EU/Iran: Doch noch ein "Trumpf im Ärmel"?

Putin und Xi Jinping. Foto (Juni 2018): Kremlin.ru/ CC BY 4.0

Chancen für eine erfolgreiche Diplomatie gibt es nach Einschätzung des Leiters der Münchner Sicherheitskonferenz nur in Zusammenarbeit mit Russland und China

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EU-Vertreter seien alarmiert oder besorgt, wurde am Wochenende auf den Nachrichtenkanälen verbreitet, nachdem Iran angekündigt hatte, sich bei der Urananreicherung nicht mehr an die im JCPOA vereinbarten 3,67 Prozent zu halten (Iran will Urananreicherungsgrenze "nach Bedarf erhöhen"). Iran werde mit Ablauf der nächsten 60 Tage einen weiteren Schritt unternehmen, der eine Verpflichtung aus der Vereinbarung "aussetzt", kündigte dazu der stellvertretende Außenminister Abbas Araghchi an.

"Aussetzen" ist freilich nicht die Formulierung, mit der die Nachrichtenagentur Irna den früheren iranischen Chefunterhändler bei den Verhandlungen über die Nuklearvereinbarung widergibt. Dort ist in englischer Sprache davon die Rede, dass Iran nach Ablauf der letzten sechzig Tage nun den ersten Schritt gemacht habe, die JCPOA-Verpflichtungen "zu reduzieren".

"Aussetzen" ist eine sinngemäße Wiedergabe. Irans Außenminister Sarif (oft: Zarif) bezeichnete den Schritt nämlich als "reversibel". Seine Bedingung: Die drei europäischen Staaten, Frankreich, Großbritannien und Deutschland müssen ihrerseits zu ihren Verpflichtungen stehen.

Die iranischen Vertreter berufen sich bei ihrem Vorgehen auf Artikel 36 des JCPOA, der einen Mechanismus zur Konfliktlösung bei Nichteinhaltung gegenseitiger Verpflichtungen zum Gegenstand hat - und den Stopp der Einhaltung von Verpflichtungen als Reaktion auf signifikantes Nichteinhalten der anderen Seite erwähnt.

Teheran: Kein Bruch mit Atomvereinbarung

Wahrscheinlich gibt es andere Lesarten und Juristen dürften, je nach politischer Perspektive, unterschiedlicher Meinung dazu sein, ob das so zutrifft, wie es Iran vorbringt. Auch ist bislang keine "Gemeinsame Kommission für Konfliktlösung" (Joint Commission for resolution), die in Artikel 36 gleich zu Anfang erwähnt wird, bisher in Erscheinung getreten. Realistisch sieht es so aus: Seit US-Präsident Trump die Vereinbarung einseitig aufgekündigt hat, liegt die Lösung nicht mehr bei der Auslegung des JCPOA, sondern in der Politik.

Für die politischen Interessen Irans ist es aber wichtig zu betonen, dass man sich anders, als es der Regierung in Teheran in vielen Medienberichten vorgehalten wird, auf die Vereinbarung bezieht und nicht gegen sie verstoßen hat. Sie bleibt der Handlungsrahmen. Man stützt sich weiter darauf und proklamiert keinen Bruch. Den hat Trump begangen und die Europäer haben sich laut dagegengestellt und auf Einhaltung gepocht. So adressiert sich Iran besonders an die Europäer.

"Der Iran wird seinen Verpflichtungen gemäß dem Atomabkommen in genau derselben Weise nachkommen, wie die EU das tut. (…) Das ist nur fair, oder?", so zitiert die Welt am heutigen Montag in ihrer Printausgabe den iranischen Außenminister Mohammed Sarif.

Auf dünne Bretter bauen

Tatsächlich stecken die Europäer in der Klemme. Sie waren da von Anfang an. Der US-Markt ist sehr viel wichtiger als der iranische Markt, die großen Konzerne zogen sich nach Trumps Ausstieg bald aus Iran zurück, auch waren die Äußerungen von Merkel und Macron ambivalent. Sie äußerten sehr bald nach Trumps Schritt, der nicht aus heiterem Himmel kam, die Ansicht, dass auch sie für Neuverhandlungen mit Iran sind, weil das Abkommen "nicht optimal" sei, und sie damit im Grunde am selben Strang ziehen wie die USA und Israel.

Aber Großbritannien, Deutschland und Frankreich hielten im Sinne einer gutgemeinten, doch wenig kunstreichen Entspannungsdiplomatie öffentlich an der Bekundung fest, dass der JCPOA weiter gelte und man einen anderen Kurs als den des US-Präsidenten gehen wolle.

Diesen Ankündigungen fühlt Iran, dessen kriselnde Wirtschaft die aggressiven Sanktionen deutlich zusetzen, nun auf den Zahn. Die Hoffnung in Iran wäre, so Beobachter, dass man mit Europas Hilfe die Zeit bis 2020 durchsteht und dann in den USA ein anderer Präsident gewählt wird, mit dem man neu und besser verhandeln könnte. Europa könnte den Effekt der Sanktionen abmildern, meint Gil Yaron in der Welt.

Der belgische Journalist Elijah J. Magnier sieht das nicht so. Europa habe Iran außer verbaler Unterstützung nichts anzubieten, weil es gegenüber den US-Sanktionen machtlos ist. Die Umgehung der US-Sanktionen über den Zahlungsmechanismus Instex wird Erwartungen nicht erfüllen, wird in interessierten Wirtschaftskreisen beklagt: Der "legitime Handel" durch Instex bezieht sich nach derzeitigem Stand auf Lebens- und Arzneimittel, die sich Iran laut Magnier ohne Hindernisse aus der Türkei oder anderen nicht europäischen Ländern beschaffen kann.

Was fehlt, so der Autor Bijan Khajehpour1, wären Investitionen und Kapital.

Dass Europa hier nur bedingt bereit ist, sich wirtschaftlich stärker zu engagieren, wird vonseiten derjenigen, die Iran mit anderen Augen sehen als die gegenwärtige US-Regierung und die Regierung Netanjahu, als folgenreich dargestellt: Damit würde sich Iran anderen zuwenden. Das Potenzial, das der Handel zwischen Iran und der EU bietet, bleibe auf der Strecke, Europa verpasse Chancen. Auch das gehört auf seine Art zu den Drohkulissen, mit der die Iran-Politik umstellt ist.

Aus dem Elysée-Palast in Paris wird nun verlautet, dass Macron am Wochenende mehr als eine Stunde lang mit dem iranischen Präsidenten Rohani telefoniert und ausgemacht habe, bis zum 15. Juli die "Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen allen Parteien auszukundschaften". Dass nebulös bleibt, ob mit "allen Parteien" wirklich alle, also auch die USA, gemeint sind, gehört zu den dünnen Brettern, auf denen derzeit die Iran-Politik steht.

Diplomatischer Manövrierraum, der noch nicht ausgeschöpft ist

Dennoch sehen manche, wie Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, dass sich "einen diplomatischen Manövrierraum, der noch nicht völlig ausgeschöpft ist", gibt, der an das Telefongespräch zwischen Rohani und Macron anknüpfen kann.

Die Europäer sollten sich dabei enger mit Russland und China zusammentun. Das, so Ischinger wäre der "Trumpf im Ärmel", den es für die JCPOA-Unterzeichnerstaaten noch gibt: "Xi Jinping, Putin, Macron, Merkel und May könnten die Verhandlungen zur gemeinsamen Chefsache erklären. Diese Möglichkeit bleibt nun noch."

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