Die tabuisierte Nacktheit und der erlaubte Einsatz der Sexualität für geschäftliche Zwecke

... zieh dir bitte etwas an! Teil 2

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Hilflose Eltern, hilflose Politik

Mit dem Kindesalter ist die Angst vor der Nacktheit keinesfalls abgeschlossen. Heraufgesetzte Schutzalter ließen die Grenze zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verschwimmen. Und weil Nacktheit und Pornografie weitgehend gleichgesetzt werden, gelten heute 16-jährige Nackte als Jugendpornografie. Diesem Aktionismus der Politik steht jedoch eine Jugend gegenüber, die sich diesen Ansichten auf ihre Weise widersetzt und beispielsweise "Sexting" als nichts Schlimmes oder Verwerfliches ansieht.

"Sexting" ist eine Wortschöpfung, die beschreiben soll, dass Jugendliche von sich Nacktfotos aufnehmen und diese per Handy oder Computer an ihre Freunde schicken. Die juristische Definition spricht von der "privaten Versendung erotischer Aufnahmen des eigenen Körpers". Bei Minderjährigen können solche Aufnahmen sogar die Straftatbestände der Herstellung, des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie erfüllen - wobei auch hier wieder zwischen reinen Nacktaufnahmen und Pornografie zu unterscheiden wäre, was jedoch oft nicht getan wird.

Fälle aus den USA zeigen, das Jugendliche tatsächlich angeklagt und bestraft werden, wenn sie sich untereinander solche Bilder zusenden – auch wenn sie dies glaubhaft freiwillig und aus eigenem Antrieb heraus machten. In Deutschland ist die Rechtslage zwar etwas komplizierter – aber die Argumente der Kritiker des Sexting und der Politik (die dieses Phänomen eindämmen will) ähneln sich in ihrer Hilflosigkeit und ihrer Kontraproduktivität: Kindern und Jugendlichen wird weiter klargemacht, dass der eigene Körper etwas potenziell Kriminelles ist.

Nipplegate und Co.

In den USA (und in geringerem Maße auch in Deutschland) wird Nacktheit auch später noch als etwas Unnatürliches, etwas Verwerfliches und (gerade auch für Kinder und Jugendliche) Verrohendes und Unmoralisches angesehen. Die Akzeptanz des Nudistentums schwindet zunehmend: Selbst San Francisco regelt nunmehr durch ein Gesetz, dass Menschen auf den Straßen nicht mehr nackt herumlaufen dürfen. "If you are going to San Francisco" hieß es einst "make sure to wear some flowers in your hands". Jetzt muss es eher heißen "be sure to wear a dress or a pair of pants". Zu viele, hieß es, hätten sich durch die nackten Menschen belästigt gefühlt.

Der als "Nipplegate" bekannte Vorfall, als Justin Timberlake während der Superbowl-Show versehentlich (?) einen Teil von Janet Jacksons Kostüm entfernte, zeigte 2004, wie eine (im doppelten Sinne) bloße Brustwarze in den USA für Empörung sorgen kann. Er wirkt sich auch neun Jahre später noch aus: Nicht nur der Superbowl, sondern auch die Oscar-Verleihungen werden seitdem zeitverzögert übertragen, um den Zuschauern derartige Skandale und Enthüllungen zu ersparen. Und an die Teilnehmer und Gäste der Grammyverleihung erging 2013 die Bitte, sich züchtig anzuziehen und Gesäß und Brüste "hinreichend" bedeckt zu halten.

Dieser Aufwand bildet einen seltsamen Gegensatz zur Präsenz des Sexuellen in anderen Bereichen: Schon seit geraumer Zeit verwischt etwa die Grenze zwischen Hip Hop und Pornografie und in den Casting- und Realityshows nimmt die Sexualisierung nicht etwa ab-, sondern zu: Dort werden die Protagonisten nicht nur auf ihre äußerlichen Reize reduziert – ihr Erfolg wird auch relativ unverhohlen mit einem mehr oder minder offen geschäftlichen Einsatz ihrer Sexualität verknüpft, beispielsweise in Sendungen wie The Bachelor, The Bachelorette und Bachelor Pad.