Die vielen Leben der Bäume

Seite 3: Aufgedonnerte Urhütten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Einfamilienhäusern und Urlaubsresidenzen der gehobenen Klasse sind keine Grenzen beim Umgang mit Holz gesetzt. Auch die Brandschutzbestimmungen sind lockerer. Die Häuser stehen meist frei in der vom Bauherren ausgesuchten Landschaft, rund um den Globus. Nachbarn sind kein Thema. Eines ist prächtiger als das andere, wie der jüngst vom "gestalten"-Verlag herausgegebene Band "Out of the Woods" dokumentiert. Siehe Auszüge in der Bilderstrecke.

Mal besticht das sichtbar gemachte Ständerwerk, mal erwecken Paneele den Eindruck, als verbärgen sie etwas. Bei aller Verschiedenheit gibt es übereinstimmende Merkmale, etwa zentrale Räume, die unter Inanspruchnahme des Dachstuhls doppelte Höhe erreichen. Wo wärmeres Klima herrscht, öffnen Veranden das Haus zur grünen Umgebung. Licht, Luft und Schatten ist die Devise.

Stabkirche von Borgund / Norwegen. Bild: Arnstein Rønning / CC-BY-3.0

So individuell das Design auch ist, berufen sich die Architekten unisono darauf, auf lokale Materialien zurückzugreifen, von den Hölzern über die Natursteine bis zum Putz. Die historische Baukultur der jeweiligen Region wird re-zitiert, nicht einfach nur kopiert. Das ist völlig legitim, und doch liegt darin ein Trugschluss, der zum Selbstbetrug der Bauherren führt. Die Rückführung auf alte Bautraditionen stößt nach Bernard Rudofsky auf eine "Architektur ohne Architekten", auf die Dorfgemeinschaft. Das Bauwissen wurde innerhalb der Gemeinschaft von Generation zu Generation weitergegeben. Handwerkliche Fähigkeiten und Arbeiten waren über das ganze Dorf verstreut. Die Gemeinschaft war es, die baute. Dann wurden Sakralbauten zum Symbol der Gemeinschaft.

An die Stelle der Architektur ohne Architekten sind heute Star-Architekten getreten - oder solche, die es werden wollen. Sie bedienen sich der Geschichte als Fundus. Bezeichnenderweise hebt der genannte Band das schweizerische Chalet als eine Urhütte des Bauens mit Holz hervor. Diese nicht sehr kleine Hütte wurde jedoch schon im 19. Jahrhundert vom Adel als romantischer Rückzugsort nachgeahmt und touristifiziert. Nicht sehr urig. - Nach der Rückkehr von der ideellen Reise in die Geschichte kommen nun die heutigen Urlaubs-Residenzen in größerer Dimension heraus, um nicht zu sagen: aufgeblasen und merkwürdig demonstrativ. Die schönen Fotos zeigen "Schöner Wohnen".

Erinnert sei daran, dass mit Holz ganz andere Bauaufgaben gelöst werden können. Tiny timber houses machen aus der (Wohnungs-)Not eine Tugend und bieten auf minimaler Fläche maximale Wohnqualität. Diese Aufgabe resultiert aus den Widrigkeiten sozialer Segregation in den Städten.

Den Bewohnern und Gästen der Nobelhütten sei gegönnt, dass sie diese Widrigkeiten wegzaubern möchten. Aber die Rechnung geht nicht auf. Ein Domizil in Tulum/Mexiko wird als "Dorf im Dschungel" angepriesen. Der Blick des Gastes schweift, den großartigen Hallenbau im Rücken, von der Veranda über den Swimmingpool bis zum unmittelbar dahinter hochschießenden Dschungel. Der sieht wie Innendekoration aus.

Was ist das für ein Dorf? Was ist das für eine Gemeinschaft? Die meisten der im Band abgebildeten modernen "Chalets" vermitteln den Eindruck, als wünschten die Bewohner nichts sehnlicher als "Social distancing". Zwar haben die Architekten der Luxushütten Beachtliches vollbracht in der Wiederbelebung des Holzbaus. Holz verkörpert wie kein anderer Baustoff die ökologische Nachhaltigkeit. Aber was auf die eine Weise bei den Hochhäusern der Fall ist, trifft auch hier zu. Holz wird zum Alibi. Denn etwas fehlt: die soziale Nachhaltigkeit. Wie sind die sozialen Beziehungen in den Ländern, von denen die gepflegten Hütten in den diskreten Landschaften abisoliert sind? Ohne soziale Nachhaltigkeit gibt es keine ökologische Nachhaltigkeit.

Die Betrachtung der Mensch-Natur-Beziehung bleibt defizitär, wenn nicht die Mensch-Mensch-Beziehung hineingenommen wird. Allein wenn die Natur für sich betrachtet wird, ist die paradiesische Harmonie gestört. Das Holz eines Domizils in Australien wurde nach seiner Fähigkeit ausgewählt, das Haus gegen Buschbrände zu wappnen. Der Yakisugi-ita-Geist ist aus der Flasche.

Die modernen, über die pittoresken Gegenden der Welt verstreuten "Chalets" stellen eine Gentrifizierung der Holzbaus dar. Holz kann aber mehr. Weniger ist mehr. Wenn Holz nicht als Kontradiktion zu Beton, Stahl und (großflächigem) Glas behandelt wird, sondern mit den Baustoffen und dem stilistischen Repertoire der Moderne eine Symbiose eingeht, dann ist unter Holz-Beton-Verbundsystem nicht nur eine Technik, sondern eine Ästhetik des Bauens zu verstehen. Mit den Kontrasten lässt sich arbeiten. Diese Architektur stellt sich den sozialen Bedingungen. Sie kann die soziale Disparität nicht abschaffen, ihr aber Bilder einer Diversität entgegensetzen, die nach wachsender und gleichberechtigter Durchmischung strebt. Wie der Wald.