Die letzte Grenze der Menschheit

Das frühe 20. Jahrhundert bot noch in der Arktis und Antarktis, was jetzt nur im Weltraum möglich ist

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Im Jahr 1913 liefen zwei Schiffe aus ihren Heimathäfen aus, um die letzte Grenze zu überschreiten, die der Menschheit noch geblieben war - Arktis und Antarktis. Das eine Schiff war die Endurance von Sir Ernest Shackleton, dessen Expedition grandios scheitern sollte. Dennoch ging seine Fahrt als Beispiel eines starken Überlebenswillens in die Geschichte ein. Das Buch "Die Endurance. Shackletons legendäre Expedition in die Antarktis" von Caroline Alexander, das vor zwei Jahren erschien, wurde ein internationaler Bestseller. Im Schlepptau der Endurance sind jetzt weitere Titel erschienen, die sich mit den Wettläufen zu den Polen beschäftigen.

Eine der Neuerscheinungen erzählt die Geschichte des zweiten Schiffes, das im Juni 1913 den kanadischen Hafen Victoria verlässt, um unerforschtes Land zu entdecken. "Packeis. Das Drama der kanadischen Polarexpedition von 1913" heißt das Buch von Jennifer Niven, in der die amerikanische Journalistin die tragische Geschichte der Karluk erzählt, deren Fahrt zu einer Parabel über den unstillbaren Drang der Menschen wurde, natürliche Grenzen zu ignorieren.

Als die Karluk vom Kurs abkommt und von Packeis umschlossen ist, geht der Expeditionsleiter Stefansson von Bord und lässt die Mannschaft im Stich. Fünf Monate später wird das Schiff vom Eis zerdrückt - und der Überlebenskampf beginnt. Am Ende marschiert Kapitän Bartlett 700 Meilen durch Sibirien, um Hilfe zu holen. Jennifer Niven hat sämtliche Aufzeichnungen und Tagebücher der Expeditionsteilnehmer gesichtet und eine Geschichte konstruiert, die dramatisch und spannend zu lesen ist.

"Fahre nach Süden. Amundsen" - vier Worte schickt der Norweger Roald Amundsen 1911 an Robert F. Scott, und der Wettlauf beginnt: Denn Scott wollte den Südpol als erster Mensch erreichen - und wurde schließlich doch nur Zweiter. Die Historikerin Diana Preston hat die Antarktis selber bereist, um in "In den eisigen Tod. Robert F. Scotts letzte Fahrt zum Südpol" das Rennen zum Pol nachzuerzählen, bei dem von Anfang an die Chancen für Scott und seine vier Begleiter schlecht standen. Die Motorschlepper versagten den Dienst, die mitgebrachten Ponys erwiesen sich in der beißenden Kälte als schlechte Lasttiere. Und am 18. Januar 1912 musste er erleben, dass sein Rivale schon vor ihm am Südpol die norwegische Flagge gehisst hatte.

In einem ungeheuren Gewaltmarsch legten sie anschließend in 81 Tagen rund 3000 Kilometer auf dem Weg zum Schiff zurück. Schließlich trennten sie noch 18 Kilometer von einem Lebensmitteldepot. Doch die Abenteurer waren mit ihren Kräften am Ende, und außerhalb ihres Zeltes tobte ein heftiger Schneesturm. Die letzten Worte, die Scott am 29. März 1912 in sein Tagebuch eintrug, lauteten: "Wir müssen bis zum Ende durchhalten, aber natürlich werden wir schwächer, und das Ende kann nicht mehr fern sein."

"Männer gesucht für eine gefährliche Reise. Geringe Löhne, bittere Kälte, lange Monate totalen Stumpfsinns, stete Gefahr, Rückkehr ungewiss, im Erfolgsfall Ehre und Anerkennung." Mit dieser Anzeige in der Times hatte Shackleton nach seiner Besatzung gesucht. Und mit diesen Zeilen hätte auch der Extremreisende Arved Fuchs nach Gefährten suchen können, als er im Dezember 1999 zu seiner "Shackleton 2000" genannten Expedition auf den Spuren des historischen Entdeckers aufbrach. Was er dabei erlebt hat, schildert er in seinem reich illustrierten Buch "Im Schatten des Pols. Auf Shackletons Spuren im härtesten Meer der Welt".

Im Vergleich zu Arved Fuchs und den anderen Polarreisenden ist der niederländische Biologe Louis Beyens eher eine Art Pauschalreisender unter den Abenteurern. Unter dem Titel "Arktische Passionen. Ein Reisebericht" vermittelt er dennoch ein interessantes Bild mit vielen historischen und wissenschaftlichen Details. Seine Begeisterung verließ ihn auch nicht, als er bei minus 30 Grad versuchte, eine Suppe zu löffeln: "Als die Suppe endlich warm genug ist, will Luc den Topf auf den Boden stellen, doch ehe es so weit ist, entgleitet ihm der Topf und fällt um. Im nächsten Augenblick ist das Zelt in dicken Dunst gehüllt, der sogleich an den Zeltwänden gefriert und einfach so in die Hand genommen werden kann." Die Passion ist eben arktischer und nicht kulinarischer Art.

Arved Fuchs: «Im Schatten des Pols. Auf Shackletons Spuren im härtesten Meer der Welt». Delius Klasing Verlag, Bielefeld. 224 S., 49,80 DM.

Diana Preston: «In den eisigen Tod. Robert F. Scotts letzte Fahrt zum Südpol». Aus dem Englischen von Sylvia Höfer. DVA, Stuttgart. 332 S., 49,80 DM.

Jennifer Niven: «Packeis. Das Drama der kanadischen Polarexpedition von 1913». Aus dem Amerikanischen von Sabine Schulte. Hoffmann & Campe, Hamburg. 463 S., 44,90 DM.

Louis Beyens: «Arktische Passionen. Ein Reisebericht». Aus dem Niederländischen von Janneke Panders. C. H. Beck, München. 349 S., 48 DM