Digitalisierung deutscher Kulturgüter als Jobmaschine
Das größte Kulturunternehmen Deutschlands soll auf Basis von Tausenden von Ein-Euro-Jobs entstehen
Mit einem aufsehenerregenden Projekt sorgt ein Berliner Verleger für Bewegung in der deutschen Kulturpolitik: Er will Millionen deutsche Kulturgüter digitalisieren lassen - umsonst. Für die Umsetzung sollen Tausende von Ein-Euro-Jobs geschaffen werden. Doch Kulturverbände laufen Sturm gegen den Plan und die Kulturstaatsministerin distanziert sich.
Berlin im Jahr 2005. Das Arbeitslosengeld 2 ist ohne allzu große Proteste eingeführt worden, die Ein-Euro-Jobs sind Gesetz, doch wo soll man die Langzeitarbeitslosen einsetzen, ohne den ersten Arbeitsmarkt zu gefährden? Hans J. Heinrich hatte die scheinbar rettende Idee: Er will Tausende der vermeintlich kostenlosen Arbeitskräfte einsetzen, um die Kulturschätze Deutschlands zu digitalisieren und somit der Nachwelt zu erhalten. Ein Plan, bei dem jeder nur gewinnen kann - so scheint es zunächst.
Das Schreiben aus dem Haus der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien traf im Dezember bei vielen deutschen Instituten und Verbänden ein. Dort kündigte ein Mitarbeiter der Kulturstaatsministerin Christina Weiss ein Vorhaben an, das auf "politisches Interesse gestoßen" sei. In der Anlage befand sich das Konzept von Heinrich, der sich heute als "ideeller Ideengeber" sieht. Neben allerhand feuilletonistischen Texten zum Wert deutscher Kulturgüter fand sich darin der kurze Abriss eines Plans, der Deutschlands größtes Kulturunternehmen darstellen würde. Eine Organisation, die Tausende von arbeitslosen Akademikern und Aushilfen beschäftigen und ihnen eine Chance auf reguläre Arbeitsplätze eröffnen würde.
Nach der Kalkulation von Heinrich lagern in den 12.000 Museen, Sammlungen und Archiven 100 Millionen erhaltenswerte Kulturgüter. Die Digitalisierung von 80 Prozent dieser Kulturgüter - in der Regel mit einer Auflösung von 2000 mal 3000 Pixel - sei auch ohne den Einsatz von teuren Spezialisten möglich. Bis zu 6.000 Teams mit jeweils drei bis vier Arbeitslosen sollen diese Aufgabe in den nächsten zwei Jahren übernehmen. Die Digitalisierung selbst soll idealerweise von technisch vorgebildeten Kräften vorgenommen werden, die Datenbankverwaltung soll langzeitarbeitslosen Akademikern übertragen werden, als Dokumentationshelfer können auch Möbelpacker und Büroboten zum Zuge kommen.
Finanziert werden soll das Ganze von der Bundesagentur für Arbeit. Die zahlt nicht nur die Entschädigung für die Arbeitslosen, sondern auch ein Regiegeld, mit der die Arbeitgeber ihre Kosten decken können. Für die Museen selbst soll der Digitalisierungseinsatz kostenlos sein. Die Daten sollen zunächst den Museen selbst zur Verfügung gestellt werden, wenn es die Rechtsverhältnisse zulassen, würden die Daten in einer zentralen Datenbank landen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung steht und gegebenenfalls auch Einnahmen erwirtschaftet.
Bereits im Februar will Heinrich mit der ersten Schulung beginnen - zuerst sollen die Lehrer ausgebildet werden, die dann wiederum die Arbeitslosen ausbilden sollen. Die Standorte für die ersten drei Regionalbüros sind schon geplant: Berlin, Sachsen und Niedersachsen. Damit sich die Aktion überhaupt lohnt, soll jedes dieser Büros mehr als hundert Einsatzteams koordinieren.
Wir sind ja schon seit September am Arbeiten und sind jetzt in der Realisierungsphase. Wir glauben also, dass die ersten Teams im Februar aktiv werden. Das hängt davon ab, wie viele Kultureinrichtungen sich bei uns melden. Bisher, muss ich sagen, überwältigt uns die Reaktion sowohl aus dem Bereich der Kultureinrichtungen als auch aus dem Bereich der Arbeitslosen, der Kulturberufe, die eine Chance hier sehen, endlich mal wieder sinnvolle Arbeit leisten zu können.
Hans Heinrich im Deutschlandradio
Das Projekt trifft bei den Verbänden auf Skepsis
Heinrich berichtet von viel Zuspruch für sein Projekt: 40 von 44 angeschriebene Institutionen würden das Projekt unterstützen. Doch diese erstaunliche Rückendeckung lässt sich einfach erklären. Aus dem Hause der Kulturstaatsministerin Weiss wurde das Konzept verschickt - wenn bis Mitte Dezember keine negative Antwort kam, ging man schlicht von einer Unterstützung des Projekts aus. Doch die Adressaten konnten oft mit dem Konzept nichts anfangen. In den Kulturstiftungen von Bund und Ländern ist das Projekt zudem kaum bekannt - obwohl diese Stiftungen doch die Nutznießer von etwaigen Erlösen der Kulturdatenbank sein sollen.
Von anderen Verbänden kommt jedoch starker Widerspruch. Am Vehementesten hat sich der Deutsche Kulturrat zu Wort gemeldet. "Das Projekt ist so undurchführbar", sagt Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Er verweist darauf, dass die Digitalisierung in den Archiven längst begonnen habe und das auf zwei Jahre angesetzte Projekt kaum Aussicht auf Erfolg hätte. Er hat kaum Vertrauen darin, dass die in 20 Tagen ausgebildeten Arbeitslosen fähig seien, die Kunstwerke fachgerecht zu digitalisieren. Besonders bedrohlich ist für Zimmermann die Aussicht, dass 20.000 Arbeitskräfte auf den ohnehin gebeutelten Kultur-Arbeitsmarkt drängen. Für die Kultureinrichtungen wäre die Aussicht auf kostenlose Arbeitskräfte verlockend. Schon heute sei der Betrieb auf Praktikanten angewiesen, die meist kostenlos arbeiteten, für die Fachkräfte gebe es meist nur Zeitverträge.
Auch der Deutsche Bibliotheksverband, der schon reichlich Erfahrung mit Digitalisierungsprojekten hat, meldet Bedenken an: "Größte Probleme sehen wir jedoch in der Frage der vorgeschlagenen praktischen Abwicklung. Die ergeben sich aus unserer Sicht vor allem hinsichtlich der Kompetenz der beteiligten Einrichtungen." Der Deutsche Städtetag bemängelt, dass ein intransparenter Verein mit einer so weitreichenden Entscheidungsgewalt ausgestattet werden soll.
Denn bisher hat Heinrich noch nicht viel vorzuweisen. Mit der Ausführung und damit der Zuteilung von Millionensummen soll die "Gesellschaft für Digitale Dokumentation" beauftragt werden: ein Verein mit zehn Mitgliedern, der bisher noch nicht im Vereinsregister eingetragen ist. Als Datenbank soll das Produkt des "befreundeten Unternehmens" CultContor eingesetzt werden, das sich mit Heinrich eine Telefonnummer teilt.
Heinrich will die Einwände der Verbände nicht gelten lassen, für ihn sind besonders die Vorwürfe des Kulturrates "unverständlich", wie er im Gespräch mit Telepolis betonte. Allerdings kann er für seine kühnen Pläne bisher auch nichts als unverbindliche Absichtserklärungen vorweisen. Die ersten Anträge auf Zuteilung von Ein-Euro-Jobs sollen in dieser Woche gestellt werden.
Von der Unterstützung der Kulturstaatsministerin ist nicht viel geblieben. Auf die Anfrage von Telepolis bestreitet ein Sprecher die Kenntnis von konkreten Plänen: "Das ist eine Idee, die ventiliert und moderiert wird. Mit der Umsetzung hat die Kulturstaatministerin nichts zu tun."