EU-Migrationspolitik: Die diskrete Härte Frankreichs
Salvini, Kickl und Seehofer feiern in Innsbruck einen Paradigmenwechsel; in Paris setzt man längst auf nationale Maßnahmen
So viel ist sicher: Die Show haben gerade die anderen, im Moment ist es die "Paradigmenwechsel"-Allianz Italien, Österreich und Deutschland, namentlich Salvini, Kickl und Seehofer, die sich heute Morgen in Innsbruck als "die Tätigen" in der Medienaufmerksamkeit sonnten. Fragmente, "des perfekt durchinszenierten Gipfeltreffens der europäischen Innenminister", wie sie im Artikel des österreichischen Standard zu finden sind:
Es ist an der Zeit, dass aus der "Kooperation der Willigen eine Kooperation der Tätigen" wird. Herbert Kickl (FPÖ), österreichischer Innenminister
"Ich bin froh über den Paradigmenwechsel", sagte Kickl hinsichtlich der deutsch-österreichisch-italienischen Einigkeit. Es gehe um nicht weniger als die "Schicksalsfrage der EU".
"Das italienische Modell wird zum europäischen Modell werden." Matteo Salvini, (Lega), italienischer Innenminister"Wenn Dinge oben am Berg gelöst werden, dann funktionieren sie auch unten im Tal", sagte Salvini und zeigte auf die beeindruckende Innsbrucker Bergkulisse.
"Es muss in der Migrationspolitik wieder Ordnung und Humanität in der Frage hergestellt werden." Horst Seehofer (CSU), deutscher Innenminister"Je weniger auf der europäischen Ebene gelingt, umso wichtiger werden nationale Maßnahmen."
Der Standard
Alle drei wollen mit klaren Ansagen ankommen; deutlich ist die Absicht, Gemeinsamkeit in grundsätzlichen Haltung und Anschauungen zu dokumentieren: "Grenzen zu", "Kampf dem Schleusergeschäft", "Ordnung", "Abweisen".
Bei letzterem gibt es ein paar konkrete bilaterale Schwierigkeiten, so zum Beispiel zwischen Deutschland und Italien bei der Frage der Rückführung von Migranten nach Italien. Das seien "nicht einfache Gespräche", wird Seehofer zitiert. Italien hätte es seinerseits gerne, wenn ihm Migranten abgenommen werden.
Wahlverwandte ohne gemeinschaftliche Konzepte
Der Vorschlag des österreichischen Innenministers Kickl, gar keine Asylanträge auf EU-Boden mehr zuzulassen, zeigt eine gewisse Weltabgewandtheit, die in Fragen der Migration sonst linken (Willkommenskultur-)Positionen zugeschrieben werden.
Dieser Vorschlag ist gleich aus mehreren, nicht gerade leichtwiegenden Gründen, rechtlichen wie politischen, nicht praktikabel, aber fette Kost für Radikale. Der Eindruck entsteht, dass es zwar eine Grundverwandtschaft in den Positionen der "Allianz der Tüchtigen" gibt - wenn auch Seehofers Betonung der "Humanität" ein Zeichen für gewisse Grenzziehungen gegenüber den Positionen weiter rechts setzen will - , aber überzeugende gemeinschaftliche Konzepte für politisch durchsetzbare konkrete Maßnahmen fehlen.
Aus Seehofers Äußerungen ist auch deutlich herauszuhören, dass "nationale Lösungen" gerade als der Weisheit letzte Schluss gelten. Aber wie weit trägt das?
Migranten-Zentren: "EU muss den ersten Schritt machen"
Die Entgegnung des EU-Kommissars für Migration, Dimitris Avramopoulos, auf Kickl trifft den empfindlichen Punkt ziemlich genau: "Die Frage wird sein, welche Staaten das auf ihrem Territorium zulassen."
Es gibt im Augenblich keine afrikanischen Staaten, die Zentren für die Auswahl von Migranten, die in die EU dürfen, weil sie dort Recht auf Asyl bekommen oder in das Anforderungsprofil der Arbeitsmärkte passen, auf ihrem Boden haben wollen.
Weil dort die Emigration anders verstanden wird und weil die Staaten keine Zentren haben wollen, die politische Unruheherde sein könnten. Auch europäische Armeen, die solche "Hotspots" absichern sollen, sind in Ländern mit kolonialer Vergangenheit nicht unbedingt gerne gesehen.
Laut Informationen von Le Monde, die sich auf Quellen im UNHCR beruft, warten die afrikanischen Staaten darauf, dass die EU in einem ersten Schritt auf europäischen Boden die "kontrollierten Einrichtungen" schafft, die beim Treffen des Europäischen Rats Ende Juni vereinbart wurden:
Die EU-Staats- und Regierungschefs vereinbarten, dass gerettete Personen im Gebiet der EU auf der Grundlage gemeinsamer Anstrengungen im Wege der Beförderung zu kontrollierten Einrichtungen übernommen werden sollten. Diese von den Mitgliedstaaten auf rein freiwilliger Basis zu schaffenden Einrichtungen sollten eine rasche und gesicherte Abfertigung ermöglichen, bei der zwischen irregulären Migranten, die rückgeführt werden, und Personen, die internationalen Schutz benötigen und für die der Grundsatz der Solidarität gelten würde, unterschieden werden kann.
Europäischer Rat, 28./29. Juni 2018, Wichtigste Ergebnisse
Erst wenn diese kontrollierten Zentren" (französisch: "centres contrôlés") effektiv existieren, würden die afrikanischen Staaten daran denken, "ihren Anteil" bei der Kontrolle der Migranten zu übernehmen, die von der nordafrikanischen Küste aus nach Europa ablegen wollen. Die sogenannten "regionalen Ausschiffungsplattformen", gedacht für "auf See gerettete Menschen", würden erst in der Folge der Schaffung der "kontrollierten Zentren" auf europäischen Boden realisiert.
Frankreich lehnt ab
Wie der Le-Monde-Artikel darlegt, gibt es bei der Schaffung dieser "kontrollierten Zentren" einige Schwierigkeiten. Etwa dass sich die französische Regierung weigert, solche Zentren auf ihrem Staatsgebiet zu errichten. Sämtliche Bemühungen in Paris sind darauf ausgerichtet, dass diese Zentren im Dublin-EU-Außengrenzenstaat Italien aufgestellt werden, wogegen Rom sich wehrt.
Laut den Quellen der Traditionszeitung, die über gute Verbindungen in die Regierung verfügt, entsprechen die kontrollierten Zentren, die nach Auffassung in Paris am besten geschlossen (fermés) sein sollten, der Vorstellung eines "systematischeren Mechanismus". "Bis Rom akzeptiert", hält man es die französische Regierung mit adhoc-Lösungen, wie etwa im Fall der Aquarius.
Von Macron laut kritisiert wurde da die inhumane Haltung Italiens, das seiner Pflicht nicht nachgekommen sei, die aus Seenot Geretteten aufzunehmen, zugleich wird erklärt, dass französische Häfen nicht zur Anlandung geöffnet werden, aber man bietet anderen - bei der Aquarius war es Spanien, bei der Lifeline Malta - dann Hilfe bei der Verteilung der Migranten an, selbstverständlich mit Überprüfungen der Migranten und entsprechenden Einschränkungen.
Zurückweisungen sind kein Problem
Staatspräsident Macron hebt in seinen Verlautbarungen stets die unbedingte Unterstützung des Rechts auf Asyl hervor - was immerhin rhetorisch einen anderen Akzent setzt als die Pauschalabschottung des österreichischen Innenministers Kickl, die Ressentiments gegen Afrikaner einkalkuliert und bedient -, dagegen zeigt er große Härte, wenn es um Migranten geht, deren Status unklar ist.
Woraus Seehofer in Deutschland einen Streit zimmerte, der laut Schäuble die Regierung in eine ernsthafte Krise brachte, die Zurückweisung von Migranten an der Grenzen, ist in Frankreich seit langem Praxis und wird nicht wirklich ernsthaft angefochten: Frankreich 2017: 85.000 Migranten an den Grenzen zurückgeschickt.
Man hält an Dublin fest, so die lakonische Begründung. Italien hat sich immer wieder dagegen empört, geändert hat das nichts. Die Kritik an der französischen Migrationspolitik hält sich sehr in Grenzen, in den größeren französischen Medien, wie auch unter Kurs-Kritikern in der Regierungspartei.
Aufsehen erregte kürzlich, dass der Verfassungsrat entschied, dass Hilfe für Migranten, die ohne Gegenleistung geschieht, nicht kriminalisiert werden dürfe, weil Brüderlichkeit in Frankreich ein Verfassungsprinzip ist. Es forderte die Regierung auf, entsprechend den Wortlauf in Gesetzen zur "illegalen Einreise, den illegalen Transport oder den illegalen Aufenthalt einer ausländischen Person" zu ändern.
Wie sich das in der Debatte über Migration niederschlagen wird, ist noch unklar. Sie wird allerdings dort nicht so heftig geführt wie in Deutschland, auch 2015 und 2016 kamen dort bei weitem nicht so viele Migranten ins Land wie hier. Und die augenblicklich niedrigen Zahlen der Migranten, die über das Mittelmeer kommen oder an den Grenzen zurückgewiesen werden, werden anscheinend im "französischen Realismus" anders wahrgenommen als von der "deutschen Angst".