Die unglaubliche Reise eines verrückten Supertankers

Seite 3: Es geht nicht um einen Tanker, der nach Syrien fährt, sondern darum, dass der Tanker überhaupt fährt

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Dass nicht die europäische Sanktionspolitik gegenüber Syrien, sondern die amerikanische Isolationspolitik gegenüber Iran hinter der Festsetzung der Grace 1 steckte, bestätigte auch der spanische Außenminister Josep Borrell. Noch am Tag der Festsetzung des Schiffs erklärte er offenbar etwas unbedacht, das Schiff sei auf Verlangen der USA gekapert worden und widersprach damit der Darstellung britischer Politiker.

Als das Gericht die Ermittlungen am 15. August unerwartet einstellte und den nun in Adrian Darya 1 unbenannten Tanker freigab, protestierten die USA umgehend. Noch am selben Tag drohte US- Außenamtssprecherin Morgan Ortagus der 28-köpfigen Besatzung des Tankers mit Einreiseverboten und dem Entzug bereits erteilter Visa. Einen Tag später verfügte ein Bundesgericht in Washington D.C. - bisher folgenlos - die Beschlagnahmung des Tankers und seiner Fracht.

Seitdem versuchen die USA mit nahezu jedem Mittel, die Weiterfahrt des Tankers zu verhindern: Am 20. August drohte US-Außenminister Mike Pompeo sämtlichen Mittelmeeranrainer-Staaten mit Strafmaßnahmen, sollten sie es der Adrian Darya 1 erlauben, in einen ihrer Häfen einzulaufen. Am 26. August erhielt der indische Kapitän des Schiffs eine E-Mail aus Washington, in der der US-Sonderbeauftragte für den Iran, Brian Hook, ihm einen Millionenzahlung in Aussicht stellte.

Als Gegenleistung sollte der Kapitän einen Hafen ansteuern, in dem sein Schiff beschlagnahmt werden konnte. Als der Kapitän der Aufforderung offenbar nicht nachkam, landeten er und seine Crew am 30. August mitsamt des Schiffes auf einer Liste von Terrorunterstützern.

Journalisten spinnen die unglaubwürdige Geschichte vom Tanker, der illegal Öl an Syrien liefert, jeden Tag weiter

Aus dem Motiv ihrer Politik haben amerikanische Politiker nie ein Hehl gemacht. Ziel der Sanktionen sei, die iranischen Ölexporte auf null zu bringen und das Land vom Welthandel auszuschließen. Dies hatte Donald Trump schon bei der Verabschiedung der Sanktionen im vergangenen November erklärt.

Die Behörden Gibraltars erscheinen in dieser Geschichte wie der nützliche Dumme und die EU-Syrien-Sanktion nur wie der Vorwand, unter dem sich die illegale Kaperung eines Schiffs als moralisch und völkerrechtlich legitim inszenieren lässt. Doch trotz zahlloser Hinweise darauf, dass das Unglaubliche an der Geschichte um den iranischen Tanker nicht auf seiner Route nach Syrien zu finden ist, spielen auch viele Medien bei dieser Inszenierung mit.

Heerscharen von Journalisten verfolgen seit der Freigabe des Tankers jede Kursänderung, spekulieren über Zielhäfen oder verfassen Tickermeldungen, wonach die Adrian Darya 1 vor dieser oder jener Küste gesehen wurde.

Echte oder vermeintliche Experten schließen von Satellitenbildern und Schattenwürfen auf die Ladung des Tankers. Redakteure verfassen immer neue Eilmeldungen, wonach das Schiff seine Ladung hier oder dort abgeliefert habe und spinnen damit die unglaubwürdige Geschichte vom Tanker, der illegal Öl an Syrien liefert jeden Tag weiter. Dabei sind iranische Öllieferungen an Syrien weder ungewöhnlich noch nach internationalem Recht verboten.

Weitgehend unerzählt bleibt unterdessen die wahre unglaubliche Geschichte von der Grace 1 alias Adrian Darya 1. Diese handelt nicht vom illegalen Plan der Iraner, einen Tanker nach Syrien zu schicken. Sie handelt vom völkerrechtswidrigen Versuch der Amerikaner, ein Land bis auf den letzten Tanker vom Welthandel auszuschließen.

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