Discounter-Druck auf Milchbauern: Anbindehaltung – ein Auslaufmodell?

Tierwohl als Privileg: Nur ein knappes Drittel der Rinder durfte zuletzt in Deutschland auf die Weide. Archivbild: Xocolatl / CC0 1.0

Kleine Anbindeställe sollen künftig geräumigen Laufställen weichen. Für mehr Tierwohl, wie es heißt. Doch für tausende Familienbetriebe könnte dies das Aus bedeuten. Für sie muss die Politik praktikable Lösungen finden

In der Nähe von Oberstdorf im Oberallgäu hält Markus Freudig eine kleine Kuhherde im Nebenerwerb. Der Stall, der aus den 1960er-Jahren stammt, ist typisch für die Bauernhöfe im Dorf. Ein Stellplatz ist etwa ein Meter breit. Die Tiere können bis zu zu eineinhalb Meter vor- und zurücklaufen, alle können sich auf einmal hinlegen. Im Laufe der Jahre besserte der Bauer den Kuhstall an verschiedenen Ecken aus.

Eine drei Zentimeter dicke Liegematte sorgt dafür, dass die Kühe weich stehen können. Damit die Tiere jederzeit genügend Wasser trinken können, installierte er größere Tränken. Als Heumilchbetrieb achtet der Bauer auf eine hohe Futterqualität des Heus. Seinen Kühen soll es an nichts fehlen. Zwar stehen die Tiere den ganzen Winter angebunden im Stall - doch immerhin auf Stroh. Seine Stalltüren, stünden Besuchern jederzeit offen, erklärt der Bauer im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

In den Sommermonaten beweiden die Kühe an 180 Tagen im Jahr zehn Wiesen rund um den Ort. Täglich von April bis November sind sie auf der Weide. Morgens nach dem Melken werden die Kühe rausgelasen, kommen sie abends von der Weide, finden sie alleine ihren Platz im Stall. In den Sommermonaten wird Sägemehl eingestreut.

So weit, so gut - wären da nicht die neuen Auflagen, die Kleinbauern wie ihn in die Enge treiben. Denn der Einzelhandel übt zunehmend Druck auf die Milchbauern aus. Discounter wie Aldi, Edeka und Netto wollen ihr Milchsortiment nach Kriterien des Tierwohls ausrichten: Milchprodukte von Kühen aus ganzjähriger Anbindehaltung sollen bald aus dem Sortiment genommen werden.

Tatsächlich wäre eine Investition in einen neuen Laufstall für Bauer Freudig mit enormen Kosten verbunden, erklärt Monika Mayer, die selbst einen Biobetrieb im Oberallgäu bewirtschaftet.

Ein Stallplatz pro Kuh kostet derzeit rund 20.000 Euro. Für seine 15 Kühe müsste er 300.000 Euro investieren. Eine immense Summe, die er erst mal erwirtschaften muss. Dazu kommt, dass er mit dem Bau eines Laufstalles an den Dorfrand ausweichen müsste. All dies lohne sich nur bei einer vier bis fünf Mal größeren Herde. Doch in seinem Betrieb sind Tierzahlen und Weideflächen genau aufeinander abgestimmt.

Viele kleinen Familienbetriebe in der Region stehen vor einem ähnlichen Problem: Bei knapp der Hälfte der mehr als tausend Bauern stehen die Tiere in Anbindehaltung, die meisten sind kombiniert mit Weidegang. Nicht nur wegen der hohen Kosten ist ein Laufstall für viele Bauern nicht finanzierbar. Auch wegen der Lage mitten im Dorf oder in bergigem Terrain kommt ein Stallneubau oft nicht in Frage.

Weidetiere gestalten Kulturlandschaften

Betroffen von den neuen Verordnungen sind gerade jene Kleinbauern, die mit ihren braunen behornten Rindern das Oberallgäu und seine Kulturlandschaft prägen. Das Allgäuer Braunvieh etablierte sich vor hunderten Jahren in der Region als eigener Rinderschlag. Angepasst an die lokale Umgebung und an das Klima, beweidet es Kleinstflächen in Hanglagen.

Rinder und Bauern prägen die Kulturlandschaft, die wiederum ist ein Anziehungspunkt für Touristen. Mit der Beweidung schwieriger, steiler Flächen bleibt die Artenvielfalt auf den Wiesen erhalten. Über die Alpsömmerung tragen die Milchkühe zur Erhaltung der Sennalpen bei.

Etwa die Hälfte der kleinstrukturierten Familienbetriebe in der Region halten ihre Kühe in Anbindehaltung, zumeist kombiniert mit Weidegang. Schon lange werden keine Anbindeställe mehr gebaut und seit 30 Jahren auch nicht mehr gefördert, betont Kreisbäuerin Monika Mayer im Gespräch mit dem BR. Sie sei nicht gegen den Strukturwandel, doch ein Verbot der Anbindehaltung hätte einen Strukturbruch zu Folge, und dieser sei eher kontraproduktiv.

Würde die so genannte Kombihaltung demnächst verboten, wäre das eine Katastrophe für die kleinen Milchbauern, befürchtet die Biobäuerin, die seit zehn Jahren das Amt einer Kreisbäuerin im Oberallgäu bekleidet. Die Folge wäre ein massives Höfesterben. Dies würde das Gesicht des Landkreises verändern, denn die Oberallgäuer Landschaft ist wesentlich von Dauergrünland geprägt, und das von Milchrindern beweidet wird.

Um die Leistungen der Land- und Alpwirtschaft für die Artenvielfalt zu würdigen, wurde jüngst die Oberallgäuer Wiesenmeisterschaft ins Leben gerufen. An ihr beteiligen sich genau jene Betriebe mit den kleinen Anbindeställen, die neuerdings in der Kritik stehen. Mit dem Verbot dieser Ställe würden ganze Strukturen gefährdet, die Wohlstand generieren, vom Naturschutz bis hin zum Tourismus, befürchtet auch Landrätin Indra Baier-Müller.

Gesunde Tiere in Kombihaltung mit Weidegang

Auch die Bauern im Tegernseer Tal sind von der neuen Stallbauregelung betroffen. Hier weiden auf kleinstrukturierten Wiesen regionale Rinderrassen wie Murnau-Werdenfelser, Miesbacher Fleckvieh und Pinzgauer Rinder, deren Fleisch unter anderem als Miesbacher Weidefleisch vermarktet wird. Die Tiere sollen so viel wie möglich draußen sein, erklärt Johanna Ecker-Schotte.

Zwar lehne der Bundesverband des Deutschen Tierschutzbundes die Anbindehaltung ab, doch müsse man die Problematik von der regionalen Seite her betrachten, fordert die Beirätin des Tierschutzbundes Landesverband Bayern e. V. Die Bauern kennen jedes Einzelne ihrer Tiere beim Namen. Sie wissen genau, ob es ihm gut geht oder nicht. Ein Blick für das Tier zu haben, sei schließlich auch ein Aspekt des Tierwohls, betont die Chefin des Tierschutzvereines Tegernseer Tal.

In der Anbindehaltung hätten die Tiere zu wenig Bewegungsfreiheit, kritisieren Tierschützer. Dafür kommt es hier seltener zu Rangkämpfen, weshalb hier die Haltung behornter Tiere kein Problem ist. Im Gegensatz dazu kommt es im Laufstall häufiger zu Rangkämpfen und Rangeleien. Die Verletzungsgefahr ist groß, weshalb Rinder zumeist enthornt werden. Die Hörner aber gehören zum Rind, ohne sie fehlt dem Tier ein Körperteil.

Vor Kurzem wendeten sich die Oberallgäuer Bäuerinnen und Bauern in einem "Brandbrief" an das Bayerische Landwirtschaftsministerium, um für den Erhalt der so genannten Kombinationshaltung einzutreten. Maximal 28 Prozent der Oberallgäuer Kühe leben in der Anbindehaltung, heißt es darin. Die in Ställen angebundenen Tiere seien genauso gesund wie die im Laufstall und lebten sogar länger.

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