EU-Außenbeauftragter will Kriegsschiffe vor Taiwan: Was steckt dahinter?

Seite 2: Neujustierung: Das Verhältnis der EU zu den USA und China

In Anbetracht der Tatsache, dass Borrells Botschaft so kurz nach dem Aufruhr ausgesendet wurde, den Macrons Äußerungen ausgelöst haben, ist es wahrscheinlich eine Reaktion darauf. Unklar ist aber, was damit gesagt werden soll.

Würde die Entsendung von EU-Kriegsschiffen als Beweis für eine robustere europäische globale Präsenz dienen, die nicht an die USA gebunden ist, oder wäre es ein Akt der Solidarität, da Washington seit Langem eine stärkere militärische Präsenz der EU fordert?

Die Tatsache, dass Borrells Erklärung "ein gewisses Maß an Zweideutigkeit" enthält, ist wahrscheinlich "beabsichtigt", sagt Anatol Lieven, Direktor des Eurasienprogramms am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Sie könne daher auch als diplomatisches Signal dienen, um den Chinesen die möglichen wirtschaftlichen Folgen eines militärischen Vorgehens gegen Taiwan zu signalisieren.

Anfang April führte China drei Tage lang Militärübungen zu Wasser und in der Luft rund um Taiwan und die Meerenge durch, die einen Tag nach der Rückkehr der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen von einem Kurzbesuch in den USA begannen. Dabei wurden eine Blockade der Insel und ein militärischer Beschuss simuliert.

In Anlehnung an DePetris weist Lieven auf das Kapazitätsproblem der EU hin. Selbst wenn sich ein europäisches Land freiwillig melden würde, wäre die Anzahl der Schiffe "unbedeutend" und völlig "abhängig" von der US-Präsenz in den umliegenden Meeren – insbesondere bei der Luftunterstützung.

Andere weisen jedoch darauf hin, dass hinter den Botschaften von Borrell und Macron eine gewisse Logik steckt. "Die EU muss natürlich klarstellen, dass sie den USA nicht unbedingt überallhin folgen wird", sagt Andrew Tettenborn, Rechtsprofessor an der Swansea Law School, der regelmäßig für das Magazin Spectator über EU-Angelegenheiten schreibt.

Gleichzeitig müsse die EU aber "die restliche Anti-US-Stimmung, die wir in den alten EU-Ländern finden, loswerden" und klarer "Partei ergreifen in dem Kampf zwischen Demokratie und Autokratie", der sich auf der Weltbühne abspiele.

"Insofern sollte sie dem Beispiel der USA folgen, wie der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki bei seinem Besuch in den USA sagte", so Tettenborn. Dazu gehört auch, dass die EU ihre Mitglieder ermutigt, "aufzurüsten" – wie es Polen bereits tut, nachdem es erklärt hat, es wolle die stärkste Militärmacht in Mitteleuropa werden (manche sagen, es könnte die stärkste in der gesamten EU werden).

"Zu lange hat sich [die EU] in Sachen Verteidigung auf die USA verlassen und ihre Mitglieder nicht ermutigt, ihren Beitrag zur Nato zu leisten", sagt Tettenborn.

Zu lange ist man auch davon ausgegangen, dass man durch eine Kombination aus moralischer Überzeugung und wirtschaftlicher Größe eine wichtige diplomatische Kraft zwischen den USA, China und anderen sein kann.

Es sieht zwar nicht so aus, als würden bald europäische Kriegsschiffe in die Straße von Taiwan fahren, aber die EU versorgt die Ukraine ganz konkret mit Munition und militärischer Unterstützung. Die Europäische Kommission hat kürzlich zugesagt, der Ukraine in den nächsten zwölf Monaten eine Million Artilleriegranaten zu liefern. Am 2. Mai erklärte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton, dass die Verteidigungsindustrie der EU "jetzt in den Kriegswirtschaftsmodus umschalten muss".

Dabei wird vor einer "europäischen Militarisierung" und der Gefahr einer Eskalation gewarnt sowie gleichzeitig der Mangel an kreativer Energie der EU-Führer bei der Suche nach einer friedlichen Lösung für den Krieg in der Ukraine beklagt.

Nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts erreichten die Militärausgaben Europas im Jahr 2022 mit 480 Milliarden Dollar den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges.

"Die EU ist in Kriegsstimmung", sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó Ende April, "die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten will die Ukraine für mehr Geld und schneller mit mehr Waffen versorgen, während friedensbewegte Akteure massiv angegriffen werden."

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.