Die letzte Zigarette

Tabak als illegale Droge?

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The Lancet, eine bedeutende medizinische Zeitschrift, ruft in ihrem aktuellen Editorial zu einem gesetzlichen Verbot ("total ban") von Zigarettenkonsum auf.

Es sei der falsche Weg, den Konsum über den Preis verringern zu wollen: Vielmehr seien Verfügbarkeit und Akzeptanz die Schlüsselworte:

Wenn Tabak eine illegale Substanz wäre, würde der Besitz von Zigaretten illegal und die Zahl der Raucher würde drastisch sinken. Rauchen ist eine gefährliche Sucht. Wir müssen viel mehr tun, um diese Krankheit zu bekämpfen und ihren Opfern zu helfen. Wir rufen Tony Blairs Regierung auf, Tabak zu verbieten.

Ein Sturm der Entrüstung und des Hohngelächters brach prompt bei der Tabak-Lobby los. Interessengruppen meinten, jetzt habe sich die "wahre Stimme der tollwütigen Anti-Raucher-Zeloten" gezeigt. Andere sprachen von "Wahnsinn" und einem "Alptraum". Ein Kommentar im Independent räumt ein, dass Tabak als verbotene Droge eingestuft werden würde, wenn man ihn jetzt neu entdeckte. Ein Verbot mit 100jähriger Verzögerung jedoch würde keinen Sinn ergeben. Den Handel einer Droge, nach der nachgewiesenermaßen so eine große Nachfrage herrsche, dürfe man nicht in die Hände von Kriminellen geben. Außerdem werde die verbotene Zigarette unter jungen Leuten zum verlockenden Symbol der Rebellion. Man sieht, die Diskussion wird durchaus ernstgenommen und auch ein etwas milderes Verbot wird in Großbritannien gerade salonfähig, aber wohl noch nicht so bald durchgesetzt.

Die British Medical Association hatte Donnerstag mit einiger Resonanz einen Gesetzeswentwurf vorgeschlagen, der das Rauchen in der Öffentlichkeit sowie in Restaurants und Geschäften verbietet. Durchgesetzt wurde ein solches Verbot bisher in New York, Kalifornien, Irland (ab 16. Februar 2004), Norwegen (ab Frühjahr 2004) und Neuseeland (2004). Am Arbeitsplatz ist das Rauchen bereits in Australien, Kanada and Hongkong verboten. Laut WHO sollten eigentlich alle Mitgliedsstaaten demnächst ähnliche Verbote einführen:

Im Mai diesen Jahres hat die WHO mit der Durchsetzung der Anti-Tabak-Konvention erstmals in ihrer 54-jährigen Geschichte einen Gesundheitsstandard angenommen, der sich in der ganzen Welt durchsetzen soll. Laut Konvention, die in etwa einem Jahr wirksam werden könnte (!), sollen die Mitgliedsstaaten Werbung für Zigaretten verbieten oder zumindest einschränken, falls ein Verbot nicht verfassungsgemäß ist. Begriffe wie "mild" und "leicht" sollen von den Packungen verschwinden, die Warnungen mindestens die halbe Oberfläche der Schachtel einnehmen; auch Bilder von geschädigten Lungen sind denkbar (vgl. Ich sterbe gerade unter großen Schmerzen). Regelmäßige "Luftkontrollen" sollen das Passivrauchen weiter einschränken. An öffentlichen Plätzen sowie Restaurants und Bars soll das Rauchen grundsätzlich verboten werden. Deutschland und die USA hatten sich bis zuletzt gegen das Übereinkommen gesträubt (vgl. Massenvernichtungswaffen aus Deutschland). Im internationalen Vergleich war die Bundesrepublik mit rund 140 Milliarden verkauften Zigaretten im vergangenen Jahr fünft-größtes Raucherland . Die Werbekosten für Tabakprodukte beliefen sich auf rund 300 Millionen Euro im Jahr. Zum Vergleich: Der Beitrag der Bundesregierung zum globalen Aids-Fond beträgt 40 Millionen Euro (vgl. Von Mücken übertragen). Der Drachen der Tabakkontrolle soll laut Konvention auch in China steigen, dem Land, welches weltweit die meisten Zigaretten produziert und konsumiert (1600 Milliarden jährlich) und dessen Restaurants nicht gerade berühmt für seine Nichtraucherbereiche sind. Mehr als ein Viertel der 1,2 Milliarden Chinesen rauchen. Unter Männern gehört das Anbieten einer Zigarette zum normalen Begrüßungsritual; Rauchen gilt nahezu als soziale Notwendigkeit und Zigaretten kosten wenig. Mit einer Wachstumsrate von 3 Millionen Rauchern pro Jahr ist China ein Markt, auf den zunehmend auch ausländische Tabakkonzerne linsen, denen anderswo das Geschäft erschwert wird. 35 der hundert besten chinesischen Steuerzahler sind - Zigarettenhersteller. Dass jedoch die langfristigen Gesundheitskosten sämtliche Profite wieder wegwischen könnten, scheint man im Ansatz zu realisieren.