EU-Flüchtlingspolitik: Kurz für das australische Insel-Modell
Der österreichische Außenminister plädiert für einen Mix aus Abschreckung und Resettlement-Programmen
Die Tragödien häufen sich, 117 Leichen an der libyschen Küste, Hundert Vermisste bei einem Bootsunglück vor Kreta. Zu den "bangen Fragen" (Die Zeit) der Katastrophen gehört, wie eine europäische Flüchtlingspolitik aussehen soll, die Fahrten mit lebensgefährlichen Risiken verhindert.
Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz plädiert für einen Mix aus Abschreckung und Resettlement-Programmen. Flüchtlinge, die nicht über ein solches Programm nach Europa kommen, sollen konsequent zurückgeschickt werden. Das, so argumentiert Kurz, würde sie davon abhalten, das Risiko einer gefahrvollen Flucht sich zu nehmen.
Er verweist auf das australische Modell als Erfolgsbeispiel. Mit einer Grenzschutzoperation, wie sie australische Marine durchführe, sei das Geschäftsmodell der Schlepper zu durchkreuzen.
Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken. Zweitens müssen wir sicherstellen, dass die Rettung aus Seenot nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden ist.
Dazu nennt Kurz weitere Grundprinzipien, die seiner Auffassung nach auch für Europa anwendbar seien.
Drittens müssen wir bedeutend mehr Hilfe vor Ort leisten und gleichzeitig die freiwillige Aufnahme der Ärmsten der Armen durch Resettlement-Programme forcieren. So können wir die Einwanderung auf ein bewältigbares Maß begrenzen und diese Menschen auch integrieren.
Einen wesentlichen Punkt im Vorschlag des österreichischen Außenministers nimmt das "Inselmodell" ein. Die Flüchtlinge sollen gar nicht erst bis Europa kommen, über ihren Asylantrag soll außerhalb entschieden werden, Kurz denkt dabei an Ellis Island vor New York oder an Australiens Lösung mit Flüchtlingslagern, die wie Internierungslager funktionieren.
Welche Insel er dabei konkret im Sinn hat, lässt Kurz offen. Feststeht für ihn lediglich, dass Seegrenzen, anders als immer wieder vorgebracht wird, gute Möglichkeiten bieten, Zuwanderung zu steuern, wie eben die USA und Australien vorgemacht hätten.
Auf die Probleme, die sich seiner Modellvorstellung widersetzen, geht Kurz nur spärlich ein. So ist der umstrittene australische Grenzschutz mit dem Namen Operation Sovereign Borders in ein ausgearbeitetes Konzept eines Einwanderungslandes eingebunden (siehe Aussie rules), wozu nach derzeitigem Stand die EU nicht bereit ist. Australien gehört zu den ausgeprägtesten "multikulturellen Ländern", schreibt die Financial Times mit dazu passenden Lobeshymnen .
In einigen EU-Ländern, wozu auch Österreich gerechnet werden kann, gibt es gegen diesen Aspekt des "australischen Modells" erwartbar großen Widerstand. Kurz hält der Abneigung osteuropäischer Länder gegen eine Kontingentlösung, die Überzeugung entgegen, dass es nur ein geordnetes System brauche.
Wenn es uns gelingt, unsere Grenzen zu sichern und nur noch mittels Resettlement-Programmen Flüchtlinge direkt nach Europa zu holen, dann orte ich bei so gut wie allen EU-Mitgliedern, auch in Osteuropa, Bereitschaft, Menschen aufzunehmen. Es braucht nur ein geordnetes System.
Ob sich die Widerstände gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, die häufig mit kernnationalen Argumenten und Stimmungen einhergehen, tatsächlich nur mit dem Management und "handhabbaren Zahlen" zu tun haben, wie Kurz meint, ist unklar.
Die Flüchtlings-Abwehrseite in Kurzs Vorschlag wird wahrscheinlich mehr Anhänger finden. Vor Augen zu halten ist bei diesem Punkt, dass die Behandlung der Flüchtlinge, die die australische Küstenwache in die Lager auf die Inseln schickt, nicht menschenwürdig ist. Dies stellen nicht nur die Menschenrechtsorganisationen fest - seit vielen Jahren -, sondern auch oberste Gerichte, wie zum Beispiel der Supreme Court in Papua Neuginea Ende April dieses Jahres.
Australiens Abschottungs-Programm ist menschlich mit großen Härten erkauft, zudem sehr teuer, berichtete die FAZ im Oktober letzten Jahres.
Auch beim anderen Angelpunkt des Kurzschen Abschreckungs-Mechanismus, der konsequenten Rückführung von Flüchtlingen, zeigen sich Widerstände, die in seinem Interview nicht erwähnt werden. So machte der Ministerpräsident der von der UN unterstützten libyschen Einheitsregierung, Sarradsch, deutlich, dass sein Land "nicht akzeptieren werde, dass die EU Migranten zurückschicke".