Die vielen Leben der Bäume

Studio Combo: Etisoto Cabo Espichel House / Portugal. Bild: Julian Labrousse / Out of the Woods, gestalten 2020

Holzarchitektur kann vom Hochhaus bis zum naturnahen Einfamilienhaus alles, was die Moderne konnte, weil sie mit ihr und ihren Baustoffen einen Verbund eingeht

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Im noblen Berlin-Lichterfelde war 1922, nach zweijähriger Bauzeit, eine Villa fertiggestellt, die aus dem Rahmen fiel.1 Der großzügige zweigeschossige Bau war als Holzblockhaus konstruiert. Vorspringende Balkenköpfe hatten bildhauerische Profile. Die Schwelgerei in Holz ging im Inneren weiter. Das große Zickzackmuster der Täfelung sowie die Buntglasfensterflügel muteten expressionistisch an.

Noch seltsamer mutet das Haus an, wenn der Name des Architekten genannt wird: Walter Gropius, unterstützt von Adolf Meyer. Haus Sommerfeld, wie es nach seinem Bauherren hieß, war eines der ersten Gemeinschaftsprojekte des Bauhauses. Alle Gewerke und Fächer kamen nach mittelalterlichem Vorbild zusammen, von den Schnitzarbeiten Joost Schmidts über die Bleiglasfenster Josef Albers‘ bis zu den Sitzmöbeln und Tischen Marcel Breuers.

Das Bauhaus konnte Holz, entgegen anderslautender Vermutungen. Das Material ergab sich naturgemäß aus der Zusammenarbeit mit dem Holzfabrikanten, Bauunternehmer und Entwickler Adolf Sommerfeld. Die Teakholzverschalung seines neuen Wohnsitzes stammte aus der Offiziersmesse eines Kriegsschiffes, das seine Firma abwrackte. Recycling ist keine Erfindung von heute.

Das Holzblockhaus war mit einem neuartigen Verbundwandsystem versehen. Lehm diente zur Dichtung. Die innere Wand war massiv. In einem Grundsatzartikel über das "Neue Bauen" mit Holz schrieb Gropius 1920, Holz sei in ausreichendem Maße vorhanden und unabhängig von Kohle und Industrie. "Holz ist der Urstoff des Menschen, der allen tektonischen Gliedern des Bauens genügt."

Die Bauhaus-Bezüge zum Holz spannen sich fort mit Ludwig Hilberseimers Holzhaus in Leichtbauweise für die Weißenhofsiedlung von 1927 und dem Sommerhaus von Albert Einstein im beschaulichen Caputh bei Berlin, 1929. Der Architekt, Konrad Wachsmann, entwickelte in den 40er Jahren zusammen mit Gropius das Packaged House System in Holzbauweise aus Rahmen, Tafeln und vertikaler Verschalung. Den Antrieb zu innovativen Konstruktionen gab der Wunsch nach schneller Bauausführung durch Vorfertigung. Das Baukastenprinzip ermöglicht darüber hinaus variable und auch erweiterte Grundrisse. Holzelemente sind bestens geeignet für das "wachsende Haus", das bereits 1932 ein (Wettbewerbs-)Thema des Neuen Bauens gewesen war.

Die vielen Leben der Bäume (23 Bilder)

Haus Sommerfeld, Treppenhaus. Quelle: Staatliches Bauhaus in Weimar (Hg.), Weimar 1923. - Bild: Bernhard Wiens

Holz liegt wieder im Trend. Ist das die Antwort auf die brutalistische Moderne mit ihren Baustoffen Beton, Stahl und Glas? Wenn die Debatte die verschiedenen Bauweisen zu Antagonismen zuspitzt, bekäme das unseren Stadtbildern nicht gut. Besser ist die Dialogform. So wie die Moderne auch holzaffine Designer und Baumeister wie Alvar Aalto oder Otto Bartning hervorbrachte, bedient sich umgekehrt die Holzarchitektur moderner Konstruktionsprinzipien. Die Skelettbauweise ermöglicht auch bei mehrgeschossigen Holzbauten die Trennung von Stütze und Wand. Die Grundrisse können frei oder "offen" angelegt werden, und der Glasanteil an der Fassade kann erhöht werden. Das Bauhaus machte es vor mit Glas-Vorhangfassaden.

Die Emanzipation des tragenden Gerüstes von der Wand und umgekehrt begünstigt fließende Übergänge von Innen und Außen. Dieser Grundbedingung der Moderne kommt die Materialität von Holz entgegen. Als Naturprodukt schlägt es die Brücke von der Außenwelt in den Innenraum. Was sich draußen abspielt, nehmen wir auch drinnen wahr. Das Raumklima reagiert auf das externe Klima. Unsere Sinne werden adressiert wie auch unsere haptische Wahrnehmung. Wir fühlen uns geborgen, und - so lautet das Versprechen - Stress wird abgebaut. Das ist die Wirkung des "biophilen Designens" mit Holz.

Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung und Technisierung, litt der Ruf des Holzes. Verheerende Brände hatten bis dahin für unter Umständen mehrfachen Ruin von Städten gesorgt. In Reaktion darauf wurde der Brandschutz ständig verschärft, was dem Holzbau heute enge Fesseln anlegt. Dabei hat brennendes Holz Eigenschaften, die es partiell dem Stahl überlegen machen, der weich wird und plötzlich einknickt. Dachstühle aus massiven Balken bleiben meistens stehen, wenn auch verkohlt. Genau das ist ihr Schutz. Das Feuer frisst sich in die äußeren Schichten vor, bis das Material mit Sauerstoff gesättigt, das heißt verkohlt ist, ohne weiterzubrennen.

Eben diese Chemie macht sich die alte japanische Technik des Yakisugi-ita zunutze. Die für die Hausfassade vorgesehenen Bretter werden karbonisiert. Diese leichte Verkohlung macht sie abweisend gegen Feuer, Feuchtigkeit und Insekten. Das Holz erweist gleichsam resiliente Eigenschaften. Das Haus bekommt eine typische Patina. Das Verhältnis zum Holz war in Japan geradezu episch2:

Japanische Baumeister verwendeten sogar für die Nordseite eines Gebäudes die Bäume der nördlichen Berghänge, da sie davon ausgingen, dass der Baum die Anforderungen dieser Himmelsrichtung während seines Lebens bereits ‚erlernt‘ hatte.