EU-Budgetreform: Geld gegen Wohlverhalten
Haushaltskommissar Oettinger folgt den Wünschen von Kanzlerin Merkel. Künftig sollen Finanzhilfen aus Brüssel an Konditionen gebunden werden. Das zielt auf Polen und Ungarn - könnte aber auch Italien oder Frankreich treffen
Man kann nicht sagen, dass es Grund zu Eile gäbe. Erst in zwei Jahren braucht die Europäische Union ein neues Rahmenbudget, das die aktuelle mittelfristige Finanzplanung 2014-2020 ablöst und das rund eine Billion Euro schwere EU-Budget reformiert. Man könnte problemlos die Europawahl im Frühsommer 2019 abwarten und dann das neue Budget festlegen - im Lichte der Wahlentscheidung.
Doch EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger macht Druck. Der CDU-Mann möchte schon vor der Wahl Fakten schaffen. Und er will noch während der laufenden deutschen Koalitionsverhandlungen Pflöcke einschlagen. Und so fand schon in dieser Woche eine "Orientierungsdebatte" der EU-Kommission zum nächsten EU-Budget statt. Oettinger drückt aufs Tempo, im Mai soll der fertige Entwurf stehen.
Doch schon die wenigen Andeutungen, die Merkels Kommissar am Mittwoch in Brüssel machte, lassen aufhorchen. Einem neuen Eurozonen-Budget, wie es Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron fordert, erteilte Oettinger ebenso eine Absage wie neuen Schulden oder Anleihen. Auch eigene EU-Steuern will der sparsame Schwabe nur im Notfall erheben. Allenfalls könne man über eine Plastiksteuer nachdenken.
Mit den Einnahmen sollen die EU-Staaten entlastet werden, die dennoch tiefer in die Tasche greifen müssen: Um rund zehn Prozent "plus x" will Oettinger das EU-Budget aufstocken, gleichzeitig aber quer durch alle Ressorts kürzen. Mehr Geld für weniger Leistung, wie geht das zusammen? Es gehe darum, den Einnahmeausfall durch den Brexit zu kompensieren, beschwichtigt der Sparkommissar.
Das könnte man allerdings auch anders - etwa, indem man die anachronistischen Agrarsubventionen zusammenstreicht oder die Kohäsionsfonds neu konzipiert, so dass davon nur noch wirklich bedürftige Regionen profitieren. Doch das wagt Oettinger nicht. Er hat die Kürzungen wohl nicht zufällig so justiert, dass auch die neuen deutschen Bundesländer weiter in den "Genuss" von EU-Hilfen kommen.
Bluten sollen andere: Länder wie Polen oder Ungarn, die sich nicht an die "Grundwerte" der EU halten - oder Staaten wie Italien oder Frankreich, die nicht aufs Wort die "wirtschaftspolitischen Empfehlungen" aus Brüssel befolgen. Das ist das größte und konfliktträchtigste Novum in Oettingers budgetpolitischem Masterplan: Er will die Zahlung von EU-Hilfen künftig an Konditionen binden. Geld wird von politischem Wohlverhalten abhängig gemacht.
System von Zuckerbrot und Peitsche
Dabei ist nicht einmal klar, ob dies nach EU-Recht zulässig ist. "Wir sind dabei, dies vertragsrechtlich auf seine Machbarkeit hin zu prüfen", räumte Oettinger ein. Doch für eine intensive Prüfung bleibt nicht viel Zeit. Schon nach Ostern will die Kommission die umstrittene Konditionalität ausbuchstabieren. Warum nach Ostern? Wenn nicht alles täuscht, weil Ende März das Ultimatum an Polen abläuft, die umstrittene Justizreform rückgängig zu machen.
Danach kommt es zum Schwur - und bisher hat die EU-Kommission kaum Trümpfe in der Hand. Das vor Weihnachten eingeleitete Artikel-7-Verfahren, mit dem ein ernster Verstoß gegen EU-Prinzipien festgestellt werden soll, hat nämlich keine Chance auf Erfolg. Ungarn hat schon angekündigt, mögliche Sanktionen gegen Polen - wie den Entzug des Stimmrechts im Ministerrat - per Veto zu verhindern.
Um das drohende Waterloo zu verhindern, denkt die EU-Kommission nun über andere Strafmaßnahmen nach. Der Entzug von EU-Mitteln wäre da besonders attraktiv; schließlich hängen Polen und Ungarn am Tropf der Brüsseler Bürokraten. Denkbar wäre laut Oettinger aber auch, den Ländern "ergänzende Mittel" anzubieten, wenn sie Bedenken in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ausräumen.
Das System von Zuckerbrot und Peitsche könnte aber nicht nur zur Durchsetzung der EU-Rechtsordnung eingesetzt werden. Oettinger denkt auch - nicht zuletzt auf Drängen von Kanzlerin Merkel - darüber nach, es für die Finanz- und Wirtschaftspolitik zu nutzen. Nur wer die Kommissionsempfehlungen im Rahmen des "Europäischen Semesters" umsetzt, soll künftig noch Finanzspritzen aus Brüssel erhalten.
Oettinger illustrierte das am Beispiel der Breitbandnetze: Es könne ja wohl nicht sein, dass EU-Länder Geld für die Infrastruktur erhalten, wenn sie veraltete Netze haben. Ein zweischneidiges Argument, denn es ließe sich auch gegen Deutschland wenden. Vor allem ließe sich das Prinzip aber auf jene Staaten anwenden, die sich den neoliberalen "Strukturreformen" verweigern und nicht so radikal den Arbeitsmarkt "liberalisieren", wie dies die EU-Kommission immer wieder fordert.
Vor der großen Schlacht
Merkel hatte das Grundprinzip schon vor Jahren formuliert: Geld gegen Reformen! Damals, auf dem Höhepunkt der Eurokrise, wollte sie es noch mit nationalen "Reformverträgen" durchsetzen. Doch das scheiterte am Widerstand vieler EU-Staaten. Nun kommt dieselbe Idee in Gestalt budgetpolitischer "Konditionalität" wieder zum Vorschein - ob sich Oettinger vorher mit Merkel abgestimmt hat?
Wir wissen es nicht. Klar ist nur, dass Oettingers Vorschläge deutschen "ordnungspolitischen" Vorstellungen viel näher stehen als französischen oder polnischen Wünschen. Die entscheidende Frage wird nun sein, ob der CDU-Mann dafür auch Mehrheiten im EU-Ministerrat organisieren kann. Das neue Rahmenbudget kann nämlich nur einstimmig beschlossen werden. Polen oder Ungarn könnten den Entwurf also zu Fall bringen, Frankreich auch.
Mit einem ersten Stimmungsbild wird bei einem Sondergipfel Ende Februar gerechnet. Österreich hat sich bereits gegen eine Aufstockung des EU-Budgets ausgesprochen, ausgerechnet Ungarn fordert hingegen eine massive Ausweitung. Die meisten Länder wollen aber abwarten, bis Zahlen auf dem Tisch liegen. Doch danach, da sind sich alle in Brüssel einig, beginnt die große Budget-Schlacht. Sie könnte blutig werden.