiegenen Mietkosten auch noch die restlichen Lebenshaltungskosten mit abdecken wird, erfreut sich der andere an den preisdrückerischen Angeboten seiner Zulieferer, die seine betriebliche Gewinnmarge vergrößern.

Man erkennt unschwer: Die AfD schert Unterschiedliches über einen Kamm und erzeugt dadurch den Anschein von Gleichheit. Der Witz an dieser Methode, die auch im Grundgesetz mehrfach Anwendung gefunden hat und sich allgemeiner Beliebtheit erfreut, liegt darin begründet, dass - indem Ungleiches gleich behandelt wird - die Ungleichheit gefördert wird! Die ideologische Funktion dieser Sichtweise beruht darin, damit Interessengegensätze verschleiern zu können!

"Soziale Marktwirtschaft statt Planwirtschaft"

Mit den in Abschnitt 10.1. ihres Parteiprogramms formulierten Vorstellungen bewegt sich die AfD in keiner Weise außerhalb dessen, was in der Bundesrepublik in ökonomischer Hinsicht von Anfang an Geltung hatte und auch weiterhin hat. So viel zu ihrem Selbstverständnis als "Alternative" zu den "Systemparteien". Die wesentlichen gesetzlichen und ökonomischen Grundlagen werden auch von der AfD anerkannt und darüber hinaus noch durch völkische, d.h. Volksfreundlichkeit vortäuschende Elemente angereichert, die dem Ganzen aber keine neue Richtung geben.

Aber selbst die - so sehr sie bei den "Systemparteien" auch auf Kritik und Ablehnung stoßen mögen - gehen als von der Meinungsfreiheit gedeckt und wie in Grundgesetz Artikel 5 (Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft) formuliert in Ordnung.6

Ein interessantes Statement und ein Beispiel für den ziemlich freihändigen Umgang mit Tatsachen liefert die AfD im Kapitel "10.2 Soziale Marktwirtschaft statt Planwirtschaft" ihres Parteiprogramms. Die "EURO-Rettungspolitik der Staaten des EURO-Währungsverbundes und die Manipulation der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank"7 geißelt sie als "Planwirtschaft" und will damit suggerieren, es fänden in der EU tatsächlich planwirtschaftliche Eingriffe statt, denen die AfD eine klare Absage erteilen will, deshalb ihr Bestehen auf "Eigentum, Eigenverantwortlichkeit und freie(r) Preisbildung", sprich unbehindertem Konkurrenzgeschehen.

Und was sie mit der Aussage: "Wirtschaft ist immer Mittel zum Zweck, niemals Selbstzweck"8 eigentlich meint, ist das direkte Gegenteil dessen, was sie auszudrücken glaubt: Es ist das kapitalistische (!) Wirtschaften, welches immer nur dem Selbstzweck der Erwirtschaftung von Profit folgt, denn wo kein Profit winkt, wird auch nicht produziert. Nicht die Politik setzt die ökonomischen Zwecke, sondern die Logik der Profitwirtschaft. Die AfD forderte demnach, nähme man ihre Aussage dem Inhalt nach wörtlich, die Einführung der Planwirtschaft, was sie damit natürlich nicht zum Ausdruck bringen wollte. Aber will man Politikern wirklich die Herrschaft über ein Land anvertrauen, wenn die den Inhalt dessen, was sie in ihr Parteiprogramm schreiben, ihrem Sinn nach anscheinend gar nicht verstehen?