War Leni Riefenstahl wirklich nur Hitlers willige Filmemacherin?

Bild: © Ray Müller / Beta Cinema

Wie faschistisch ist ihr Werk? Andres Veiels Dokumentarfilm über die Propagandaregisseurin stellt die entscheidenden Fragen nicht, die für die Aktualität des Faschismus interessant sind.

Was meine Feinde über mich sagen, entspricht nicht der Wahrheit, und was meine Freunde über mich sagen, weil sie es gut mit mir meinen, oftmals auch nicht.

Leni Riefenstahl

Leni Riefenstahl ist eine hochkomplizierte Figur. Es ist sehr schwierig, dieser Figur habhaft zu werden. Riefenstahl (1902-2003), eine geniale Montagekünstlerin und Filmregisseurin und Schöpferin dessen, was heute als "Nazi-Ästhetik" in unseren Köpfen herumwabert, hat versucht, ihr Bild und ihr Nachleben zu formen, und die Fragen zu diktieren, unter denen es debattiert wird.

Jeder Film über Riefenstahl wird sich mit diesem Versuch auseinandersetzen müssen. So auch Andres Veiels Dokumentarfilm "Riefenstahl", produziert von Sandra Maischberger, der nun in den Kinos anläuft.

Politisch liegen die Dinge klar

Das Politische ist bei Riefenstahl nicht das Problem. Denn politisch liegen die Dinge klar: Leni Riefenstahl war selbstverständlich eine faschistische Regisseurin, sie hat sich in den Dienst der Politik des Nationalsozialismus gestellt und blieb bis an ihr Lebensende eine harte Rechte.

Das muss man gar nicht leugnen, noch nicht mal diskutieren – egal, was Leni Riefenstahl selbst hierzu sagt.

Politik habe sie nicht interessiert, sagt sie über sich selbst. Mag sein. Sie sagt in diesem Film, sie hätte auch einen Auftrag von Stalin angenommen oder von Roosevelt, wenn sie ihn denn bekommen hätte.

Auch das mag sein. De facto hat sie aber solche Aufträge nicht bekommen. Sie hat Aufträge von Adolf Hitler bekommen. Von Joseph Goebbels und der Partei.

Und sie hat diese Aufträge angenommen.

Faschistische Auftragskunst

Sie hat insofern selbstverständlich faschistische Auftragskunst für die Nationalsozialisten gemacht, auch wenn sie das vielleicht auch für andere genauso gemacht hätte – aber allein schon in dieser Gleichsetzung wird die Infamie dieser Argumentation und dieser Person und ihrer Rhetorik deutlich.

Politik im engeren Sinn ist auch in diesem Film nicht weiter wichtig, weil wir politisch gar nichts Neues zu erfahren haben. Das Neue wäre es, wenn es Beweise und Belege dafür gäbe, dass diese Frau andere politische Einstellungen gehabt hat. Das hat sie aber nicht.

Bild: © National Archive / Beta Cinema

Opportunisten und Karrieristin – aber: Ist das schlimm?

Bei der Beurteilung von Leni Riefenstahl ist auch Moral ebenfalls nicht besonders wichtig. Selbstverständlich ist Riefenstahl eine totale Opportunisten und Karrieristin – das sagt sie, nicht mit diesen Worten aber mit anderen Worten, wie auch in anderen Filmen und bei anderen Gelegenheiten, auch in diesem Film relativ offen. Sie wollte Karriere machen.

Ist das besonders schlimm? Doch wohl eher nicht.

In dem anderen, berühmteren und wesentlich besseren deutschen Film über Riefenstahl, in "Leni Riefenstahl: Die Macht der Bilder" von Ray Müller, fragt sie rhetorisch: Ja, hätte sie denn in den Widerstand gehen sollen? "Das haben nur die wenigsten gemacht." Und dies stimmt ja ohne Frage.

Riefenstahl sagt damit natürlich indirekt, dass sie das auch gar nicht wollte. Sie hat wie die allermeisten sich arrangiert. Um ihrer Karriere willen und um der Möglichkeit willen, Filme zu machen.

Diese Feststellung ist genau das, was moralisch zu Leni Riefenstahl zu sagen ist.

Deutsche Mythenschmidin

Die entscheidende Frage für die Beurteilung von Leni Riefenstahl ist die ästhetische. Es ist die Ebene der Form, des Stils. Riefenstahl hat an einer Art Mythologie des Deutschen oder deutschen Mythologie mitgewirkt. Sie hat Bilder entworfen, die man für typisch deutsch hält.

Ihre Filme haben Einklang gefunden in das ästhetische Selbstbild der Deutschen, das auch mythologisch grundiert ist. Und mythologisch heißt hier, dass Riefenstahl mit irrationalen Mitteln und Metaphern gearbeitet hat.

Leni Riefenstahl hat die Suggestivkraft und das Verführungspotential des Kinos sehr genau und sehr kalkuliert eingesetzt. In diesem Sinn ist sie eine deutsche Mythenschmiedin.

Es geht vor allem um die Frage: Gibt es überhaupt so etwas wie einen faschistischen Stil? Und worin besteht dieser genau?

Ohne Frage hat Riefenstahl auch Stilmittel benutzt, die nicht genuin faschistisch sind; Stilmittel, die sie insbesondere in ihrer großen Kunst der Montage von den sowjetischen Filmemachern gelernt hatte.

Andere Stilmittel, etwa bei der Lichtsetzung und bei der Vorliebe für bestimmte Körperbilder sind Stilmittel, die sie aus der Neuen Sachlichkeit, dem Konstruktivismus und aus den Berg-Filmen von Arnold Fanck entlehnt hatte. Es ist alles also weitaus weniger eindeutig, als man es gerne hätte.

Welches Stilmittel kann man klar dem Faschismus zuordnen?

Was sagt es, dass George Lucas am Ende seines ersten "Star Wars"-Films 1977 Leni Riefenstahls Film "Triumph des Willens" zitiert?

Bedeutet es, dass diese Mittel eben nicht genuin faschistisch sind, sondern gewissermaßen sachlich, neutral und instrumentell einsetzbar? Oder bedeutet es, dass es sich auch bei "Star Wars" um einen auf gewisse Weise faschistischen Film handelt?

Welches Stilmittel kann man klar dem Faschismus zuordnen? Das sind die interessanten Fragen, nicht, ob sie politisch an alles glaubte, nicht wie oft sie Goebbels getroffen hat, und ob ihre Angaben aus der Zeit nach dem Krieg gelogen sind oder nicht.

Fehlende Fragen

Leider werden solche Fragen in "Riefenstahl" von Andres Veiel ("Blackbox BRD", "Beuys"), einem Dokumentarfilm, der vor allem aus altem Material montiert ist, eigentlich an keiner Stelle gestellt. Sie sind nicht das Thema des Films.

Auch nicht die Frage, ob und wie sie eigentlich für die Bilder in "Triumph des Willens" allein verantwortlich war, ob sie Kontrolle oder zumindest Mitsprache bei der Parteitagsregie hatte, wie später bei den "Olympia"-Filmen?

Es ist eigentlich unbegreiflich, dass solche Fragen hier nicht gestellt werden.

Natürlich darf das so sein – kein Regisseur ist dazu verpflichtet, das zu machen, was sich Beobachter wünschen.

Die Frage ist aber, was Andres Veiel denn eigentlich macht? Er erzählt relativ chronologisch und ein wenig bieder, mit fraglos ganz guten Bildmaterialien das Leben von Leni Riefenstahl nach. Er erzählt es in Kapiteln geordnet.

Es geht dann nicht sehr um ihr Werk, sondern vor allem um ihre Auseinandersetzung mit dem, was sie vor 1945 gemacht hat, in der Zeit nach '45. Es gibt viele Ausschnitte aus diversen Interviews, die sie nach 1945 gegeben hat.

Fehlende Auseinandersetzung

Es gibt keine Ausschnitte aus Gesprächen mit Experten oder mit Menschen, die das alles stellvertretend für die Zuschauer und auch die Macher und in Auseinandersetzung mit ihnen, etwas überblicken, einordnen und vergleichen können.

Es gibt auch keine neu entdeckten Interviews mit Leni Riefenstahl. Und die Interviews, die im Film zitiert werden, die kennt man eigentlich fast alle, wenn man sich auch auf YouTube umgeschaut hat.

Sie sind für andere Dokumentarfilme entstanden. Ausgiebigst bedient sich Veiel in Ray Müllers 31 Jahre altem Film mit dem Titel "Leni Riefenstahl: Die Macht der Bilder", den man in zwei Teilen auch auf YouTube sehen kann.

Er bleibt die weitaus verlässlichere und spannendere Quelle für das Werk und die Person von Leni Riefenstahl. Eine wirklich tiefer gehende, formale und theoretische Film-Auseinandersetzung mit faschistischer Ästhetik steht aber nach wie vor aus.

Sündenbock nach 1945?

Veiel wiederholt oft, was Müller gemacht hat. Da er aber Riefenstahl nicht als direkte Mitarbeiterin und Mitspielerin hatte, kann er sich nur aus Riefenstahl-Ausschnitten aus zweiter Hand bedienen, er kann nicht mit ihr interagieren.

Und es ist in diesem Zusammenhang schon bemerkenswert, wie viele Ausschnitte gerade aus Müllers Film hier Verwendung finden. Gefühlt bestimmt eine Viertelstunde stammt aus Müllers Film beziehungsweise aus den Dreharbeiten zu diesem Film. Das ist auch gut und korrekt gekennzeichnet insofern kann man es auch als Laie leicht auseinanderhalten und zuordnen.

Trotzdem Riefenstahl in dem Film von Müller mitgearbeitet hat, ist dieser Film an einigen Stellen aber kritischer und er stellt die viel interessanteren Fragen als Veiels Film.

Zum Beispiel die, ob Riefenstahl nicht trotz ihrer unbestrittenen Schuld nach 1945 auch zu einem Sündenbock gemacht wurde.

Sie konnte nach 1945 keinen einzigen Film drehen, "Jud Süß"-Macher Veit Harlan dagegen 12!

Kaum etwas Neues

Was wir sehen, ist kaum etwas Neues – und überhaupt nichts Überraschendes. Wirklich neues Material ist die nicht sehr bekannte Talkshow von 1976 aus der wir einige Ausschnitte sehen, und es sind die Telefonate, Kassettentonbänder von Telefonaten, die Riefenstahl, die offenbar auch Züge eines heftigen Kontrollfreaks hatte, offenbar seit den 1970er-Jahren mitgeschnitten hatte, ohne Wissen der Gesprächspartner.

Wir haben einen Moment in diesem Film, wo ein Riefenstahl-Sympathisant mit ihr spricht und sie sagt ihm, sie schneide das Gespräch mit, daraufhin legt er sofort auf. Diese Bänder sind tatsächlich tolle Quellen.

Sie bleiben aber die einzigen in diesem Film, und so interessant sind sie dann auch nicht, weil wir hier einfach "Volkes Stimme" hören aus dem Deutschland der 1970er-Jahre, mit erwartbarer Rechtslastigkeit, viel Lobhudelei, wo Fans ihr sagen, dass sie die verfolgte Unschuld vom Land sei, dass der Wind sich aber drehen werde.

In mancher Hinsicht redet sie da etwas offener und weniger geschützt. Aber etwas Neues über Riefenstahl erfahren wir nicht.

An keiner Stelle wird erklärt, wie sie "Triumph des Willens" eigentlich gedreht hat. An keiner Stelle wird gesagt, dass sie "Olympia" nach dem Krieg umgeschrieben hat, und wie sie mit dem Film "Olympia" in den USA nach dem Krieg wieder Karriere gemacht hat. Sie sitzt in einem Interview in New York. Aber warum sie überhaupt dort sitzt, erfahren wir nicht.

Beflissene Fleißarbeit, die dem Thema nicht gerecht wird und die Aktualität des Faschismus verfehlt

Dies ist ein Film, der auf Erklärungen und Einordnungen verzichtet. Der zu viel offenlässt. Das ist die Methode von Andres Veiel. Aber das macht es nicht besser. Die Methode hat nämlich Nachteile für unbedarfte und uninformierte Zuschauer, und solche gibt es heute ziemlich viele. Man vertraut darauf, dass die Leute sich selber ihr Urteil bilden können.

Aber das ist nicht genug, um mit den Selbsterklärungen und Selbstbeschreibungen der Leni Riefenstahl umgehen zu können.

Insofern ist dieser Film eine Enttäuschung. Es bleibt eine beflissene Fleißarbeit, die dem Thema nicht gerecht wird und die Aktualität des Faschismus in unserer Zeit verfehlt.

Was kümmert uns Leni Riefenstahl?

Fällt das Wort "Ausschwitz"? Man möchte es hoffen, für den Film. Aber es geht zu wenig um den Umgang mit der Ermordung der europäischen Juden durch Deutschland und die Deutschen während des Dritten Reichs.

Es geht nur um diese eine nicht sehr repräsentative Frau, kaum um die Verleugnung der allgemeinen deutschen Schuld, das Abstreiten und Relativieren der Schuld und um die Konsequenzen, die aus der Schuld erwachsen und gezogen werden von den Beteiligten.

Was kümmert uns Leni Riefenstahl?

Jemand, der nichts von Leni Riefenstahl weiß, der kann aus diesem Film viel lernen. Jemand, der einiges weiß oder sogar vieles, der wird enttäuscht sein.

Vor allem aber bietet der Film nicht das, was er unbedingt bieten müsste um dem Werk und der Wirkung der Leni Riefenstahl gerecht zu werden.

Andres Veiels Film hat keine Fragen und keine Neugier für seinen Gegenstand. Statt um Politik und Ästhetik geht es um Moral. Die Gegenwart bleibt ausgeblendet.

Aber wenn die Person Riefenstahl etwas mehr zugegeben hätte, was wäre dann besser?