"Die nächste Revolution findet im Internet statt"
Interview mit Angela Marquardt (PDS)
Radikal und kein Ende. Seitdem die ehemalige PDS-Vorsitzende Angela Marquardt wegen eines Links, der von ihrer Homepage zur Online-Ausgabe der linken Zeitschrift Radikal führt, angeklagt wurde, erhält sie Zuspruch von Personen, der weit über die Stammwählerschaft der PDS hinausgeht. Das folgende Interview von Tilman Baumgärtel ist das erste öffentliche Pressegespräch, in dem Marquardt ihr Version des Falles darstellen kann.
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?: Frau Marquardt, auf Ihrer Homepage haben Sie einen Hyperlink auf die Online-Ausgabe der linksradikalen Zeitschrift "Radikal". Darum hat Sie die Staatsanwaltschaft des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten angeklagt. Sie hätten Schriften verbreitet, in denen Verbrechen beschrieben werden und diese dadurch gebilligt. Sind Sie schuldig im Sinne der Anklage?
Marquardt: Nein, denn ich habe ja nichts verbreitet. Auf einer meiner Seiten befindet sich ein Querverweis zu einer Seite, von der aus die "Radikal" gelesen werden kann. Das ganze steht im Zusammenhang mit einer Reihe von bekannten Leuten, welche die Razzien und Prozesse gegen die Zeitschrift verurteilen. Ich persönlich habe mit der "Radikal" nichts zu tun. Für meine politische Arbeit brauche ich diese Zeitschrift nicht. Aber die Art, wie mit der "Radikal" umgegangen wird, ist falsch.
?: In der Ausgabe Nummer 154 der "Radikal" gibt es einen Artikel mit dem Titel "Kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten aller Art", in dem vorgeschlagen wird, Schaltkasten an Bahnstrecken zu zerstören, um Rekrutierungszuge aufzuhalten. Die Staatsanwaltschaft des Amtsgerichts Berlin wirft Ihnen vor, das Sie durch ihren Hyperlink zur "Radikal" solche Taten gebilligt hätten.
Marquardt: Den Inhalt der "Radikal" Nummer 154 kannte ich überhaupt nicht.
?: Aber Sie wußten, das in der "Radikal" in der Regel keine Rezepte für Weihnachtsplätzchen stehen?
Marquardt: Auf meiner Homepage habe ich Erklärungen vorgeschaltet, in denen ich mich von Straftaten und Gewalt, über die in der Radikal berichtet wurden, distanziere. Der Vorwurf ist lächerlich. Was die Staatsanwaltschaft durch ihre Anklage jetzt erreicht hat, ist, daß jeder diese "Radikal"-Seiten lesen will. Sie sind inzwischen auf verschiedenen anderen Seiten gespiegelt worden, und sogar in ganz unpolitischen Computerzeitungen steht etwas über dieses Thema. Wer trägt denn da nun zur Verbreitung der "Radikal" bei? Ich oder die Staatsanwälte?
?: Wenn Sie am 4. Februar vor dem Amtsgericht-Tiergarten wegen ihrer Homepage vorgeladen sind...
Marquardt: Ursprünglich ist der 4. Februar der Termin für ein Verfahren, das von der "Jungen Freiheit" gegen mich angestrengt wurde. Jetzt versucht die Berliner Staatsanwaltschaft, dieses Verfahren mit dem "Radikal"- Verfahren zusammenzulegen, obwohl beide nichts miteinander zu tun haben. Lediglich der Tatvorwurf soll der gleiche sein: Billigung und Belohnung von Straftaten. Wahrscheinlich wissen die, wie dünn beide Anklagen sind, und wollen durch die Zusammenlegung überhaupt erst ein Urteil erzielen.
?: Wie werden Sie sich verteidigen, wenn es zum Verfahren wegen Ihrer Homepage kommt?
Marquardt: Darüber will ich jetzt noch nichts sagen. Aber ich will, daß vor Gericht Internet-Experten angehört werden. Das ist für mich ein Präzedenzfall, der vor Gericht auch entsprechend verhandelt werden muß.
?: Es gibt auf anderen deutschen Homepages Links auf die "Radikal". Warum, glauben Sie, sind gerade Sie angeklagt worden?
Marquardt: Für mich ist das ein politischer Prozeß. Ich glaube, da kommen mehrere Gründe zusammen. Erstens spitzt sich die Kampagne gegen die "Radikal" zu. Die Redaktion ist ja auch angeklagt worden, und da versuchen die Staatsanwälte jetzt überall, hart durchzugreifen. Außerdem versucht man natürlich auch, einen Zusammenhang zwischen mir und dem linksradikalen, autonomen Spektrum herzustellen. Und vor allem soll über meine Person die ganze PDS kriminalisiert werden. Mit der Kommunistischen Plattform geht das nicht mehr, weil bei dem Thema inzwischen alle nur noch gähnen. In der Anklageschrift wird der Vorgang ja ausdrücklich mit mir als "stellvertretende Bundesvorsitzende der PDS" begründet.
?: Auf dem PDS-Parteitag am vergangenen Wochenende haben sie nicht wieder als stellvertretende Parteivorsitzende kandidiert. Wird dieses Verfahren Ihr zukünftiges politisches Engagement beeinflussen?
Marquardt: Nein. Ich gehe davon aus, daß ich im Recht bin. Aber wenn ich verurteilt werde, steht im polizeilichen Führungszeugnis: Vorbestraft. Außerdem muß ich mir jetzt einen Job suchen. Ich weiß nicht, ob dieses ganze Theater da hilfreich ist. Da kann es schon sein, daß ein möglicher Arbeitgeber Angst hat, daß er plötzlich den Verfassungsschutz vor der Tür stehen hat.
?: Werden Sie bei dem Prozeß von Ihrer Partei unterstützt, obwohl sie nicht mehr stellvertretende Bundesvorsitzende sind?
Marquardt: Fragen Sie mal knapp 120.000 PDS-Mitglieder, was das Internet ist. Ich erwarte deshalb nicht, daß jeder sofort versteht, warum dieses Verfahren politisch so wichtig ist. Aber die Unterstützung ist vorhanden. Auf dem Parteitag am letzten Wochenende ist einstimmig eine Solidaritätsresolution verabschiedet worden. Ich erhalte "politische und finanzielle Unterstützung", heißt es darin. Damit stehe ich nicht alleine da.
?: Erwarten Sie auch Unterstützung von der deutschen "Net-Community"?
Marquardt: Die gibt es schon. Wir bekommen jeden Tag Emails, da war sogar schon ein Spendenangebot dabei. Auch etliche Computerzeitschriften haben sich auf meine Seite gestellt. Selbst Leute, die die PDS politisch scheiße finden, sind in diesem Fall mit mir solidarisch. Denn bei diesem Fall geht es nicht so sehr um mich oder um meine Partei, sondern um Zensur im Internet. Dieses Thema muß in der Öffentlichkeit diskutiert werden.
?: Werden Sie auch weiterhin politisch im Internet aktiv bleiben?
Marquardt: Ich habe von Anfang an versucht, alles was ich politisch mache, auch öffentlich zu machen - im Internet und anderswo. Und so wird es auch bleiben. Das Internet bietet heute neue Möglichkeiten der politischen Verständigung. Und das soll offenbar verhindert werden. Ein Fehler, den gerade Parteien im Internet machen, ist, daß sie das Netz nur als Werbemedium betrachten. Aber es geht nicht darum, schöne Fotos vom lächelnden Gregor Gysi und der kämpferischen Angela Marquardt ins WorldWideWeb zu stellen. Das Internet hilft mir als Politikerin, nicht ganz abzuheben. Im Netz kann ich mit den Leuten direkt diskutieren - auch mit solchen, die ich sonst nie treffen wurde. Dadurch gibt es Rückkoppelungen, und das macht Politik auch wieder transparenter. Die nächste Revolution findet im Internet statt.
Interview: Tilman Baumgärtel
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