Die neue französische Sicherheitsstrategie: eine hybride Kriegserklärung

Seite 2: Beharren auf Eigenständigkeit

Während der globale Geltungsbereich einer offenen hybriden Konfrontation sowie eigener militärischer Handlungsfähigkeit und Legitimität sehr klar und wiederholend formuliert ist, bleibt die Sicherheitsstrategie auch an vielen anderen Punkten uneindeutig.

An vielen zentralen Stellen steht die Selbstbezeichnung Frankreichs als "ausgleichende Macht" ("puissance d‘équlibres"), ohne dass die darunter zu verstehende, geopolitische Selbstverortung nachvollziehbar ausformuliert wäre.

Zwar werden EU und NATO als primäre sicherheitspolitische Bezugsrahmen mehrfach und prominent genannt. Die ihnen gewidmeten Unterkapitel allerdings bleiben relativ unkonkret und floskelhaft. Demgegenüber wird relativ prominent die Fähigkeit zur militärischen Zusammenarbeit mit den USA hervorgehoben.

Auch in der Definition jener Akteure, die mal als Gegner und mal als Konkurrenten dargestellt werden, China und Russland, stellt man sich klar auf Seiten der EU und der NATO, ist aber merklich darum bemüht, jeweils eigene, nationale Interessen und Werte zu finden, welche ebendiese zu Gegnern machen.

Gerade im Hinblick auf China gelingt dies allenfalls begrenzt. Analog hierzu wird jedoch wiederholt der Anspruch formuliert und die Fähigkeit unterstrichen, auch unilateral und in Ad-Hoc-Koalitionen hochintensive militärische Auseinandersetzungen führen und gewinnen zu können. Ein seltsam anmutendes Beispiel hierfür ist der bereits zitierte Absatz zur nuklearen Abschreckung, von der die NATO- und EU-Verbündeten offensichtlich nicht ausgenommen werden.

Damit deutet sich zumindest an, dass Frankreich als "ausgleichende Macht" – bei und trotz Einbindung in EU und NATO – nicht vorhat, diesen seine Interessen und außenpolitischen Maximen unterzuordnen. Dafür, als ausgleichende Macht, das Bündnis mit den strategischen Rivalen von EU und NATO zu suchen, bietet der Text allerdings auch keine Grundlage.

Das Beharren auf Eigenständigkeit zeigt sich auch in einem kleinen Unterabschnitt unter dem Titel "Aufklärung – Verständnis – Antizipation", bei dem es um klassisch geheimdienstliche Arbeit und Strukturen der Entscheidungsfindung zu gehen scheint, implizit aber sicher auch entsprechende technologische Entwicklungen gemeint sind, um Handlungen der Gegner bzw. Wettbewerber zu erkennen, zu antizipieren und zu beeinflussen.

Hier scheint sich das französische Verteidigungsministerium große Hoffnungen zu machen – auch dahin gehend, von den Verbündeten zu profitieren, ohne dafür auf eigene Kapazitäten zu verzichten:

"Die Funktion aufklären-verstehen-antizipieren hat eine starke partnerschaftliche Dimension. Um in priorisierten Bereichen zu einer autonomen Lageeinschätzung zu gelangen, ist es nötig, die Wahrnehmung der Partner durch eigenständige Fähigkeiten zu ergänzen".

Hybride (Un)Eindeutigkeiten

Auch die konkrete Bedeutung des hybriden Kriegszustandes, der konstatiert wird, bleibt uneindeutig.

Internationales Recht wird nur an wenigen Stellen als Handlungsrahmen angesprochen, seine "Ausnutzung" durch Dritte hingegen in Absatz 26 explizit als "Lawfare" diskreditiert: "Unsere Wettbewerber haben aus dem Recht eine Waffe gemacht, die sie gegen unsere Interessen einsetzen, um ihren Aufstieg abzusichern". Ein bemerkenswerter Satz.

Die Uneindeutigkeit des vermeintlichen Kriegszustandes spiegelt sich auch im Umgang mit einer weiteren, wiederkehrenden Formulierung, nämlich derjenigen der "Kriegsökonomie". Diese wird in unterschiedlichen Absätzen entweder als Beschreibung der aktuellen französischen Wertschöpfung verwendet, als aktuelle Notwendigkeit oder als herzustellende Potenzialität dargestellt.

Letzteres wird beispielsweise in Absatz 122 weiter ausbuchstabiert, in dem es um die Bedingungen und Kompromisse geht, die nötig sind, "um die Erfordernisse eines Krieges (starker Verbrauch von Munition, Abnutzung etc.) langfristig durchhalten zu können".

Zugleich sind die Konsequenzen, die aus dem globalen hybriden Kriegszustand für andere Bereiche gezogen werden müssten, um Resilienz herzustellen, teilweise sehr konkret formuliert.

So heißt es zum Beispiel im Hinblick auf Jugend und Bildung, dass die "Attraktivität des Militärs" und eine "Geisteshaltung der Verteidigung … so früh wie möglich durch konkrete und belohnende Ansätze im Bildungsbereich verankert werden sollten" (Absatz 115). Hierzu sollte auch das Militär verstärkt in die Bildungsinstitutionen eingebunden werden.

Noch viel grundsätzlicher wird eingefordert, die gesamte Technologiepolitik dem Ziel der Verteidigungsfähigkeit und – an anderer Stelle – auch der Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckungsfähigkeit im Angesicht schnellen technologischen Wandels zu unterwerfen.

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