EU setzt auf Kriegswirtschaft: Massenproduktion von Rüstungsgütern läuft an

Deutsche Hauptpanzer Leopard 2A7, 3D Illustration

Deutsche Hauptpanzer Leopard 2A7, 3D Illustration: Shutterstock.com

EU-Kommission und Krieg. Gremium setzt militärische Prioritäten. Führung im Wettbewerb der internationalen Rüstungsindustrie angestrebt, (Teil 1).

Anfang März 2024 legte die Europäische Kommission zwei neue Papiere vor, mit denen die Union einen weiteren großen Schritt in Richtung Kriegswirtschaft unternimmt. Dabei formuliert die European Defence Industrial Strategy (EDIS) recht konkrete Ziele, während das European Defence Industry Programme (EDIP) ergänzend die entsprechenden Maßnahmen zur Umsetzung vorschlägt.

Es geht dabei um nicht weniger als die Fähigkeit zur "Massenproduktion" von Rüstungsgütern und den forcierten Aufbau eines europäischen Rüstungskomplexes, um international stärker in Konkurrenz treten und die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können.

Eine gewisse Ironie

Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die ansonsten neoliberal bis ins Mark daherkommende EU-Kommission damit Befugnisse erhalten will, um "Eingriffe in die Grundrechte der Unternehmen" (EDIP: Artikel 61) vornehmen zu können – augenscheinlich stoßen die vielbeschworenen Freiheiten des Marktes bei Aufrüstungsfragen inzwischen an ihre Grenzen.

Parallel dazu betont der zuständige Industriekommissar Thierry Breton, es gehe darum, dass sich die EU schrittweise einer Kriegswirtschaft nähern und bei Bedarf der militärischen Produktion einen Vorrang vor ziviler Produktion einräumen müsse.

Kriegswirtschaft, das bedeutet nichts weiter als alle Bereiche der Produktion und Wirtschaft dem Bedarf des Krieges unterzuordnen. Diese Programme sind also eine vorauseilende Maßnahme, die deutlich machen, wohin die Reise in der EU geht.

EDIS: Fähigkeit zur Massenproduktion

Weil es der EU-Vertrag verbietet, militärische Ausgaben der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus dem EU-Haushalt zu bestreiten, tarnt die EU-Kommission entsprechende Vorhaben mittlerweile als industriepolitische Maßnahmen.

Auf dieser – rechtlich mehr als fragwürdigen – Grundlage wurde 2021 der Europäische Verteidigungsfonds ins Leben gerufen, über den die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern zwischen 2021 und 2027 mit zunächst rund acht Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt unterstützt wird (siehe Explosives Wachstum: Europas Militärausgaben im Aufwärtstrend).

Voriges Jahr kamen dann noch die Programme zur Ankurbelung der europäischen Munitionsproduktion (engl. ASAP) und zur Finanzierung länderübergreifender Rüstungskäufe (engl. EDIRPA) dazu.

"Schönheitsfehler"

Obwohl der EU-Haushalt damit – erneut unter dem Banner der Industriepolitik – auch erstmals für die Finanzierung der Produktion und den Ankauf von Rüstungsgütern aufgehebelt wurde, haben beide Programme noch den "Schönheitsfehler", dass sie sowohl zeitlich (bis 2025) als auch finanziell mit 500 Millionen Euro (ASAP) bzw. 300 Millionen Euro (EDIRPA) limitiert sind.

Der nächste große Wurf

Nun soll mit der am 5. März 2024 veröffentlichten "European Defence Industrial Strategy" also der nächste große Wurf gelingen. Dabei handelt es sich um eine gemeinsame Kommunikation der EU-Kommission und des EU-Außenbeauftragten an das EU-Parlament und den Rat, die einen allgemeinen Rüstungsrahmen absteckt.

Hierfür werden zunächst vermeintliche Defizite identifiziert und anschließend Ziele formuliert, was künftig in Sachen Rüstungspolitik unternommen werden soll.

Von anderen Akteuren bedroht

Dringender Handlungsbedarf in Sachen Aufrüstung sei dabei allein schon aus dem Grund angezeigt, weil sich die Europäische Union von anderen Akteuren direkt bedroht sehe (alles eigene Übersetzungen unter Zuhilfenahme von deepl.com, da eine offizielle deutsche Version bislang auf sich warten lässt):

Die auf Regeln basierende Weltordnung ist in ihrem Kern in Frage gestellt, und die Länder in der Nachbarschaft der Union und darüber hinaus sind zunehmend von Spannungen, Instabilität, hybriden Bedrohungen und bewaffneten Konflikten betroffen.

Strategische Konkurrenten investieren in großem Umfang in militärische Fähigkeiten, Kapazitäten der Verteidigungsindustrie und kritische Technologien, während die Integrität unserer Lieferketten und der ungehinderte Zugang zu Ressourcen nicht mehr als selbstverständlich angesehen werden können.

EDIS, S. 2

Vor diesem Hintergrund seien die massiven Zuwächse der Rüstungsbudgets zwar zu begrüßen, als zentrales Problem wird aber identifiziert, dass die daraus resultierenden Aufträge vor allem ins Ausland gingen: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stammten 78 Prozent aller neuen Rüstungsgüter aus Ländern außerhalb der EU, allein 63 Prozent der Aufträge würden die USA einstreichen (EDIS: S. 3f.).

Als zentrale Ursache hierfür wird – im Übrigen schon seit vielen Jahren – der fragmentierte europäische Rüstungssektor gesehen, der sich auf zahlreiche Einzelstaaten und viele kleine bis mittlere Unternehmen verstreue:

Die anhaltende Zersplitterung der Industrie nach nationalen Gesichtspunkten ist ebenfalls ein Hindernis für eine optimale Effizienz der Verteidigungsinvestitionen. Diese Tendenzen haben dazu geführt, dass der EU-Verteidigungsmarkt im Vergleich deutlich kleiner und auf der Weltbühne weniger präsent ist und die Abhängigkeit von Drittländern zugenommen hat, was die Fähigkeit der EDTIB (rüstungsindustrielle Basis, Einf. d. A.), ihr Gewicht zu behaupten, beeinträchtigt. (…) Da unsere Industrie nur in begrenzten Mengen für kleinere nationale Märkte produziert, leidet sie unter einem Wettbewerbsnachteil gegenüber Akteuren aus Drittländern.

EDIS, S. 5 und 13

Um hier Abhilfe zu schaffen, soll künftig "mehr, besser, gemeinsam und europäisch" (EDIS: S. 2) vorgegangen werden. Weniger gilt hier als mehr: Eine Reduzierung der zahlreichen einzelstaatlichen Aufträge auf wenige länderübergreifende Großvorhaben soll die gewünschten hohen Stückzahlen liefern, um so vor allem mit der US-Konkurrenz auf Augenhöhe um Wettbewerbsanteile ringen zu können.

Konzentrationsprozesse und verstärkte Monopolbildung

Gleichzeitig muss dann aber die Industrie in die Lage versetzt werden, die entsprechenden Auftragsmengen auch bedienen zu können:

Die Verteidigungsbereitschaft erfordert daher mehr Zusammenarbeit und kollektives Handeln. In Zeiten hochintensiver Kriegsführung erfordert dies die Fähigkeit zur Massenproduktion einer großen Anzahl von Verteidigungsgütern. Eine Industrie, die in neue Kapazitäten investiert und bereit ist, bei Bedarf auf ein ‚kriegswirtschaftliches‘ Modell umzustellen, ist von entscheidender Bedeutung.

EDIS, S. 7

Allerdings sei man von dem bereits 2007 ausgegeben Ziel, mindestens 35 Prozent der Rüstungsgüter durch länderübergreifende Programme zu beschaffen, mit derzeit 18 Prozent meilenweit entfernt. Vor allem aber müsse der Anteil innereuropäisch vergebener Rüstungsaufträge von derzeit 22 Prozent massiv ansteigen:

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, stetige Fortschritte zu machen, um bis 2030 mindestens 50 Prozent und bis 2035 60 Prozent ihrer Verteidigungsinvestitionen innerhalb der EU zu tätigen.

EDIS, S. 15

Dies alles soll bewusst zu Konzentrationsprozessen und einer verstärkten Monopolbildung im Rüstungsbereich führen.

Wie eingangs bereits angedeutet, gilt dies als Königsweg, um im Zeitalter der "Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte" (Ursula von der Leyen) den eigenen Interessen unter Rückgriff auf "einheimische" Waffen besser Nachdruck verleihen zu können.

Beschaffung: Rüstung ohne Mehrwertsteuer

Wie ebenfalls bereits angedeutet, dockt das am selben Tag erschienene Industrieprogramm EDIP an diesen allgemeinen EDIS-Rahmen an und legt konkrete Vorschläge vor. In Form einer Verordnung würden diese nach der noch ausstehenden Zustimmung des Parlaments und des Rats mit sofortiger Wirkung geltendes Recht in allen EU-Mitgliedsstaaten werden.

Was die angestrebten europäischen Großprogramme anbelangt, stellt sich augenscheinlich aber das Problem, dass viele Köche den Rüstungsbrei verderben. Das zeigt allein schon ein Blick in die Rüstungsberichte des Verteidigungsministeriums, in denen über Verspätungen und Kostensteigerungen informiert wird.

In ihnen nehmen europäische Kooperationsprogramme regelmäßig Spitzenplätze ein, so weist das Transportflugzeug Airbus A400 eine Verspätung von 195 Monaten und Kostensteigerungen von 1,6 Milliarden Euro aus – nicht viel besser sieht es beim Eurofighter (mit AESA) aus, der zwar "nur" 63 Monate zu spät, dafür aber neun Milliarden Euro teurer als geplant ist.

Neuer Rechtsrahmen

Diese Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen, worin auch das Industrieprogramm ein wesentliches Hindernis für die Anbahnung europäischer Großprogramme sieht. "Kooperative Rüstungsprogramme" seien von "Komplexität, Verzögerungen und Kostenüberschreitungen geplagt", weshalb es eines neuen Ansatzes bedürfe, "einen neuen Rechtsrahmen - die Struktur für das Europäische Rüstungsprogramm (SEAP) (…), um die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zu unterstützen und zu stärken" (EDIP: Artikel 31).

Diese Struktur für das Europäische Rüstungsprogramm (engl. SEAP) soll künftig länderübergreifende Beschaffungsprojekte harmonisieren und vereinfachen, vor allem aber sollen darüber finanzielle Anreize gesetzt werden, sich überhaupt mit mindestens drei anderen EU-Mitgliedern (oder der Ukraine oder assoziierten Staaten) beim Einkauf zusammenzutun:

Innerhalb dieser Struktur für das Europäische Rüstungsprogramm sollten die Mitgliedstaaten von standardisierten Verfahren für die Einleitung und Verwaltung kooperativer Verteidigungsprogramme profitieren.

Eine Zusammenarbeit in diesem Rahmen sollte es den Mitgliedstaaten auch ermöglichen, unter bestimmten Bedingungen in den Genuss eines erhöhten Finanzierungssatzes, vereinfachter und harmonisierter Beschaffungsverfahren und – wenn die Mitgliedstaaten gemeinsam Eigentümer der beschafften Ausrüstung sind – einer Mehrwertsteuerbefreiung zu kommen.

EDIP: Artikel 32

Während sich direkte Bezuschussungen aufgrund des – zunächst einmal – noch relativ kleinen EDIP-Budgets von 1,5 Milliarden Euro noch in finanziell halbwegs überschaubaren Dimensionen abspielen dürften, ist die Option zur Befreiung von der Mehrwertsteuer von großer Tragweite, besonders da sie den gesamten Lebenszyklus eines Rüstungsgutes umfassen soll.

Entwicklungskosten und ein attraktiver Hebel

So wurde in der kürzlich veröffentlichten Greenpeace-Studie Flug ins Ungewisse am Beispiel des Luftkampfsystems FCAS auf Berechnungen hingewiesen, denen zufolge die Erforschung und Entwicklung (sieben Prozent) nur einen vergleichsweise geringen Teil der Gesamtkosten verursachten, während die Beschaffung (28 Prozent) sowie Betrieb und Unterhalt (64 Prozent) deutlich höher zu Buche schlagen würden.

Daraus würden sich bei geschätzten Entwicklungskosten zwischen 50 und 100 Milliarden Euro und unter Berücksichtigung einiger weiterer Faktoren Gesamtkosten ("Lebenszykluskosten") zwischen 1.100 und 2.000 Mrd. Euro ergeben.

Vor diesem Hintergrund könnte sich die Mehrwertsteuerbefreiung als überaus attraktiver Hebel für die Anbahnung europäischer Beschaffungsprogramme erweisen, was wiederum Konzentrationsprozesse und die Herausbildung eines europäischen Rüstungskomplexes forcieren soll.

Während also eine Mehrwertsteuerreduzierung auf Lebensmittel oder elementare Bereiche der Daseinsvorsorge ausgeschlossen werden, möchte man eine indirekte Subvention auf den Erwerb und Betrieb von Rüstungsgütern gewähren, indem die Mehrwertsteuer hier entfallen soll.

In Teil 2 geht es um Pläne der EU-Kommission, im Rüstungssektor die Freiheit des Marktes und die der auf ihm operierenden Unternehmen empfindlich einzuschränken.