EU-Gipfel: Wieder nur Zeit gekauft
Der Handelskrieg mit den USA ist abgewendet - vorläufig. Doch es sind zu viele Fragen offen. Und dann sind da noch die Konflikte mit Russland und der Türkei
Einen "Aufbruch für Europa" hat Kanzlerin Angela Merkel im Koalitionsvertrag versprochen. Zusammen mit Frankreich will sie die Europäische Union reformieren. Doch als sie am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel eintraf, war davon nichts zu spüren. Statt Aufbruch droht Abbruch - in den Beziehungen zu den USA, aber auch mit Russland und der Türkei.
Das Treffen begann zwar mit einer guten Nachricht: Die USA nehmen die EU von den neuen Strafzöllen auf Stahl und Aluminium aus - vorerst. Stattdessen will US-Präsident Donald Trump nun mit den Europäern über den Abbau von Handelsbarrieren sprechen, der transatlantische Handelskrieg ist fürs erste abgewendet.
Doch Merkel und die anderen 27 EU-Chefs konnten sich nicht recht über die News aus Washington freuen. Denn bisher sind die Zölle auf europäische Produkte nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Welchen Preis Trump für sein Last-Minute-Entgegenkommen verlangen wird, blieb zunächst unklar. Der Gipfel verschob eine Stellungnahme "im Detail" auf Freitag, denn noch sind viele Fragen offen.
Geht es bei den nun geplanten Verhandlungen mit den USA nur um Zölle auf Stahl und Aluminium, oder auch um (vorwiegend deutsche) Autos, wie der US-Präsident immer wieder angedroht hatte? Will Washington bloß über den Handel sprechen, oder auch über die Verteidigung - wie EU-Gipfelchef Donald Trump andeutete? Dies könnte höhere Rüstungsausgaben bedeuten, vor allem für Deutschland.
Zudem stellt sich die Frage, ob nun ein Handelskrieg zwischen den USA und China ausbricht, der auch die EU in Mitleidenschaft ziehen dürfte. Denn Trump zielt mit seinen Sanktionen voll auf China: Die Schritte hätten ein Volumen von 60 Milliarden Dollar, sagte er. Die Regierung in Peking kündigte Vergeltung an, eine Eskalation droht.
Sie könnte auch auf Europa zurückschlagen. Denn Trump begründet seinen Sanktions-Hammer ausdrücklich mit dem chinesischen Exportüberschuss. Einen solchen Überschuss verzeichnen aber auch die Europäer im Handel mit den USA. Deutschland ist dabei der größte Sünder; Trump könnte sich schon morgen daran erinnern und neue Breitseiten abfeuern - per Tweet oder per Dekret.
Deshalb gab es beim Treffen in Brüssel noch keine Entwarnung. Auch von einer Einigung auf den weiteren Kurs war man zunächst weit entfernt. Während Merkel mit Trump über Handelserleichterungen reden möchte, warnte Frankreichs Sttatschef Emmanuel Macron davor, dem US-Präsidenten zu weit entgegen zu kommen. Eine Neuauflage von TTIP (dem gescheiterten transatlantischen Freihandelsabkommen) dürfe es nicht geben, hieß es in französischen Regierungskreisen.
Merkel spielte in Brüssel nicht die Vermittlerin, sie stand auf der Bremse
Beim nächsten Thema - Russland - übten Merkel und Macron dann zwar wieder den Schulterschluss. Beide stellten sich demonstrativ hinter die britische Premierministerin Theresa May, die zwar keine neuen Belege zum Fall des vergifteten Russen Sergej Skripal vorlegte, dafür aber umso lauter vor einer russischen "Bedrohung für Europa" warnte. Merkel legte noch eins drauf und forderte eine "eine starke gemeinsame Botschaft" an Moskau.
Doch bei dem Thema, bei dem Merkel und Macron eigentlich punkten wollten - bei der Reform der Euro-Währungsunion - tut sich gar nichts. Im Dezember hatten die Kanzlerin und der Präsident noch versprochen, bei diesem Gipfel endlich gemeinsame Vorschläge vorzulegen. Doch vor einer Woche hat die Kanzlerin alles abgesagt. Wegen der langwierigen deutschen Regierungsbildung brauche man mehr Zeit, so die fadenscheinige Begründung.
Kurz vor dem EU-Gipfel kam dann die wahre Ursache heraus: Merkel hält nicht nur Macron hin, sie sympathisiert auch mit dem niederländischen Premier Mark Rutte, der offen gegen Macrons Pläne für einen Euro-Finanzminister und ein eigenes Euro-Budget eintritt. Der ehemalige Kanzleramtschef Peter Altmaier nahm sogar zweimal an Treffen teil, die Rutte mit sieben nordeuropäischen Staaten organisiert, um eine Vertiefung der Währungsunion zu verhindern.
"Es gibt kein deutsch-französisches Monopol", hieß es dazu in deutschen Regierungskreisen, Deutschland wolle "unterschiedliche Sichtweisen zusammenbringen". In der Praxis läuft es aber eher auf eine Blockade hinaus. Denn Merkel spielte in Brüssel nicht die Vermittlerin, sondern sie stand auf der Bremse. Sie drückte die Reform der Währungsunion, die ursprünglich sogar auf der "Leader’s Agenda" stand, einfach weg.
Am Freitag wird es zwar noch ein Treffen der Euroländer geben, immerhin das hat Macron durchgesetzt. Doch dabei wird nicht etwa über die nächsten konkreten Reformschritte gesprochen, sondern über vage Perspektiven für die Eurozone für die nächsten Jahre. Beschlüsse sind nicht geplant; sie sollen - wenn überhaupt - erst im Juni fallen. Der "Aufbruch für Europa" muss warten, Merkel hält Macron weiter hin.
Doch einer breiteren Öffentlichkeit dürfte dies kaum auffallen. Dafür sorgt nicht nur Trump, der die EU auch in den nächsten Wochen in Atem halten dürfte. Dafür sorgt auch der türkische Präsident Recep Erdogan. Mit einer Seeblockade vor Zypern und dem Einmarsch in Afrin sorgte Erdogan beim EU-Gipfel in Brüssel für massiven Unmut.
Die EU-Chefs wollten "die fortgesetzten illegalen Handlungen" im östlichen Mittelmeer und die Inhaftierung europäischer Journalisten kritisieren. Doch vor praktischen Konsequenzen schrecken sie zurück. So will die EU an einem Spitzentreffen mit Erdogan am kommenden Montag im bulgarischen Warna festhalten. Auch Merkels Flüchtlingsdeal soll weitergehen; Erdogan darf sogar erneut mit drei Milliarden Euro "Entschädigung" rechnen.
Die EU kauft sich Zeit, wie so oft. Echte Fortschritte macht sie nicht.