Downgazing
Über einen neuen Trend in der Architektur
Nehmen Sie eines der größten Finanzzentren: London, New York, Tokyo, Chicago, Frankfurt, Singapur, Hong Kong ... Was auch immer man nimmt, so können Sie sicher sein , daß die Belegschaft der großen Burotürme, wenn sie abends nach Hause geht, die Computer nicht ausschaltet. Im Gegenteil, es laufen Programme, die das Tagesgeschäft in weit entfernte Sicherheitstresore herunterladen. Wenn die Büros der Firmen zerbombt, verbrannt, überflutet oder auf andere Weise vor dem Beginn der Arbeit am nächsten Tag beschädigt werden sollten, werden noch mehr Computer zum Leben erwachen.
Eine bestimmte Schlüsselbelegschaft wird Zuhause angerufen, um ein Treffen in der "Hot site", einem unauffälligen Bürogebäude der Firma irgendwo am Rande der Stadt zu organisieren. Diese Notfall-Hauptquartiere können innerhalb von vier Stunden mit Möbeln, PCs, Telefonverbindungen und Datenterminals bestückt werden, bis die Schwierigkeiten im Hauptgebäude beseitigt sind.
Weltweit gibt es vielleicht 400 Spezialfirmen, die den sogenannten "Geschäfts-Kontinuitäts-Service" anbieten. Abhängig vom prognostizierten Risiko kümmern sich diese Firmen von der automatischen Datensicherung bis zur Büroanmietung und der Planung von Notfall-Computer-Netzwerken um alles.
Als Folge terroristischer Aktivitäten in verschiedenen Ländern entstanden, haben diese Firmen heutzutage auch mit anderen Aufgaben zu tun. Bombenattentate oder Feuerschäden sind immer noch sehr selten. Fehler in den elektronischen Systemen, Diebstahl der Ausrüstung, Sabotage durch Betriebsangehörige oder Krankheit sind dagegen sehr viel verbreiteter, und jede einzelne dieser Möglichkeiten kann die Rentabilität einer Firma erheblich schädigen. Letztes Jahr wurden die Kosten für Geschäfts-Kontinuitäts-Versicherungen der Firmen in den 12 größten Finanzzentren der Welt gegen Risiken von Bombenattentaten bis zu Lebensmittelvergiftungen auf etwa £ 480 Millionen (770 Millionen US-Dollar) geschätzt.
Dies ist ein Maß für die Veränderung, die bezüglich der Stellung des Standortes, des Raumes und der Information stattgefunden hat, so daß die früher unbekannte Kontinuitätsplanung dieser Art inzwischen ein wesentlicher Teil des Budgets für Informationstechnologie ist. Allein in der Innenstadt von London wird erwartet, daß sich die Kosten von £ 2,5 auf £ 4 Milliarden (von 4 auf 6,4 Milliarden US-Dollar) im Jahre 2000 steigern werden und weltweit zum Jahrtausendwechsel auf bis zu £ 70 Mrd. (112 Milliarden US-Dollar) anwachsen könnten.
Wenn globale Darstellungen dieser Größenordnung die Alarmglocken in den Köpfen der Architekten läuten lassen, dann aus dem Grunde, weil sie sich fragen, wieviel Geld zur Investition in Gebäude nach den Anforderungen der Informationstechnologie noch übrig sein wird. Damit liegen sie richtig, da alle Zeichen darauf hindeuten, daß es zu einem Wettbewerb zwischen Informationstechnologie und Gebäudekonstruktion im Bereich der infrastrukturellen Investitionen kommen wird.
Laut einer Darstellung der OECD wurden letztes Jahr weltweit etwa £ 30 Milliarden (48 Milliarden US-Dollar) von Banken und Verbänden zu Projektfinanzierung aufgebracht. Beim Privatsektors erfolgte eine gewaltige Zunahme von 83% gegenüber 1995. Eine Aufschlüsselung der Projekte selbst zeigte aber, daß der absolut größte Teil bei der Informationstechnologie und dem dazu zugehörigen Bereich und nicht im Bau lag. Von den £ 11 Milliarden (17 Milliarden US-Dollar), die die EU 1996 in Projekte investierte, ging alles, bis auf £ 312 Millionen (500 Millionen US-Dollar) für Englands Kanaltunnel, in die Informationstechnologie, die Telekommunikation und den Ausbau und die Verteilung der Elektrizität.
Es ist die Aussicht auf eine von der Informationstechnologie dominierte Zukunft, die die bescheidene "Hot site" interessant erscheinen läßt. "Hot sites" sind billig und können so austauschbar wie gebrauchte Autos auf dem Hof sein. Virtuell wird alles, was mit ihrer Nützlichkeit zu tun hat, von der Informationstechnologie-Freundlichkeit abhängen und nicht vom Aussehen oder einer prestigeträchtigen Adresse. Und tatsächlich beginnt die Wichtigkeit des Friedens vor Ausfallzeiten, nachdem die Kosten und die Komplexität von Computern und Kommunikationsnetzwerken zunehmen, alle anderen gemeinsamen Überlegungen zu überrennen. Gebäude werden weiterhin eine vorrangige Aufgabe sein. Im Geschäftsleben fürchten die Manager Informationstechnologie und Computerfehler mehr als jedes mögliche Problem, das mit einem Gebäude entstehen könnte - bis zu der vollkommenen Zerstörung durch hochexplosive Stoffe.
Dafür ist die Grundidee der 'Hot sites' gut, die, so wichtig sie als Versicherung auch sind, andererseits kaum als eigenständige Einheit existieren könnten. Da sie zu klein, zu alt, zu mittelmäßig und zu ungünstig gelegen waren, hatten sie bisher Probleme, Käufer oder Pächter auf dem freien Markt zu finden, weil sie keinerlei originale oder herausragende Kennzeichen irgendeiner Art aufweisen. In realen Standausdrücken sind sie nicht mehr als Terminals. Die letzte Rettung eines belagerten Unternehmens, das sich bemüht, Katastrophen vorherzusehen und zu verhindern.
Warum stellen sie jetzt eine Gelegenheit dar? Weil in den Überlegungen von Unternehmen die Sicherheit der Kommunikation und deren Schutz inzwischen wichtiger als die Architektur sind. Und auf eine gewisse Art und Weise ist die konventionelle Unternehmensarchitektur tatsächlich, insofern sie auffällig, üppig und kreativ ist, zu einer Geschäftsbelastung und zu einem leichten Ziel öffentlichen Mißfallens oder eines individuellen Grolls geworden.
Als Folge haben viele der großen Unternehmen nicht nur 'Hot sites', sondern auch 'Remote sites', von denen aus die Kerngeschäfte in Frieden und Ruhe fortgeführt werden können. Die deutsche Luftlinie Lufthansa besitzt Büros in Hauptstädten auf der ganzen Welt, aber alle Reservierungen werden von einer Einrichtung im ländlichen Galway in Irland bearbeitet - genau wie bei American Airlines und Korean Air.
Könnte es sein, daß das umgekehrte Wertesystem von 'Hot site' und 'Remote site' ein Musterbeispiel dessen wird, was Architekten in Zukunft, da sie hart für einen Platz auf der Einkaufsliste der Firmen kämpfen müssen, vermitteln sollten? Trotz der Versuche der Kunsthistoriker haben alle Gebäude, von bescheidenen Wohnhäusern bis zu gewaltigen Bürotürmen, unter der Auswirkung der Informationstechnologie begonnen, vom Konzept eines permanenten und bewußten Wertes zu einer Art Übergangsstadium zu werden, in dem der Wert immer neu abgeschätzt wird. Ein Extrem ist das signierte Gebäude, eine Festung mit einem Preisschild, das Hunderte von Millionen Währungseinheiten kostet. Das andere Extrem ist das billige und unscheinbare Bürogebäude, das in der Vorstadt oder dem Umland liegt.
Wie schon der alte Howard Hughes gebrauchte Chevrolets statt Limousinen benutzte, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, so gibt es Experten, die Organisationen in Gebäude stecken wollen, die immer einfacher und unscheinbarer aussehen. Dort, wo in Zukunft Arbeit für Firmen verlangt wird, könnte 'downgazing' so wichtig wie 'downsizing' werden.