Von Mücken übertragen

Aids in einem aufgeklärten Zeitalter

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Laut Jahresbericht des Aids-Bekämpfungsprogramms der Vereinten Nationen (Unaids) sind dieses Jahr etwa drei Millionen Menschen an Aids gestorben, fünf Millionen haben sich neu infiziert. Zwei Rekordzahlen, die sich, wie es aussieht, nächstes Jahr wieder erhöhen werden.

Seit dem 14. Jahrhundert gab es keine so machtvolle Seuche. Dass Forscher vor zwanzig Jahren ankündigten, es werde in spätestens zwei Jahren einen Impfstoff geben, zeigt wie unvorhersehbar die Herausforderungen im Bereich der Impfstoffentwicklung sind.

2,5 Millionen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren sind weltweit HIV-infiziert. 2003 steckten sich jeden Tag 14 000 Menschen neu an. Neben Afrika seien China, Indien, Indonesien, Russland und Osteuropa besonders kritische Gebiete. In Litauen vervierfachte sich die Zahl der HIV-Infektionen von 1999 bis 2002. In Botswana und Swasiland liegt die Ansteckungsrate bei fast vierzig Prozent.

In Ländern wie Deutschland würde "hochriskantes Verhalten" wie Sex ohne Kondome zunehmen. Wegen der Verfügbarkeit von antiretroviralen Medikamenten ging die Zahl der Toten in Westeuropa jedoch zurück. In Deutschland leben etwa 33 500 Männer und 9 500 Frauen mit dem Virus, 200 Menschen infizierten sich diese Jahr neu. Im Jahr 2050 werden, so ein anderer Bericht (vgl. Sex, Alkohol, Juden und Inder), weltweit geschätzte 278 Millionen Menschen an der tödlichen Immunschwäche leiden.

In Afrika leben 29 Millionen der insgesamt 40 Millionen HIV-Infizierten. Rund 200 000 der 97 Millionen Angestellten und freiwilligen Mitarbeiter des Roten Kreuzes sollen HIV infiziert sein, die meisten davon in Afrika. Sie können den anderen Aids-Kranken nur helfen, wenn sie selbst Medikamente bekommen, die sie sich wie viele andere Afrikaner jedoch nicht leisten können. Den Kollegen zu helfen sei, so ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes, somit eine Frage der "Organisation des Überlebens". Nach einer Unicef-Studie wird sich die Zahl der Aids-Waisen bis 2010 etwa verdoppeln. "Afrikas verwaiste Generationen", das sind schon jetzt mindestens elf Millionen Kinder, die zum Teil vollkommen auf sich gestellt sind. John Carlin berichtet im Independent, dass in Südafrika wichtige Aufklärungsarbeit ausgerechnet ein TV-Genre liefert, das bei uns als politisches Medium weniger ernst genommen wird: die Soap Opera. In den Folgen der verschiedenen Seifenopern diskutieren Männer und Frauen miteinander (keine Selbstverständlichkeit in einem Land, in dem traditionell nur ein Part das sagen hat) und es wird beispielsweise das Leben von drei Kindern gezeigt, die ihre Eltern durch Aids verloren haben.

Nicht nur in Afrika, sondern auch in Asien und Südamerika sollen laut Berichten Vertreter der katholischen Kirche mit dem Schreckensbild des löcherigen Kondoms aufwarten, um sexuelle Enthaltsamkeit durchsetzen zu können (vgl. Sex, Alkohol, Juden und Inder).

Die zweithöchste Zahl von HIV-Infizierten haben Süd- und Südostasien mit mehr als sechs Millionen Menschen. Vor allem Indonesien, ein Land, das zwar eine Anti-Aids-Strategie hat, jedoch aufgrund der zu 90 Prozent islamischen Bevölkerung mit öffentlicher Aufklärung eher zimperlich ist, scheint gefährdet zu sein. In der gigantischen Sexindustrie Indonesiens soll es Infektionsraten von 5 bis zu 25 Prozent geben. Kambodscha und Thailand können dank offensiver Kondomwerbung schon erste Erfolge im Kampf gegen Aids verzeichnen.

Das chinesische Fernsehen hat jetzt erstmals einen Webefilm für Kondome gezeigt, übrigens das Produkt einer Zusammenarbeit mit einer deutschen Entwicklungshilfeorganisation. In China sind schätzungsweise eine Million Menschen mit dem Virus infiziert, das Wissen über ihn ist gering. Bei einer Umfrage hatten Prostituierte gemutmaßt, er werde von Mücken übertragen. So haben die UN gewarnt, dass, wenn keine Aufklärung stattfinde, sich die Zahl bis 2010 auf zehn Millionen erhöhen werde.

In Iran gibt es seit Jahren Aufklärungskampagnen, obwohl nichtehelicher und vorehelicher Sex offiziell verboten ist, ist Prostitution ein Teil der Gesellschaft geworden. Die offiziell ausgegebenen Zahlen der HIV-Infizierten sind vergleichsweise niedrig; 4 237 Fälle soll es in Iran bis Ende März diesen Jahres gegeben haben. Dass die Zahl richtig ist, wird von Experten jedoch angezweifelt. Auch die Aufklärungsarbeit sei oft sehr verschwommen und zeige ein falsches Bild der Krankheit und der Menschen, die von ihr betroffen sind. Das ägyptische Gesundheitsministerium gibt eine Zahl von 1 500 Infizierten aus; Schätzungen liegen eher bei 8000. Auch wenn das - noch- verhältnismäßig wenige sind, ist die Situation ungut; seine Medikamente kosten einen Infizierten umgerechnet 1000 Euro im Monat, was für die meisten bedeutet, dass sie aus Geldmangel ihr Leben nicht medikamentös verlängern können. Außerdem werden HIV-Infizierte stigmatisiert und isoliert. Die nationale Aufklärung über Aids ist auch hier vage und zögerlich. Viele glauben sich dank Tradition und Religion vor dem Virus sicher. Doch auch in Ägypten nimmt die Prostitution zu und auch Homosexualität ist nicht so selten, wie die offizielle Linie gerne glauben machen möchte.

Der Beitrag der Bundesregierung zum globalen Aids-Fond beträgt 0,27 Prozent des Bruttonationaleinkommens, das sind 40 Millionen Euro. Zum Vergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben die Deutschen allein letztes Jahr 146 Milliarden Euro auf die hohe Kante gelegt. Am morgigen Welt-Aids-Tag will die WHO ein Programm starten, das u.a. Menschen dazu ausbildet, als so genannte "Barfuß-Ärzte" Infizierte weltweit mit antiretroviralen Medikamenten zu versorgen. Die Devise heißt "3 by 5": Bis zum Jahr 2005 sollen drei Millionen Menschen die nötige Behandlung bekommen.