"Dual Use" macht's möglich
Bundesdeutsche Firmen exportierten im großen Still chemische Substanzen nach Syrien - zur zivilen Nutzung. Die Linke fordert Aufklärung, ob diese auch zur Produktion von Giftgas verwendet wurden
In Syrien hat den Erkenntnissen der UN-Inspekteure zufolge ein Giftgasanschlag stattgefunden. Eingesetzt wurde dabei das Nervengas Sarin, das vermutlich durch Boden-Boden-Raketen verschossen wurde. Das ergibt der Bericht der Inspekteure, der am vergangenen Montag der Öffentlichkeit Syrien: UN-Mission findet faktische Belege für die Verwendung von Sarin). Seit Mittwoch steht nun die Frage im Raum, ob die Zusatzstoffe für die Produktion des Sarin eventuell auch aus bundesdeutschen Chemiefabriken stammen könnten. Denn laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine schriftliche Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei wurden genau solche Substanzen im größeren Stil an das Assad-Regime geliefert.
Das Ergebnis der Untersuchungen der UN-Inspekteure überraschte nicht sonderlich. Umso mehr verblüffte am Mittwochmittag die Veröffentlichung der Bundestagsfraktion der Linkspartei, dass bundesdeutsche Firmen zwischen 2002 und 2006 insgesamt 111 Tonnen Chemikalien nach Syrien lieferten, die sowohl für zivile Zwecke, z.B. zur Herstellung von Zahnpasta oder Insektenschutzmitteln, als auch zur Produktion des Nervengases Sarin verwendet worden sein könnten.
"Dual Use" - doppelte Verwendungsmöglichkeit - heißt das Zauberwort, das solche Exporte möglich macht, obwohl die Ausfuhr von derartigen Chemikalien in Krisengebiete verboten ist. Im Prinzip jedenfalls - es sei denn, es kann plausibel und glaubhaft dargelegt werden, dass die chemischen Substanzen ausschließlich für zivile Zwecke genutzt werden.
Das sei von den jeweiligen Bundesregierungen gründlich geprüft worden, bis 2005 war das die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD), danach die große Koalition aus CDU/CSU und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel (CSU). Das ließ das Bundeswirtschaftsministerium am Mittwochnachmittag erklären: Die Genehmigungen seien "nach sorgfältiger Prüfung aller eventuellen Risiken, einschließlich von Missbrauchs- und Umleitungsgefahren im Hinblick auf mögliche Verwendungen im Zusammenhang mit Chemiewaffen, erteilt" worden.
Genau das möchte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und außenpolitische Sprecher der Linken, Jan van Aken, untersucht wissen: "Ich fordere insbesondere Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf, sich zu diesem fragwürdigen Export von Dual-Use-Chemikalien zu äußern. Er war in beiden Bundesregierungen als Chef des Bundeskanzleramtes und Außenminister Mitglied der Bundesregierung. Er, aber auch die Bundeskanzlerin, muss die Frage beantworten, ob und wie Deutschland eine zivile Verwendung dieser Chemikalien überprüft oder man sich auf entsprechende Zusicherungen Syriens verlassen hat."
Merkel meldete sich Mittwochabend zu Wort. Laut tagesschau.de sagte sie, "nach allen Erkenntnissen, die mir zur Verfügung stehen" seien die Chemikalien für zivile Zwecke genutzt worden.
Deutschland und chemische Waffen
Giftgas, dessen Produktion und Einsatz sowie Export hat eine lange unselige Tradition in Deutschland. Zum ersten Mal wurden während des 1. Weltkriegs 160 Tonnen Chlorgas unter Aufsicht des Chemieprofessors und Leiters des Kaiser-Wilhelm-Instituts, Fritz Haber, in den Schützengräben eingesetzt. Während des Hitler-Faschismus wurde das in Dessau hergestellte Insektenvernichtungsmittel Zyklon B u.a. in den Gaskammern des KZ Auschwitz zum Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden verwendet.
Nach diesem dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte musste die Bundesrepublik der Produktion von Giftgas abschwören, sattelte indes kurzerhand um: Bundesdeutsche Chemiekonzerne wurden zum weltweit größten Hersteller von Insektenschutzmitteln. Wie es der Zufall will, werden zur Produktion von Insektenschutzmitteln und Nervengasen z.T. identische Grundstoffe benötigt, u.a. eben jene Substanzen, die nach Syrien exportiert wurden.
Bereits 1980 wurde von deutschen Firmen eine Fabrik zur Herstellung von Insektenschutzmitteln im Irak errichtet. Die produzierte jedoch keine Insektizide, oder zumindest nicht nur, sondern z.B. Senfgas. Das wurde während des 1. Golfkriegs 1981 - 88 gegen den Iran eingesetzt. Insgesamt gab es mehr als 30 Giftgasanschläge seitens des Irak auf iranischem Territorium. Dort leben noch etwa 100.000 Betroffene und leiden bis heute unter den Folgen. Senfgas wurde außerdem im März 1988 vom Saddam-Regime gegen die kurdische Stadt Halabja im Nordirak eingesetzt. Mehr als 5.000 Menschen kamen dabei ums Leben.
Neben deutschen waren britische, französische, spanische, indische, ägyptische und amerikanische Firmen seinerzeit an der Giftgas-Produktion im Irak beteiligt, bzw. stellten die notwendigen Substanzen, das Knowhow und die Anlagen zur Verfügung.
Aufgrund dieser Erfahrung stellt sich allerdings die Frage, für was die 93.040 kg Fluorwasserstoff, 6.400 kg Natriumfluorid und 12.000 kg Ammoniumhydrogenfluorid, die von 2002 bis 2006 nach Syrien exportiert wurden, tatsächlich benutzt wurden.
Doch selbst wenn die Bedenken über eine eventuelle deutsche Mitschuld ausgeräumt werden könnten, wäre damit immer noch nicht die Gretchenfrage beantwortet, wer denn nun für den Giftgaseinsatz verantwortlich ist: das Assad-Regime oder die so genannten Rebellen. Die eingesetzten Giftas-Granaten werden laut van Aken aus Beständen der syrischen Armee stammen. Die können allerdings auch von zu den "Rebellen" übergelaufenen ehemaligen Soldaten mitgebracht oder bei Rebellen-Überfällen auf Armeestützpunkte erbeutet worden sein (Jan van Aken über die von den USA vorgelegten Beweise).