Dienstgeheimnisse und Medienzensur
Bundesverfassungsgericht vor schwerer Entscheidung zum Zeugnisverweigerungsrecht im Fall "Cicero"
Am 12. September beschlagnahmte die Polizei Recherchematerial des Cicero-Autors Bruno Schirra. In der Redaktion des Magazins Cicero kopierten sie die gesamte Festplatte des Redakteurs, an den Schirra seine Artikel lieferte (Pressefreiheit: Die Hemmschwelle sinkt). Am 22. November 2006 verhandelte das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der Aktion. Die Entscheidung hat grundsätzliche Bedeutung für die Pressefreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz. Sie fällt dem Gericht sehr schwer.
A
Karlsruhe, Mittwoch, 22. November 2006. Auf dem Sitzungsplan des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes ist für 10.00 Uhr die mündliche Verhandlung einer tiefgreifenden Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs der Politikmagazins Cicero anberaumt. Der Chefredakteur, Dr. Wolfram Weimer, beschwert sich über das Vorgehen des Amtsgerichtes Potsdam, welches im September die Durchsuchung der privaten Wohnung von Cicero-Autor Bruno Schirra und die Beschlagnahme von Material aus der Redaktion angeordnet hatte. Das Gericht habe die Bedeutung der Pressefreiheit verkannt.
Die Pressefreiheit immerhin hat Verfassungsrang. Sie ist im Grundgesetz im Artikel 5 als Grundrecht festgelegt:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
Daher kann die Pressefreiheit kann eben nicht einfach so mal ausgehebelt werden. So der Kern der Beschwerde. „Cicero“ empfand die gerichtliche Aktion als unzulässig und zog zur Begründung in Karlsruhe den Paragraph 97, Absatz 5 Satz zwei heran. Darin steht etwas über die Unzulässigkeit von Redakionsdurchsuchungen.
Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken, Ton-, Bild- und Datenträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen, die sich in Gewahrsam dieser Personen oder der Redaktion, des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden, unzulässig.
Was beschloss Karlsruhe?
Während die Verfassungsrichter in Karlsruhe noch gar nichts über ihre Bewertung der Beschwerdegründe verlauten ließen, meldete sich Staatssekretär Lutz Diwell, Justizministerium, zu Wort und sagte, es gebe keinen Grund, Medien von der „Strafverfolgung der Beihilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses“ auszunehmen. Hingegen warnte Cicero-Anwalt Alexander Ignor, dass im Falle der Strafbarkeit für die Entgegennahme von geheimen Materialien der Staat bestimmte Dinge der Öffentlichkeit entziehen könne. Das Magazin Cicero äußert sich zur Zeit nicht. Büroleiterin Sabine Brockmann sagte auf Anfrage: „Vor der Verkündigung der Entscheidung sagen wir aus Respekt vor dem Gericht nichts.“ Das Gericht selbst hat die Anhörung abgeschlossen. Die Beratungen dauern an. „Es geht hoch her“, sagte ein Insider, denn die Mitglieder des Senats fänden die Entscheidung „außerordentlich schwierig“. Man könne durchaus mit drei Monaten rechnen, bevor eine offizielle Mitteilung aus Karlsruhe käme.
Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass das Bundesverfassungsgericht am 12. März 2003 schon einmal über eine Verfassungsbeschwerde von Journalisten entschieden hat (AZ: 1 BvR 330/96 und 1 BvR 348/99). Fahnder hatten damals die Telefone von Journalisten angezapft, die mit dem flüchtigen Bauunternehmer Jürgen Schneider in Kontakt standen. Sie hatten gehofft, den Bauunternehmer auf diese Weise finden zu können. Karlsruhe entschied damals, dass die Telefonüberwachung rechtens war. „Reporter ohne Grenzen“ war anderer Meinung und kritisierte, dass Journalisten nicht zum „Erfüllungsgehilfen der Justiz“ gemacht werden dürfen. Denn wenn der Informantenschutz nichts mehr gelte, könne kein investigativer Journalismus mehr stattfinden .
Aufgeweichte Pressefreiheit
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hielt am 25. September 2006 eine Rede in Warnemünde. Dort fand nämlich gerade der jährliche Zeitungskongress statt. Die Ministerin machte die Angst vor einer Beschränkung der Pressefreiheit zum Thema ihrer Ausführungen und bezog sich dabei auf den Fall Cicero:
Beim Zeitungskongress vor einem Jahr ging es vor allem um die Grenzen der Pressefreiheit. Das lag daran, dass kurz zuvor die Redaktionsräume einer Zeitschrift durchsucht worden waren, es hatte vielleicht auch mit der Person des letztjährigen Hauptredners zu tun.
Die Ministerin schlussfolgerte, dass beim Durchsuchen und Beschlagnahmen eine sorgfältige Prüfung der Verhältnismäßigkeit gelten müsse. Denn: „Je mächtiger der Staat wird, desto wichtiger ist auch eine freie und kritische Presse.“ Sie sagte ferner, dass derzeit drei ähnlich lautende Gesetzentwürfe bearbeitet würden. Titel: „Gesetz zur Sicherung der Pressefreiheit“. Außerdem würden die Vorschriften für verdeckte Ermittlungen „neu geordnet“.
Fast scheint es so, als ob noch immer mit dem 11.September jegliche Grundrechtseinschränkung begründet wird. Das trifft nicht nur auf Deutschland zu. In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen stehen seit dem 20. November 2006 zwei Journalisten und der Chefredakteur der konservativen Tageszeitung Berlingske Tidende wegen Geheimnisverrates vor Gericht (Gefährdung der nationalen Sicherheit). Michael Bjerre, Jesper Larsen und ihr Chefredakteur Niels Lunde sollen sich nun dafür verantworten, dass sie von einem Mitarbeiter des Auslandsnachrichtendienstes Forsvarets Efterretning (FE) gesagt bekamen, der Dienst habe keine „sicheren Erkenntnisse“ über die als Grund des Irakkrieges genannten Massenvernichtungsmittel von Saddam Hussein. Am kommenden Montag (27. November) soll das Urteil verkündet werden. Bereits zuvor hatte es beunruhigende Informationen über Repressionen der Pressefreiheit ausgerechnet dort gegeben, wo Freiheit und Demokratie als hehre unantastbare Werte gelten. Beugehaft gegen Journalisten machen mehrfach amerikanische Schlagzeilen aus.
So bleibt zu resümieren: Die Pressefreiheit, wie sie bisher geregelt ist, scheint in Deutschland auf sehr dünnem Eis zu stehen. Wahrscheinlich werden Journalisten nach Wegen suchen müssen, ihre Rechercheergebnisse an zugriffsfreien Orten aufzubewahren, damit die Aushebelung des Informantenschutzes wenigstens möglichst erschwert wird.