Donald Trump: Populismus als Politik
Seite 3: Wie soll jemand, der Pokemons im Stadtpark jagt, noch an eine objektive Wirklichkeit glauben?
- Donald Trump: Populismus als Politik
- Mit der Inszenierung des Außenseiters treten Rasse und Geschlecht wieder in den Vordergrund
- Wie soll jemand, der Pokemons im Stadtpark jagt, noch an eine objektive Wirklichkeit glauben?
- Trump ist das "Gesicht" des Neoliberalismus in seiner Umschlagphase zu Rechtspopulismus und Anarcho-Kapitalismus
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Sie sprechen die "Post Truth Politics" an. Aber wie wird Wahrheit in Politik verhandelt? Ist es Wahrheit, wenn die Wahlversprechen nach der gewonnenen Wahl umgesetzt werden? Oder funktioniert es nur mit extensiver Recherche zum jeweiligen politischen Problem? Trump wird seine eigenen Berater und Experten mitbringen.
Georg Seeßlen: "Post Truth Politics" hat nur wenig damit zu tun, dass es in der Politik um Wahrheit ginge. Es geht vielmehr um Wirklichkeit. Anders als, sagen wir, in einer religiösen fundamentalistischen Gemeinschaft, anders als in einer ideologisch-ästhetisch untermauerten Diktatur bezieht sich der demokratische Diskurs darauf, dass alles, was gesagt werden kann und was gesagt werden darf, sich auf eine objektive, materielle und rationale Wirklichkeit bezieht. In dieser Wirklichkeit gibt es Kräfte, die lügen, die Informationen unterdrücken, die manipulieren, die falsche Versprechungen abgeben, die mit der Vergesslichkeit spekulieren etc.
Was es in einem demokratischen Diskurs nicht geben kann und darf ist ein Absehen von dieser Wirklichkeit. Eine Nachricht, zum Beispiel, ist in diesem Diskurs wahr, wenn sie durch die objektive Wirklichkeit bestätigt werden kann. In der Kultur der "Post Truth Politics" dagegen ist die Wahrheit einer Nachricht beglaubigt durch die Zahl und Reaktion ihrer Empfänger. Wenn es für den religiösen Fundamentalisten eine mehr oder weniger göttliche Wahrheit gibt, die wichtiger ist als die materielle und rationale Wirklichkeit, dann ist für den Insassen der "Post Truth"-Kultur das, was sich gut und nützlich anfühlt wichtiger als die materielle und rationale Wirklichkeit.
Diese Haltung entsteht zum einen aus dem Zweifel daran, ob es die materielle und rationale Wirklichkeit überhaupt gibt und welchen Überbringern und Vermittlern denn noch zu trauen wäre, und zum anderen aus einem allgemeinen Trend zur Fiktionalisierung der Welt. Wie soll jemand, der Pokemons im Stadtpark jagt, noch an eine objektive Wirklichkeit glauben? Wirklich ist, was "gut ankommt" und was eine Reaktion auslösen kann.
Ganz entsprechend haben wir ja geraume Zeit einen Unterschied zwischen Klatsch, Gerüchten und Sensationen auf der einen, "seriösem" Qualitätsjournalismus auf der anderen Seite gemacht. Ein Blick in Fernsehprogramme und Zeitschriftenkiosk zeigt, dass einerseits alles, was sich letzterem noch zugehörig fühlt, eine verschwindende Minderheit ist, und dass andrerseits im Kampf um Auflage und Quote die Grenze zwischen beidem immer durchlässiger wird, und in vielen Internet-Angeboten gänzlich verschwunden ist.
Für den Rechtspopulisten schließlich besteht Wahrheit in allem, was dem eigenen "völkischen" Standpunkt dient, und was dies nicht tut, kann nur "Lügenpresse" sein (die Organe der demokratischen "Eliten" und der "Volksverräter"). So wird schließlich das Konzept der Aufklärung, Wirklichkeit und Wahrheit miteinander zu versöhnen, rückgängig gemacht. Der Klimawandel durch Umweltbelastung ist dann eine Propagandalüge der Chinesen, womit gleich beide Grundvoraussetzungen der "Post Truth"-Strategie erfüllt sind, nämlich die Konstruktion von "wir" und "die anderen" und "Alles, was unseren Spaß bremsen und - siehe oben - unseren Erfolg verringern würde, muss Lüge sein".
Die Frage der Kontextualisierung und Wandlungsfähigkeit war ein bedeutender Faktor für den Wahlsieg. Hat Trump bewusst ein zuweilen opportunistisches Bild von sich gegeben, um hyperanschlussfähig zu werden? Da er seine eigene Marke ist, ist er nur sich selbst Rechenschaft schuldig.
Georg Seeßlen: Jede Marke ist gekennzeichnet durch ein Verhältnis von Kontinuität und Diversifikation. Nehmen wir an, Trump ist nicht so sehr "Machthaber" als vielmehr "Marktführer" der politischen Dispositionen, so wird er stets bemüht sein, seinem Marken-Image gerecht zu werden, und zugleich eine gewisse Angebotsvielfalt zu erzeugen. Im Zweifelsfall - übrigens gibt es auch dafür Vor-Ahnungen in der Pop-Kultur - könnte er die Rolle des US-Präsidenten karnevalisieren, während die reale Politik von einigen seiner, nun ja, Spezialisten betrieben wird.
Was übrigens alle Medienprodukte eint, ist ein Problem der Selbstidentifikation: Manchmal, so hat Lauren Bacall sich spöttisch erinnert, hat sich sogar Humphrey Bogart mit Humphrey Bogart verwechselt. Wieviel naheliegender ist es da, dass sich Donald Trump mit Donald Trump verwechselt?
Dass Trump nächster US-Präsident wird, kann das Verdienst (grammatisch korrekt) / der Verdienst (vielleicht passender im Trump-Kontext?) seiner Inszenierung sein, doch setzt sich das Spiel auch nach seinem Dienstantritt fort? Manche Stimmen meinen, das "Amt" würde ihn berechenbarer machen.
Georg Seeßlen: Natürlich gibt es Anforderungen und Kontrollmechanismen und es gibt, das ist nicht zu vergessen, nach wie vor eine kritische Öffentlichkeit, die sich ohne einen endgültigen Bruch mit demokratischen Grundregeln nicht zum Schweigen bringen lassen wird. Doch damit ist die Frage, ob es sich um einen Pendelausschlag, um eine Bewegung bis an die Grenze eines Systems geht oder doch um einen wahrhaften Systemwechsel, nicht vom Tisch.
Schon jetzt gibt es irreversible Folgen des Trumpismus, eben jene Vermischung von politischem Amt und ökonomischen Interessen, die einst den Berlusconismus prägte, den Wandel der politischen Sprache, eine Spaltung der Gesellschaft, die über alle gewöhnlichen "politischen Meinungsverschiedenheiten" hinaus geht, eine Patronage, Clanwirtschaft, Abhängigkeitsnetze: Wir sehen einem Machtsystem bei der Entstehung zu, das viel tiefer geht als die Besetzung eines Amtes. Und wie bei Berlusconi lässt sich nach dem Ende der Amtszeit nur ein Teil davon demokratisch rückgewinnen.
Es ist das eine, was ein Präsident Donald Trump in der Weltpolitik macht; es wird hier Grenzen von Willkür und Unberechenbarkeit geben (hoffen wir). Das andere aber ist, was ein Präsident Donald Trump mit der demokratischen und kulturellen Tiefenstruktur seines Landes macht. Möglicherweise werden die Spätfolgen seines Regimes gravierender als die direkten.
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