EU-Parlament stimmt über Ende der Zeitumstellung ab
Initiativen fordern Bürger dazu auf, ihre Abgeordneten anzuschreiben, damit sie für die Resolution einer interfraktionellen Arbeitsgruppe stimmen
Am Donnerstag um 12 Uhr Mittag wird im EU-Parlament in Straßburg über zwei Anträge zur Zeitumstellung abgestimmt: Einer davon fordert die EU-Kommission dazu auf, umgehend einen Vorschlag zum Stopp der zwei Mal jährlich durchgeführten Maßnahme vorzulegen, der andere will vorher weitere Untersuchungen in Auftrag geben.
Dass das Europaparlament dieses Mal nicht nur über die Zeitumstellung berät (wie bereits mehrere Male vorher), sondern darüber abstimmt, ist dem Tschechen Pavel Svoboda von der christdemokratischen KDU-ČSL zu verdanken: Er sammelte über 70 (in dieser Frage) Gleichgesinnte aus verschiedenen politischen Lagern um sich, die eine eigentlich nicht vorgesehene überfraktionelle Arbeitsgruppe bildeten.
Parlamentarischer Graben zwischen Nord- und Südeuropa?
Dass sie zusammenfanden, lag auch am Druck, den Initiativen gegen die Zeitumstellung ausübten. Sie fordern Bürger, die gegen die Zeitumstellung sind, dazu auf, kurz vor der Abstimmung Abgeordnete aus ihren jeweiligen Ländern anzuschreiben, um ihnen mitzuteilen, wie sehr sie die Zeitumstellung belastet, und sie damit zu konfrontieren, dass beispielsweise in Deutschland inzwischen 74 Prozent der Bevölkerung gegen die zwei Mal Jährlich verordnete Prozendur sind (vgl. Umfrage: Mehrheit gegen Zeitumstellung wächst).
Von den 96 deutschen Europaabgeordneten haben sich bislang unter anderem Arne Gericke von den Freien Wählern, Angelika Niebler von der CSU und Dieter-Lebrecht Koch von der CDU für einen Ausstieg aus der Umstellung erklärt; unter den 18 Österreichern gingen der ÖVP-Abgeordnete Heinz Becker und die SPÖ-Mandatarin Karin Kadenbach mit entsprechenden Stellungnahmen an die Öffentlichkeit.
Befürworter einer Beibehaltung der Zeitumstellung scheinen in dieser Frage die Medien derzeit nicht unbedingt zu suchen, was an der Unbeliebtheit der Position in der Bevölkerung liegen könnte (vgl. Zeitumstellung: Mehrheit dagegen, aber keine Aussicht auf Abschaffung und Bundesregierung: Abschaffung der Maßnahme "kein Thema"). Wie viele es davon gibt, und in welchen Fraktionen sie sitzen, wird sich erst am Donnerstag zeigen. Dem schweizerischen Blick nach könnte sich in der Zeitumstellungsfrage ein parlamentarischer Graben zwischen Nord- und Südeuropa auftun: Während die Abschaffung in Ländern wie Finnland, Estland, Irland, Tschechien und der Slowakei wegen der stark spürbaren Unterschiede zwischen den Jahreszeiten viele Befürworter hat, stößt die Reform in den Mittelmeeranrainern auf ein deutlich geringeres Interesse.
Rückkehr zur Winterzeit oder dauerhafte Sommerzeit?
Gelingt den Zeitumstellungsgegnern am Donnerstag ein Erfolg, heißt das nicht, dass die Uhren am 25. März nicht mehr auf Sommerzeit umgestellt werden müssen: Abgestimmt wird nämlich nur über eine Resolution, die die Kommission, die Quasi-Regierung der EU, dazu auffordert einen Vorschlag zum Ausstieg aus der Zeitumstellung vorzulegen.
Die stark gesundheitsbelastende Maßnahme wurde in den 1970er und 1980 Jahren eingeführt, um Energie zu sparen. Zahlreiche Studien kamen inzwischen allerdings zum Ergebnis, dass dieser erwartete Energiespareffekt nicht eintrat (vgl. Sommerzeit auf dem Rückzug): 2005 wurde bekannt, dass Energieeinsparungen bei der Beleuchtung "durch den Mehrverbrauch an Heizenergie durch Vorverlegung der Hauptheizzeit überkompensiert" werden. Dieser Mehrverbrauch entsteht vor allem im Frühling und im Herbst, wenn es kälter ist als im Sommer. Nach dem inzwischen erfolgten Glühlampenverbot in der EU sank der Anteil der für Beleuchtung aufgewendeten Energie, was die Bilanz weiter zu Ungunsten der Zeitumstellung verschlechtert.
In Großbritannien, wo man sich nach dem Brexit nicht mehr um eine Zeitumstellungsabschaffungsgenehmigung aus Brüssel kümmern muss, rechnete Elizabeth Garnsey vom Institute for Manufacturing an der Cambridge University 2007 vor, wie die Zeitumstellung zu einem um fünf Prozent höheren Verbrauch an Elektrizität führt, den CO2-Ausstoß massiv steigert und die britischen Haushalte viel Geld kostet.
Die Wirtschaftswissenschaftler Matthew Kotchen und Laura Grant von der University of California in Santa Barbara, die drei Jahre lang die Zeitumstellung im Bundesstaat Indiana beobachteten, kamen 2008 ebenfalls zum Ergebnis, dass dort der Stromverbrauch nach der Umstellung auf die Sommerzeit ansteigt. Die dadurch entstehenden jährlichen Mehrkosten für den Verbraucher schätzten sie auf etwa 8,6 Millionen US-Dollar und die Umweltschäden auf 1,6 bis 5,3 Millionen.
Auch das Argument, dass Europa die Zeit umstellen müsse, weil auch andere Länder das machen, greift immer weniger: Russland beispielsweise stellte 2011 dauerhaft auf die Normalzeit um (vgl. Russland beerdigt die Zeitumstellung) und die Türkei behält seit 2016 die Sommerzeit bei. Für welches der beiden Modelle sich die EU entscheiden soll, steht am Donnerstag noch nicht zur Debatte, sondern soll von der Kommission vorgeschlagen werden.