Dunkler einsamer Saturnmond bekam irdischen Besuch

Cassini-Huygens-Sonde passierte Phoebe in nur 2063 Kilometer Entfernung und brachte erstmals Licht in das Dunkle eines dunklen Trabanten

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Die NASA/ESA-Doppelsonde Cassini-Huygens, die seit ihrem Start im Oktober 1997 den größten Teil ihrer Strecke zum Saturn ohne Blessuren hinter sich gelassen hat, erlebte gestern den ersten kleinen Höhepunkt der Mission. Genau 19 Tage vor dem Eintreten in die Saturnumlaufbahn passierte das interplanetare Gefährt den 220 Kilometer großen Saturn-Mond Phoebe in einer Entfernung von nur 2063 Kilometer und schoss während des Vorbeiflugs Fotos mit einer Detailgenauigkeit von bis zu zwölf Metern. 30 Stunden lang wird die irdische Sonde den Trabanten studieren. Das erste beeindruckende Bild vom dunklen Saturnmond, das am Donnerstag aufgenommen wurde, veröffentlichte die NASA vor wenigen Stunden. Weitere werden folgen.

Eines muss man den Gas- und Ringplaneten unseres Sonnensystems wirklich lassen: Auf Trabanten üben diese eine geradezu "magnetische" Anziehungskraft aus. Während nämlich die Erde und der sonnenfernste Planet Pluto nur jeweils einen ständigen Begleiter vorweisen können, Mars hingegen zwei sein Eigen nennen darf, scharen sich um den klassischen Ringplaneten Saturn 31 und um den größten Planeten des Solarsystems Jupiter sage und schreibe sogar 58 Monde. Uranus kann immerhin mit 21 und Neptun mit 11 natürlichen Satelliten aufwarten.

Im Schatten des großen Bruders

Fraglos ist diese Liste unvollständig, da sich hinter den Gasplaneten garantiert noch weitere Satelliten verstecken. Wie viele es am Ende auch immer sein mögen – sicher ist nur, dass jeder dieser exolunaren Himmelskörper im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten seines jeweiligen großes Bruders steht, den er eifrig umkreist. Besuch von fremden Himmelskörpern in Gestalt von Asteroiden, Meteoren oder Forschungssonden bekommen derlei Vagabunden im Vergleich zu ihren Heimatriesen recht selten.

Nicht mehr als ein verschwommener Ball: Voyager-2-Aufnahme vom 4. September 1981 aus 2,2 Millionen Kilometer Distanz (Bild: NASA)

Von dieser traurigen Statistik wusste bis vor kurzem auch der äußerste Mond des Saturns Phoebe ein ebenso trauriges Liedchen zu singen. Allerdings nur bis gestern. Denn am Freitag machte Phoebe, der den Saturn in einer mittleren Entfernung von 13 Millionen Kilometer alle 550 Tage einmal umkreist, erstmals Bekanntschaft mit der NASA/ESA-Doppelsonde Cassini-Huygens. Anders als die amerikanische Raumsonde Voyager 2, die im September 1981 den Kleintrabanten in zwei Millionen Kilometer Entfernung überflog, streifte der Raumflugkörper den 220 Kilometer Durchmesser großen Mond dieses Mal in nur 2063 Kilometer Entfernung mit einer Geschwindigkeit von rund 21.500 Kilometer pro Stunde.

Ob der irdische Gesandte den kleinen Mond, der etwa nur ein Fünfzehntel so groß wie der Erdmond ist, aufmuntern konnte, registrierten die Sensoren der Cassini-Sonde zwar nicht. Aber immerhin zeigte sich der kleine dunkle Trabant, der gerade mal fünf Prozent des Sonnenlichts reflektiert und de facto der Mond mit der bislang dunkelsten Oberfläche im Saturnsystem ist, von seiner besten Seite, als die sondeneigene Kamera ihn ins Visier nahm.

30-stündiger Vorbeiflug

Damit Phoebe, der sich in neuneinhalb Stunden einmal um seine eigene Achse dreht, von allen Seiten möglichst umfassend fotografiert werden konnte, blieben am Freitag vor dem Vorbeiflug die Instrumente permanent angeschaltet. Danach wurde das Raumschiff um 180 Grad gedreht, so dass "im Blick zurück" bis Samstagmittag weitere Daten aufgenommen werden konnten. Der Moment der größten Annäherung an Phoebe (2.063 Kilometer) war übrigens gestern um 21:33 Uhr und 37 Sekunden (MESZ).

Phoebe im Visier aus zirka 2100 Kilometer Distanz am 10. Juni 2004: Im Gegensatz zum Voyager-2-Bild von 1981 sind auf dem aktuellen Cassini-Foto einzelne Strukturen auf dem Saturnmond erkennbar. Auch eine Animation des Anflugs ist verfügbar. (Bild: NASA/JPL)

Zweieinhalb Phoebe-Umdrehungen soll Cassini binnen 30 Stunden beobachten, dokumentieren und dabei alle Bits und Bytes umgehend an die 70-Meter-Antennen des "Deep Space Network" der NASA senden. Für den Datentransfer werden insgesamt 83 Minuten benötigt, da 1,5 Milliarden Kilometer Entfernung zu überbrücken sind. "Wir sind nie zuvor so nah an einem so unregelmäßigen und wenig reflektierenden Mond eines Planeten gewesen. Wir sind auf Überraschungen vorbereitet", sagte Dale Cruikshank vom Cassini-Team gestern kurz vor dem ersten Phoebe-Vorbeiflug.

Die Ankunftszeit Cassinis am Saturn wurde mit Absicht auf den 1. Juli 2004 gelegt, um das mit Spannung erwartete Rendevous zu ermöglichen. Angesichts der Tatsache, dass der Saturnmond nur etwa alle 550 Tage die selbe Stelle seiner Umlaufbahn passiert, war der 11. Juni das Datum, um zu handeln, da sich Phoebe und Cassini an diesem Tag direkt kreuzen.

DLR wertet Teil der Phoebe-Daten aus

Um die einmalige Gunst der Gelegenheit wissenschaftlich zu nutzen, befindet sich an Bord von Cassini das Spektrometer VIMS (Visual and Infrared Mapping Spectrometer), ein Instrument, das die Analyse der chemischen und mineralogischen Zusammensetzung der Phoebe-Oberfläche ermöglicht. "Diese Untersuchungen könnten die Frage klären, ob Phoebe ein von der Schwerkraft des Saturn 'eingefangener' Asteroid mit noch unveränderter Zusammensetzung ist, also kein originärer Saturnmond", sagt Dr. Ralf Jaumann vom Berliner DLR-Institut für Planetenforschung, der dem internationalen Spektrometerteam von Cassini angehört. "Das vermuten wir, weil es nach bisherigem Kenntnisstand so aussieht, als ob wir es hier mit einem chemisch sehr primitiven, kohlenstoffhaltigen Körper zu tun haben, dessen Bestandteile im solaren Urnebel kondensierten."

Saturn in einer Cassini-Aufnahme vom 11. Mai 2004. Auflösung des Originalfotos: 157 Kilometer pro Pixel (Bild: NASA)

Vorgesehen ist auch, dass die VIMS-Gruppe von Dr. Jaumann kartographisch präzise globale "Spektralkarten" des Mondes erstellt, aus denen die chemisch-mineralogische Zusammensetzung der Oberfläche herausgelesen werden kann. Der einzige deutsche Wissenschaftler, der an diesem Experiment direkt beteiligt ist, ist Professor Gerhard Neukum vom Institut für Geologische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin. Zusammen mit der Cassini-Arbeitsgruppe an der FU Berlin sowie dem ISS-Wissenschaftsteam hat Neukum dafür gesorgt, dass die Kamera den winzigen Mond mit einer Auflösung von weniger als zwanzig Metern pro Bildpunkt, im besten Fall sogar mit nur zwölf Meter pro Pixel aufnehmen konnte. "Sollten die Beobachtungen gelingen, wäre anschließend der größte Teil der Oberfläche mit einer Detailgenauigkeit von zwei Kilometern bekannt", sagte Neukum noch vor den ersten Aufnahmen.

Huygens-Landung als Höhepunkt

So richtig spannend wird es aber erst, wenn der Huygens-Lander der ESA Anfang Januar 2005 in die dichte Wolkendecke des Saturnmondes Titan eintaucht und auf dem unwirklichen Terrain landet, über dem meist heftige Gewitter und Methan-Regentropfen von bis zu neun Millimeter Größe hinwegpeitschen. Gleichwohl ist es bislang völlig offen, ob sich die 343 Kilogramm schwere Eintrittssonde wie vorgesehen mindestens drei Sekunden oder gar 30 Minuten an der Oberfläche halten kann, bevor sie in den titanischen Fluten versinkt.

Huygens wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, nach komplexen organischen Verbindungen in Form von Aminosäuren oder ähnlichen Molekülen Ausschau zu halten, die als Vorstufen des Lebens gelten. Astrobiologen gehen davon aus, auf Titan eine Situation vorzufinden, wie sie vor 4,6 Milliarden Jahren auf der Erde gewesen war.

Sollte Huygens in sieben Monaten eine perfekte Landung hinlegen, hätte das erste Mal in der Raumfahrtgeschichte ein irdischer Flugkörper mit einem außerirdischen Meer Tuchfühlung aufgenommen. Es wäre zudem das erste Mal, dass Astronomen einen genauen Blick hinter dem ständig präsenten dichten orange-braunen Wolkenteppich des geheimnisvollen Saturnmonds geworfen und dabei in Erfahrung gebracht hätten, woraus dessen Oberfläche besteht und welche Umweltbedingungen dort herrschen.