Drehbücher schreiben im Dienst der Wissenschaft
Um Jugendliche für Naturwissenschaften zu begeistern, schult das Pentagon Wissenschaftler in der Kunst des Drehbuchschreibens
Nicht nur der Hitzeschild der US-Raumkapsel Discovery ist lädiert, auch das Image der US-Raumfahrt insgesamt ist durch die die aktuelle Pannenserie mächtig angekratzt. Als wäre das nicht schon schlimm genug, hat die US-Regierung ein neues Problem entdeckt: Zu wenig junge Menschen interessieren sich für Naturwissenschaften. Über kurz oder lang könnte das zu Problemen führen. Denn ohne wissenschaftlichen Nachwuchs ist die amerikanische Spitzenposition in Sachen Wissenschaft bedroht. Schon jetzt machen aufstrebende Forschernationen wie China und Indien den Amerikanern mächtig Druck.
Um das Image der Naturwissenschaften aufzupolieren und junge Talente für den Dienst an der Wissenschaft zu animieren, will das Pentagon die Macht der Bilder nutzen. Die innige Verbindung von Pentagon und Hollywood ist längst kein Geheimnis mehr (Bildermaschine für den Krieg). Neu jedoch ist die Rolle, die Wissenschaftler in diesem Szenario übernehmen sollen. Anders als bisher sollen sie nicht nur Berater sein, sondern selbst Drehbücher schreiben – und anschließend erfolgreich verkaufen.
Ohne Nachwuchs kein Vorsprung
Um diese Vision möglichst schnell Realität werden zu lassen, hat das American Film Institute unlängst ein Seminar veranstaltet, bei dem auserwählte Wissenschaftler nicht nur in die Kunst des Drehbuchschreibens, sondern auch in die Geheimnisse der Script-Vermarktung eingeführt wurden. Dabei hat das Pentagon weder Mühen noch Kosten gescheut. Allein für dieses eine Seminar, an dem 15 handverlesene Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen teilnahmen, standen 25.000 US-Dollar zur Verfügung. Und kein Geringerer als Drehbuch-Altmeister Syd Field erklärte den Forschern, wie man Figuren entwickelt, einen Spannungsbogen aufbaut und einen so genannten Plot Point konstruiert.
Zahlreiche US-Hochschulen schmücken sich mit brillanten Einwanderern und Gastwissenschaftlern, doch erstens wollen viele von ihnen gar nicht auf Dauer in den Vereinigten Staaten bleiben, sondern zurück in ihre Heimatländer gehen und dort den Fortschritt vorantreiben. Zweitens gibt es für Einwanderer ein klitzekleines Problem, sobald es um die Anstellung in einer Regierungsbehörde, einem Rüstungsbetrieb oder in einem Forschungslabor geht. Denn in der Regel braucht man dafür die amerikanische Staatsbürgerschaft oder muss zumindest einen dauerhaften Wohnsitz in den Vereinigten Staaten nachweisen. Und weil Spitzenforschung schon immer eng verbunden war mit der Rüstungsindustrie, macht sich das Pentagon ernsthafte Sorgen um die Zukunft der nationalen Sicherheit. Fazit: Man muss die eigene Jugend für den Dienst an der Wissenschaft begeistern. Und was läge da näher, als die Leinwände und Bildschirme mit wissenschaftlichen Vorbildern zu bevölkern.
Wissenschaftler sind uncool, verrückt und bestenfalls schrullig
Bislang sind Wissenschaftler im Film nicht zwangsläufig die Guten, und - egal ob Mann oder Frau -: attraktiv sind sie meistens auch nicht gerade. Ausnahmen wie die sexy Forscherin mit intaktem Wertesystem in "The Saint", dargestellt von Elizabeth Shue, bestätigen die Regel. Auch wenn Hollywood mit einer ganzen Palette von Wissenschaftler-Typen arbeitet, die allesamt von einem Forschungsprojekt der Universität Bielefeld beschrieben werden: Das Bild der Wissenschaft im Film ist geprägt von Stereotypen und Klischees.
Besonders häufig trifft man im Film auf den mad scientist, ein durchgeknalltes Genie, das zwischen blubbernden Apparaturen Monster erzeugt und/oder nach der Weltherrschaft strebt und dabei keinerlei Skrupel kennt. Die harmlose Variante ist der schrullige Wissenschaftler, und wenn es zur Abwechslung gut läuft, darf der Wissenschaftler auch mal den Helden geben. Trotzdem taugt er nur selten als Vorbild, nicht einmal, wenn es sich um die Verfilmung einer realen Karriere handelt. Wer will schon mit John Nash tauschen?
Unter dem Stichwort Ausblick kommen die Bielefelder Forscher zu dem Ergebnis, dass das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit offenbar geprägt ist von archaischen Ängsten, die den Blick auf aktuelle Entwicklungen verstellen. "Die vielen Initiativen, die es in letzter Zeit gegeben hat, das Image der Wissenschaft zu verbessern, reichen möglicherweise nicht weit genug, da die Mythen und Ängste offenbar älter sind und tiefer sitzen." Konkrete Gegenmaßnahmen werden nicht vorgeschlagen, doch "sollte uns Wissenschaftlern das zumindest zu denken geben."
Filmwissenschaften auf amerikanische Art
In den Vereinigten Staaten macht man sich nicht nur Gedanken, sondern schmiedet konkrete Pläne. Die jüngste Idee, Wissenschaftler zu Drehbuchautoren umzuschulen, stammt von Martin Gundersen, Professor für Elektrotechnik an der University of Southern California. Mit Hollywood hatte er bereits mehrfach als technischer Berater zu tun. Beispielsweise sorgte er dafür, dass die Laser von Val Kilmer in der Filmkomödie "Real Genius" von 1985 halbwegs glaubwürdig wirkten.
In den vergangenen Jahren hat er im Auftrag der Sloan Foundation Drehbücher im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Genauigkeit geprüft. Die Sloan Stiftung unterstützt Projekte, die das Ansehen der Naturwissenschaften in der Öffentlichkeit fördern und für ein besseres Verständnis naturwissenschaftlicher Phänomene sorgen, außerdem sollen naturwissenschaftliche Phänomene in den Medien glaubwürdig dargestellt werden. Gefördert werden Bücher, Radio-, Film- und Fernsehproduktionen, Theaterstücke und Websites. Das Engagement ist durchaus berechtigt, denn im Showbusiness werden die Gesetze der Physik und anderer Wissenschaften bislang gerne mal etwas modifiziert, um mehr herzumachen (Physikalische Unmöglichkeiten im Film).
So waren denn auch die meisten Drehbücher, die Gundersen im Auftrag der Sloan Foundation begutachtete, seiner Einschätzung nach "ziemlich trostlos". Da Wissenschaftler sowieso die ganze Zeit Aufsätze, Bücher und Vorträge schreiben müssen, kam ihm die Idee, Wissenschaftler selbst zu Drehbuchautoren zu machen. Gundersen nutzte seine Kontakte zum American Film Institute, und vor gut einem Jahr fand das erste Wochenendseminar statt. Inzwischen dauern die Seminare fünf Tage, und die Finanzierung ist mittelfristig gesichert: Die US-Luftwaffe stellt für die Seminare zunächst drei Jahre lang alljährlich 100.000 US-Dollar bereit. Das Army Research Office hat für dieses Jahr weitere 50.000 US-Dollar beigesteuert.
Das Geld wird auch in andere Projekte fließen. So bietet Gundersen seit kurzem Workshops für High-School-Schüler an, schließlich kann man nicht früh genug mit der Förderung beginnen. Und was die Zusammenarbeit zwischen Medienschaffenden und Wissenschaftlern angeht, sind für Gundersen diverse Szenarien denkbar. Beispielsweise könnten Top-Leute aus der Unterhaltungsindustrie auf Wissenschaftskongressen Seminare abhalten, oder sie könnten aufstrebenden Drehbuchautoren vermitteln, wie man Wissenschaftler als technische Berater gewinnt.
Bridget Jones als Biochemikerin
Wunder erwartet auch in den Vereinigten Staaten keiner, denn die Konkurrenz ist gewaltig. Von schätzungsweise 75.000 Drehbüchern, die aktuell in Hollywood im Umlauf sind, werden maximal 500 im Jahr verfilmt. Bei der Air Force rechnet man damit, dass es fünf bis zehn Jahre dauern kann, bis die ersten Doktortitel im Abspann auftauchen.
Vielleicht geht es aber auch schneller. Eine Seminarteilnehmerin aus dem vergangenen Jahr hat ihr Skript bereits abgeschlossen. Die Heldin ist eine Biochemikerin vom Typ Bridget-Jones, die sich mit wissenschaftlichen Methoden auf Partnersuche macht. Unabhängig davon, ob es dieser Film jemals auf die Leinwand schafft, können sich die Bielefelder ja schon mal eine Methode überlegen, mit der sie herausbekommen, ob und in welcher Weise Drehbücher von Wissenschaftlern das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit verändern.