EU: Die Fassade der Einheit bröckelt
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Beim EU-Gipfel in Brüssel platzen die alten Wunden der Euro- und Flüchtlingskrisen wieder auf. Nur die neue "Verteidigungsunion" sorgt für schöne Bilder
Die Verantwortlichen der EU sind es gewohnt, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Wenn sie sich zum Gipfel in Brüssel treffen, beschwören sie Einheit und Solidarität. Kaum zurück zuhause, stellen sie ihre eigenen Erfolge heraus und brüsten sich damit, beim Brüsseler Pflichttermin das Schlimmste verhindert zu haben.
Doch nun hat ausgerechnet Gipfelchef Donald Tusk diese Inszenierung gestört. Vor dem letzten Europäischen Rat des Jahres übte der Pole unverhohlen Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik. Die in der Flüchtlingskrise 2015 eingeführten EU-Quoten zur Umverteilung von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien seien "spalterisch" und "ineffizient", schrieb er in einem Arbeitspapier.
Als Tusk deswegen unter Beschuss geriet, legte er noch einen drauf. Der erst Anfang des Jahres in seinem Amt bestätigte Ratspräsident warnte mit Blick auf die Migration und die Währungsunion vor einer doppelten Spaltung: "Wenn es um die Währungsunion geht, verläuft die Spaltung zwischen Norden und Süden", sagte der rechtsliberale Pole. "Wenn es um Migration geht, verläuft sie zwischen Ost und West."
Wie zur Bestätigung gratulierten Polen und Tschechien dem Gipfelchef zu diesen ungewöhnlich offenen Worten. Er freue sich, dass der polnische Ansatz in der Flüchtlingspolitik "immer mehr" verstanden werde, sagte der neue Warschauer Regierungschef Mateusz Morawiecki. Die Quoten seien "sinnlos", sekundierte Tschechiens ebenfalls neuer Ministerpräsident Andrei Babis.
Streit um Solidarität
Energischer Widerspruch kam von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Eine "selektive Solidarität" könne es nicht geben, sagte sie. Und dann ging sie Tusk direkt an: "Die Beratungsgrundlagen, die wir von unserem Ratspräsidenten bekommen haben, reichen heute noch nicht aus." Die EU benötige nicht nur Solidarität an den Außengrenzen, sondern auch im Inneren, betonte die Kanzlerin.
Die große Frage ist jedoch, wie diese Solidarität organisiert werden kann. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass Quoten künftig nur noch dann gelten sollen, wenn die Zahl der Neuankömmlinge in einem Land bestimmte Höchstgrenzen überschreitet. Doch selbst das wollen die Visegrad-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) nicht mitmachen.
Nach einem Treffen mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker gelobten sie stattdessen Hilfe an ganz anderer Stelle: Sie wollen über 30 Millionen Euro zum Schutz der Außengrenzen im Transitland Libyen bereitstellen. Denn hier funktioniere die EU-Migrationspolitik, behauptete Ungarns Regierungschef Viktor Orban: "Deshalb wollen wir in diesem Element der Migrationspolitik unsere Zusammenarbeit verstärken."
Doch das dürfte nicht reichen, um den Streit beizulegen. Juncker würdigte die Geste zwar vollmundig als "Nachweis, dass die Visegrad-Vier voll dabei sind, wenn es um Solidarität mit Italien und anderen geht". Merkel und Österreichs Kanzler Christian Kern machten aber klar, dass dieses Engagement aus Sicht von Aufnahmeländern wie Deutschland und Österreich nicht reicht.
"Man kann sich mit 36 Millionen Euro nicht aus einem europäischen Beschluss freikaufen", sagte Kern. Allerdings war der von Kern zitierte, 2015 gefasste EU-Beschluss zur Einführung der Quoten zunächst auf zwei Jahre befristet; im September ist er ausgelaufen. Und der Streit kreist nun just um die Frage, ob die Einführung neuer, dauerhafter Quoten Sinn macht - oder ob man andere, flexiblere Formen der Solidarität findet.
Eine Lösung dieses tiefgreifenden Konflikts zeichnet sich nicht ab, das Thema wurde vertagt.