Durchschlagener Brexit-Knoten öffnet nach drei Jahren Weg für neue Nordirland-Regierung
Die britische und die südirische Regierung haben einen Plan vorgelegt, der neben viel Geld aus London auch einen Sprachkommissar für das Gälische vorsieht
Nordirland hat seit drei Jahren keine Regionalregierung mehr, weil sich die beiden großen Parteien dort - die protestantische Democratic Unionist Party und die katholische Sinn Féin - nicht auf die Bildung einer solchen einigen konnten. Hintergrund war auch, dass bis vor kurzem offen war, wie die am 23. Juni 2016 in einer Volksabstimmung beschlossene Lösung des Vereinigten Königreichs von der EU konkret aussehen würde: Würde es einen Ausstiegsvertrag geben? Einen "Hard Brexit" zu WTO-Konditionen? Oder ein neues Referendum?
Erst mit dem klaren Wahlsieg der Tories und mit deren ebenso klarer Zustimmung zu Boris Johnsons Ausstiegsdeal wurde klar, in welche Richtung der Ausstieg geht - auch wenn die Detailfragen für das geplante Partnerschafts- und Freihandelsabkommen zwischen dem UK und der EU noch geklärt werden müssen (vgl. Kurze oder verlängerte Brexit-Übergangsphase?).
Diese Klarheit scheint auch die Einigungsbereitschaft in der DUP und der Sinn Féin befördert zu haben. Die Chefs der beiden Parteien - die Protestantin Arlene Foster und die Katholikin Mary Lou McDonald - äußerten sich heute beide positiv über einen Einigungsvorschlag, den der britische Nordirlandminister Julian Smith und Simon Coveney, der Tánaiste der Republik Irland, gestern präsentierten. Sowohl die DUP als auch die Sinn Féin wollen das Papier nun genauer studieren und darüber beraten.
Symbolsprache
Ein potenzieller Streitpunkt darin könnte die Einsetzung eines Kommissars für das Gälische sein, das sich vom Englischen sehr viel stärker unterscheidet als das Ulster Scots der Protestanten, für das es ebenfalls einen Kommissar geben soll. Letzteres ist ein Dialekt des Englischen, den die presbyterianischen Zuwanderer seit dem 17. Jahrhundert aus ihrer schottischen Heimat mitbrachten. Sir Jeffrey Donaldson, der parlamentarischer Geschäftsführer der DUP im Stormont-Regionalparlament stellte bereits vorab klar, dass seine Partei keinen Maßnahmen zustimmen werde, die das Gälische "Leuten aufbürdet, die es nicht sprechen". So werde es weder einen Gälisch-Pflichtunterricht in Schulen noch gälische Straßenschilder geben.
Gälisch wird in Nordirland nur von etwa 4.000 Menschen im Alltag gegenüber dem Englischen bevorzugt. Sprechen können die Sprache dort weniger als vier Prozent der Bevölkerung, verstanden wird sie von etwa zehn. Diese Werte liegen deutlich unterhalb des Anteils der Katholiken, die dank einer höheren Geburtenrate inzwischen etwa die Hälfte der Bevölkerung stellen. Selbst in der Republik Irland ist Gälisch trotz eines verpflichtenden Schulunterrichts nur für etwa 70.000 der insgesamt sechseinhalb Millionen Einwohner die wichtigere Alltagssprache. Fast vier Millionen nutzen sie dort praktisch überhaupt nicht.
Dass es trotzdem einen Kommissar für das Gälische geben soll, hängt mit dem Symbolwert zusammen, den die Sprache für die nordirischen Katholiken hat. Insofern wären auch Straßenschilder und Schulunterricht weniger nützliche Alltagshilfen als Identitäts- und Macht-Marker.
Handels- und Gewerbeverbände üben Druck auf die Parteien aus, sich auf den Kompromissvorschlag einzulassen
Auf ungeteilte Zustimmung stößt dagegen die Inaussichtstellung von viel Steuergeld für die nordirischen Krankenhäuser und Schulen. Alleine für den Gesundheitsbereich erwartet man sich hier zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Pfund, auch wenn der Einigungsvorschlag noch keine konkreten Zahlen nennt. Damit sollen unter anderem 900 neue Ausbildungsplätze für Krankenschwestern und Hebammen eingerichtet und Wartezeiten deutlich verringert werden. Die Zahl der Polizisten will man um 7.500 aufstocken, außerdem soll eine neue unabhängige Umweltschutzbehörde eingerichtet werden.
Können sich DUP und Sinn Féin trotz dieser Anreize nicht bis zum 13. Januar auf eine neue Karfreitagskoalition einigen, dürfen die Nordiren ein neues Regionalparlament wählen. Das könnte bei der DUP insofern die Kompromissbereitschaft erhöhen, als die Partei bei der Wahl des Westminster-Parlaments am 12. Dezember zwei ihrer vorher zehn Sitze verlor - darunter auch den ihres vormaligen Westminster-Fraktionschefs Nigel Dodds. Die Sinn Féin büßte bei dieser Wahl zwar ebenfalls einen Sitz ein, gewann im Gegenzug aber einen anderen dazu. Eindeutigere Gewinner waren die konfessionsfreie Alliance mit einem und die kleinere katholische Social Democratic and Labour Party (SDLP) mit zwei zusätzlichen Sitzen.
Hinzu kommt, dass auch die nordirischen Handels- und Gewerbeverbände Druck auf die Parteien ausüben, sich auf den Kompromissvorschlag einzulassen und damit die Fernregierung aus London wieder zu beenden. In einer gemeinsamen Stellungnahme appellieren Retail NI, Manufacturing NI und der Gaststätten- und Tourismusverband Hospitality, "den Deal noch heute zu unterschreiben und das Regionalparlament wieder zum Laufen zu bekommen".
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