Die wahre EXPO

Kann Christoph Schlingensief die Weltausstellung noch retten?

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Diese Frage bewegt seit Tagen die EXPO-Stadt Hannover. Vor allem seitdem immer neue Hiobsbotschaften die wackeren Bürger der Stadt zutiefst verunsichern - und sich mancher schon verzweifelt fragt: Hat uns denn wirklich keiner lieb? Schuld an dem Schlamassel hat der Vorverkauf der ersten Weltausstellung auf niedersächsischem Boden, der so mies läuft, dass eigentlich längst die Köpfe der Verantwortlichen hätten rollen müssen.

Erst kürzlich meldete beispielsweise die Agentur dpa, dass bislang nur etwa 20000 Gäste Tickets für die EXPO-Eröffnung am 1. Juni gekauft hätten: "Von ihren insgesamt 75000 Tickets verkaufte die Deutsche Bahn AG bis zum Montagabend rund 5000, sagte eine Sprecherin der Bahn am Dienstag in Berlin. Die EXPO-Gesellschaft selbst hat bislang rund 15000 Karten an Besucher abgegeben." Macht zusammen also 20000, und das Ziel von 150000 Besucher am Premierentag scheint mittlerweile schier unerreichbar zu sein.

Es droht ein Fiasko - obwohl gerade am Eröffnungstag der Teufel los sein wird. Angekündigt sind nämlich tanzende Derwische und kämpfende Wüstenritter, würdevolle Staatschefs und schillernde Rockstars - darunter unter anderem Kanzler Schröder, Thomas Gottschalk, Heinz-Rudolf Kunze, Bundespräsident Rau, Zlatko und Jürgen, Prinz Ernst August und Prinzessin Caroline von Hannover sowie Prinz Heinrich und Prinzessin Olga von Hannover.

Dennoch kauft kaum einer Karten. Und selbst das Sandmännchen scheint bei den Computer-Kids nicht mehr zu ziehen. Neben 46 anderen Persönlichkeiten wird nämlich eine Gipsskulptur von dem berühmten Schlafbringer im Deutschen Pavillon in der "Ideenwerkstatt Deutschland" ausgestellt. Die Figur gehört dort dann wie auch Albert Einstein, Marlene Dietrich, Beethoven, Janosch, Steffi Graf, Sigmund Jaehn, Erich Kästner, Willy Brandt, Sophie Scholl oder Dr. Motte zu den 47 "Köpfen" aus Vergangenheit und Gegenwart, die für Deutschlands Ideenreichtum stehen.

Gewiss eine grandiose Idee, aber das Publikum ließ sich sogar davon nicht zu einem EXPO-Bummel überreden. Und genau das ahnte schon Ende April Christoph Schlingensief. In einem "Welt"-Interview versprach der Regisseur und Parteiengründer damals, dass er notfalls die EXPO übernehmen würde: "Das Konzept hinkt und wird finanziell ein Desaster. Zukunft kann man nicht sichern. Wenn die EXPO es ernst nehmen würde, würde sie wie bei ,Big Brother' Telefonnummern schalten. Der Besucher hätte dann die Möglichkeit, einzelne Pavillons abzuwählen. Das ist dann ,Die wahre EXPO'."

Ein fürwahr ausgeschlafenes Konzept - wie die hohen Einschaltquoten der RTL2-Sendung "Big Brother" ja nachdrücklich beweisen. Wenn jetzt also noch die "Big Brother"-Firma Endemol mitspielt und die eh schon vorhandenen Überwachungskameras auf dem Gelände übernimmt, um alle 14 Tage als eventuöses Highlight eine von Percy und Sophie moderierte und von Schlingensief inszenierte Pavillon-Sprengung live zu übertragen, dann scheint der Rettung der EXPO nichts mehr im Wege zu stehen. Und schon heute werden wir mehr wissen: Heute betritt nämlich Christoph Schlingensief die hannoversche Bühne, um bei einer Podiumsdiskussion mit hochkarätigen Teilnehmern die Frage zu erörtern: "EXPO 2000 - was geschieht dann?" Ob jedoch EXPO-Chefin Birgit Breuel im Anschluss endlich Schlingensief den Schlüssel zum Weltausstellungsgelände überreichen wird, bleibt vorerst noch abzuwarten. Aber wir bleiben natürlich wie immer am Ball.