Discounter-Druck auf Milchbauern: Anbindehaltung – ein Auslaufmodell?
Seite 2: Rund ein Drittel aller Rinder geht auf die Weide
- Discounter-Druck auf Milchbauern: Anbindehaltung – ein Auslaufmodell?
- Rund ein Drittel aller Rinder geht auf die Weide
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Insgesamt gab es im Mai 2021 in Deutschland rund 11,2 Millionen Rinder. Innerhalb eines Jahres war der Rinderbestand damit um 2,2 Prozent gesunken. Die Zahl der Milchviehhalter hat sich innerhalb des vergangenen Jahrzehnts um mehr als ein Drittel verringert. Während in Süddeutschland nur etwa drei Fünftel der Rinder in Beständen mit 100 und mehr Rindern stehen, liegt der Anteil in den Größenklassen ab 100 Rinder um die 90 Prozent.
Laut Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes gab es im März 2020 insgesamt 11,5 Millionen Rinderstallplätze. 83 Prozent davon entfielen auf die Laufstallhaltung. Gerade mal zehn Prozent betrafen Ställe mit Anbindehaltung.
Die Anzahl der Haltungsplätze für Rinder seit dem Jahr 2010 um 2,6 Millionen. Den deutlichsten Rückgang mit mehr als 60 Prozent erlebte die Anbindehaltung von drei Millionen im Jahr 2010 auf rund 1,1 Millionen in 2020. Mehr als die Hälfte der Betriebe mit Anbindehaltung war kombiniert mit Weidehaltung.
48 Prozent allerdings hielten ihre Rinder in ganzjähriger Anbindung. Im Jahr 2010 hatten noch bei 37 Prozent aller Rinder Weidegang. 2019 durften nur noch 31 Prozent (3,6 Millionen Rinder) auf die Weide. Allerdings gab es innerhalb der Regionen große Unterschiede: Lag der Anteil in Bayern bei 17 Prozent, durften in Niedersachsen immerhin 34 Prozent der Rinder auf die Weide. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein waren es jeweils die Hälfte der Milchkühe.
Sind kleine Milchviehbetriebe die Verlierer des Umbaus?
Mit der Ankündigung von Aldi, Edeka, Netto und Lidl, spätestens 2030 keine Milch aus Anbindehaltung in den Eigenmarken bei Trinkmilch verwenden zu wollen, sei klar geworden, dass die Kombinationshaltung auf bayerischen Biobetrieben nicht mehr geduldet werde, erklärt Agrarexperte Simon Michel-Berger.
Dennoch dürfte Milch aus Anbindehaltung wohl noch einige Jahre produziert werden, auch wenn die Landwirte mit immer höheren Abschlägen auf ihr Milchgeld "bestraft" würden. Dies beträfe allerdings nur die so genannte Trink- oder Konsummilch". Mit der verbleibenden Milch würden Pizzakäse, Milchpulver und ähnliches hergestellt, beziehungsweise sie werde nach Süd- oder Osteuropa exportiert.
Wenn die Rohstoffkosten der Molkereien für Produkte mit Milch aus Anbindehaltung sinken, müsste der Lebensmittelhandel niedrigere Preise zahlen. Damit steige die Gewinnspanne der Supermarktketten. Zwar werde ein Teil des Gewinns in Form von etwas höheren Preisen für mehr Tierwohl öffentlichkeitswirksam an Landwirte ausbezahlt.
Doch in diese neue Zukunft werden nicht alle Bauern mitgenommen. Die Agrarpolitik scheitere daran, den notwendigen Rückhalt für selbst entwickelte Konzepte aufzubauen, kritisiert Michel-Berger. Die so genannte Kombinationshaltung, die noch 2019 in Bauernverbänden und Politik als "guter Kompromiss" vorgestellt wurde und neuerdings abgeschafft werden soll, ist nur ein Beispiel dafür.
"Asymmetrien zu Lasten der Erzeuger beseitigen"
Das Schicksal von mehr als 15.000 bäuerlichen Familien mit Betrieben mit Anbindehaltung ist nicht allein auf Süddeutschland beschränkt. Auch in anderen Regionen wird es Bauern geben, die keine enormen Geldsummen in mehr Tierwohl investieren können. Sie werden dann zur Aufgabe gezwungen sein.
Es sei denn, Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) meint es ernst mit seinem Versprechen, die Bauern unterstützen zu wollen. Bei seiner Rede vor dem Bundestag Mitte Januar verwies er auf die harte Arbeit und die wirtschaftlichen Sorgen vieler landwirtschaftlichen Betriebe. Die Höfe sollen nicht auf den Mehrkosten sitzen bleiben, sondern beim Umbau ihrer Tierhaltung unterstützt werden, kündigte er an. Dazu müsse man allerdings die gesamte Kette der Lebensmittelproduktion betrachten.
In dieser Wahlperiode würden für viele Betriebe die Weichen zwischen Ausstieg und Weiterentwicklung gestellt, mahnte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Die Landwirte seien bereit, den Umbau der Tierhaltung mitzutragen, wichtig sei aber eine "praktikable und verlässliche Finanzierung".
Und was können die Bauern selber tun? Ob bei der Entwicklung neuer Produkte oder in Sachen betrieblicher Zusammenarbeit, bei der Suche nach neuen Perspektiven oder im Auftreten gegenüber dem Handel - sie sollten sich in jedem Fall besser organisieren und für einander einstehen. Denn je einiger sie sich sind, umso schwieriger wird es für andere Interessengruppen wie marktmächtige Discounter, sie gegeneinander auszuspielen.
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