Die positiven Signale aus der Türkei

Seite 2: Die Schuldigen stehen für Erdogan fest

Für die türkische Regierung und die gleichgeschalteten Medien stehen die Verantwortlichen natürlich schon fest. Wie aber momentan in den türkischen Medien und auf Twitter von türkischen Regierungsmitgliedern gehetzt wird, übersteigt alles Dagewesene. So drohte der türkische Innenminister Süleyman Soylu, man werde den amtierenden PKK-Vorsitzenden Murat Karayilan in 1000 Stücke reißen.

Dazu teilte Soylu eine Grafik. Auf der Graphik steht, dass es immer noch "ehrlosen Dreck" gebe, der an der Seite der PKK stehe und dieser werde dafür bezahlen müssen. Gemeint ist die einzige demokratische Oppositionspartei in der Türkei, die HDP.

Der HDP-Ko-Vorsitzende Mithat Sancar stellte in der türkischen Oppositionszeitung Cumhuriyet Fragen, die auf eine Antwort warten:

Wenn das Ziel wirklich die Rettung dieser Menschen gewesen war, hätte die Operation so stattfinden müssen? War es möglich diese Menschen zu retten, nachdem 42 Kampfflugzeuge die Region tagelang bombardierten? Es hätte andere Wege gegeben, diese Menschen zu retten. Noch dazu viel einfachere Wege.

In 22 Jahren sind 335 Menschen, die von der PKK festgehalten wurden, gesund zu ihren Familien zurückgekehrt...Die Regierung hat uns nun als Sündenbock ausgesucht, um ihre eigene Verantwortung zu verdecken. Sie versucht die Opposition mit in ihre Verantwortung zu ziehen...Die Haltung der HDP ist jedoch klar: Wir bestehen auf einer demokratische Politik.

Mithat Sancar

Diese Hetze in den türkischen Medien und in den sozialen Medien gegen die HDP wurde von der türkischen Justiz sofort in Taten umgesetzt. Am Montag, den 15. Februar, wurden mehr als 700 HDP-Mitglieder verhaftet, darunter viele Kreis- und Provinzvorsitzende. Der Vorwurf: Unterstützung einer Terrororganisation.

Die rechtsradikale Partei MHP fordert seit langem das Verbot der HDP. Das könnte nun mittels dieser Kampagne eingeleitet werden. Devlet Bahceli, Chef der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und enger Verbündeter des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sagte angesichts der Militäroperation im Nordirak:

"Danach wird nichts mehr so sein wie vorher. Jeder sollte sich seine Seite aussuchen. Entweder Verrat oder Führung. Entweder Verdammnis oder das Volk." Devlet Bahceli, Chef der Nationalistischen Bewegung (MHP)

Damit fordert er alle in der Türkei ultimativ auf, sich sofort eindeutig zu positionieren oder ansonsten als Feind positioniert zu werden.

Leider übernehmen auch viele deutsche Medien unhinterfragt die türkische Propaganda und heizen damit die eh schon angespannte Stimmung zwischen den türkischen und kurdischen Bürgern in Deutschland an.

Zwar gibt man sich vordergründig objektiv, allerdings fast immer eingebettet in das Framing "PKK = Terrororganisation". In einem Artikel des Tagesspiegels vom 15.2.21 berichtet Susanne Güsten zwar vorsichtig kritisch über die türkische Propaganda, schreibt aber dann über die "Terrororganisation PKK". Und wie man weiß, hat eine "Terrororganisation" niemals Recht, sonst wäre sie ja keine Terrororganisation.

Der Gipfel dieser nach Auffassung der Autorin türkeitreuen Propaganda in deutschen Medien war ein Bericht der Tagesschau vom 15.2.2021. Die Tagesschau berichtete über die verhafteten Mitglieder der HDP, einer Partei, die im kurdischen Osten der Türkei bei den letzten Parlamentswahlen fast überall absolute Mehrheiten errungen hatte, von "700 mutmaßlichen PKK-Aktivisten, die heute festgenommen wurden".

Dass am selben Tag die kurdische Rechtsanwältin und Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD) ohne Beweise der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation bezichtigt und zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde, interessiert unsere Medien dagegen weniger. Eren Keskin setzt sich für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für die Rechte verfolgter Angehöriger von Minderheiten ein.

2001 erhielt Eren Keskin für ihr Engagement den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Zudem ist sie Trägerin zahlreicher anderer Preise, u.a. des Aachener Friedenspreises (2004).

Die stete Ausweitung des Terrorismusbegriffs verhindert eine Lösung der "Kurdenfrage"

Die niederländische Journalistin und Nahost-Expertin Fréderike Geerdink berichtet angesichts der aufgeheizten Diskussion über die Rolle der PKK und ihre Erfahrungen mit den türkischen Behörden in einer Episode aus dem Jahr 2015:

Es war auf der Polizeistation in Yüksekova, Anfang September 2015. Eine Gruppe von etwa dreißig Zivilisten und ein Journalist (ich) wurden festgenommen, weil wir uns in einem Sperrgebiet aufgehalten hatten, in dem Kämpfe zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Armee stattfanden...Ich glaube, wider besseres Wissen versuchte ich, mit dem Mann, der mir gegenüber saß, eine gemeinsame Basis zu finden, und ich begann darüber nachzudenken, wie unendlich traurig es war, dass der Waffenstillstand zu Ende gegangen war und dass es wieder so viele neue Tote geben würde und wie viel Schmerz das wieder verursachen würde - aber ich wurde unsanft unterbrochen, als seine Stimme durch den kleinen Raum donnerte: "THERE WAS NO CEASEFIRE!", brüllte er.

Es habe keinen Waffenstillstand gegeben, behauptete er, denn "Waffenstillstände gibt es nur zwischen Staaten, die sich im Kriegszustand befinden, und die Türkei befindet sich nicht im Krieg: Die Türkei kämpft gegen den Terrorismus und es wird niemals einen Waffenstillstand geben".

Fréderike Geerdink

Das Problem sei vor allem, dass im Kampf gegen den Terrorismus alles erlaubt sei, bei kriegerischen Auseinandersetzungen gäbe es aber nach internationalem Recht Regeln, an die sich alle halten müssten, schreibt Geerdink.

In dem Moment, in dem die Türkei anerkennen würde, dass sie tatsächlich in einen Krieg mit der PKK verwickelt ist, würde sie für alle Verbrechen, die sie begeht und die gegen die Genfer Konvention verstoßen, zur Verantwortung gezogen werden: Angriffe auf Zivilisten, die gewaltsame Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern und Dörfern und deren Zerstörung ohne jegliche militärische Notwendigkeit in der Türkei und Syrien, Folter und kollektive Bestrafung und viele weitere Verbrechen.

Im Gegensatz zur Türkei habe die PKK immer darauf hingewiesen, dass sie in einen Krieg verwickelt sei und sich an die Genfer Konventionen halten würde, so Geerdink, die hier auf einen wichtigen Aspekt hinweist: Die türkische Regierung hat kein Interesse, dass der seit 40 Jahren andauernde Konflikt als bewaffneter Konflikt zweier Kriegsparteien international anerkannt wird. Sonst könnten ihre Verantwortlichen vor dem Internationalen Gerichtshof landen.

Daher wird vehement am Begriff der Terrororganisation festgehalten. Westliche Regierungen ignorieren ihrerseits das Urteil des belgischen Kassationsgerichts, wonach die PKK eine legitime Partei in einem bewaffneten Konflikt sei. Sie wollen die Türkei unter allen Umständen in der Nato halten und einen wichtigen Absatzmarkt für Kriegsgerät nicht verlieren. Somit ist eine Lösung der Kurdenfrage nicht in Sicht und wird weiter unnötige Opfer auf beiden Seiten zur Folge haben.

Letztendlich erreicht die türkische Regierung mit ihrem Staatsterror gegen jegliche Opposition genau das Gegenteil: Die PKK hat große Sympathien in der jungen Generation und entsprechenden Zulauf. Die westlich orientierten Bürger der Türkei kehren ihrem Heimatland den Rücken und versuchen, sich im Ausland eine Existenz aufzubauen.

Auch im Ausland hat die PKK einen großen Zulauf, nicht nur unter den Kurden. Die Bundesregierung muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie in der Causa PKK mit der türkischen Regierung an einem Strang zieht, obwohl der PKK im Ausland seit Jahrzehnten keinerlei terroristische Aktivitäten mehr nachzuweisen sind?

Andererseits wird in Deutschland die Gülen-Bewegung, die in der Türkei ebenfalls als terroristisch gilt, unterstützt und sogar mit Zuwendungen gefördert.