Explosives Wachstum: Europas Militärausgaben im Aufwärtstrend

Die finanziellen Prioritäten der EU verschieben sich. Symbolbild: Pixabay Licence

EU-Militärbudgets auf dem Prüfstand: Erfahren Sie mehr über die kontroversen Entscheidungen in der europäischen Rüstungspolitik.

Die Militärausgaben der europäischen Länder eilen derzeit von Rekord zu Rekord. Nach Angaben der Nato kletterten die Budgets der europäischen Nato-Länder von 236 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf 375 Milliarden im Jahr 2023 steil nach oben.

EU-Rüstungsfonds: Neue Wege in der Verteidigungspolitik

Auch über die Europäische Union werden in den letzten Jahren immer relevantere Beträge generiert – EFF, EVF, ASAP, EDIRPA, das sind die wichtigsten Bestandteile der Buchstabensuppe, die für diverse Finanzierungstöpfe steht, die in jüngster Zeit auf die Schiene gesetzt wurden.

Die EU-Kommission und ihre Verteidigungsstrategie

Am 27. Februar will die EU-Kommission mit einer Verteidigungsinvestitionsstrategie einen weiteren Baustein hinzufügen. Ein Element davon könnte ein EU-Rüstungstopf in dreistelliger Milliardenhöhe sein, wie er nun von Industriekommissar Thierry Breton gefordert wurde.

Dass EU-Haushaltsgelder überhaupt für Rüstungszwecke verwendet werden, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Schließlich verbietet Artikel 41 (2) des EU-Vertrages für Maßnahmen der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP) "Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen" aus dem EU-Haushalt zu bestreiten (siehe EU-Ertüchtigungsfonds: Tödliches Gerät außer Kontrolle).

Der Europäische Verteidigungsfonds (EVF): Ein Paradigmenwechsel

Schon seit vielen Jahren wurde dieses Verbot zumindest teilweise unterlaufen, etwa über die Finanzierung militärrelevanter Sicherheitsforschung oder die Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe. Zum endgültigen Tabubruch kam es aber erst mit der Einrichtung des "Europäischen Verteidigungsfonds" (EVF), der einige Zeit im Zentrum der europäischen Rüstungsbemühungen stand.

Dabei handelt es sich um einen für die Jahre 2021 bis 2027 mit rund 8 Mrd. Euro befüllten Topf, mit dem die Erforschung und Entwicklung länderübergreifender Rüstungsprojekte aus dem EU-Haushalt finanziert werden kann.

Rechtliche Herausforderungen und der EVF

Trotz erheblicher rechtlicher Vorbehalte und einer bis heute beim Bundesverfassungsgericht herumliegenden Klage der früheren Linksfraktion wähnt sich die Kommission juristisch auf der sicheren Seite. Sie greift dabei auf den Trick zurück, den EVF (und fast alle später beschlossenen Fonds) als Maßnahme der Industriepolitik zu erklären, wodurch er nicht unter das Verbot von Artikel 41 (2) fiele.

Die Europäische Friedensfazilität (EFF): Ein neuer Ansatz

Ein zweiter Topf, der vor allem in jüngster Zeit immer weiter an Bedeutung gewann, ist die "Europäische Friedensfazilität" (EFF). Sie dient der Finanzierung von EU-Militäreinsätzen und der Aufrüstung befreundeter Akteure, wofür ursprünglich zwischen 2021 und 2027 5,7 Mrd. Euro vorgesehen waren.

Die EFF wurde bewusst als haushaltsexternes Finanzinstrument konzipiert, wodurch sie nicht Teil des EU-Haushalts ist, sondern mit Geldern der Einzelstaaten befüllt wird, weshalb auch sie nach Auffassung der Kommission nicht von Artikel 41(2) des EU-Vertrages betroffen ist.

Die Rolle der EFF seit dem Ukraine-Konflikt

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine entwickelte sich die EFF schnell zum zentralen europäischen Finanzierungsinstrument für Waffenlieferungen an die Ukraine, weshalb immer wieder Gelder nachgeschossen werden mussten, zuletzt wurde der Betrag im Juni 2023 auf rund zwölf Milliarden Euro angehoben.

Im Raum steht zudem die Forderung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, bis 2027 über die Friedensfazilität weitere 20 Mrd. für Waffen an die Ukraine zu mobilisieren.

EU-Munitionsplan und ASAP-Verordnung: Neue Dimensionen

Im Juli 2023 trat dann als Teil des EU-Munitionsplans auch die "Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Förderung der Munitionsproduktion" (engl. ASAP) in Kraft.

Mit insgesamt einer Milliarde und 500 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt und ebenso viel von den Mitgliedsstaaten, sollen Maßnahmen wie die "Optimierung, Modernisierung, Verbesserung oder Umwidmung vorhandener oder die Schaffung neuer Produktionskapazitäten" im Bereich der Munitionsproduktion "sowie die Schulung von Personal" unterstützt werden.

Zeitlich ist das als Mittel der Industriepolitik deklarierte Instrument bis Ende 2025 befristet, finanziell geht es noch um relativ überschaubare Beträge und das Ganze ist bislang auch auf die Munitionsproduktion beschränkt.

Industriekommissar fordert Wechsel in Kriegswirtschaftsmodus

Aber dennoch greift die EU damit direkt als Akteurin in den Rüstungsproduktionsprozess ein, weshalb Industriekommissar Thierry Breton zu Protokoll gab, der Munitionsplan sei "beispiellos" und ziele darauf ab, "mit EU-Geldern den Ausbau unserer Verteidigungsindustrie für die Ukraine und für unsere eigene Sicherheit direkt zu unterstützen".

Um die Ukraine kurzfristig zu unterstützen, müssen wir weiterhin aus unseren Beständen liefern. Aber wir müssen auch die derzeitige Produktion neu priorisieren und sie vorrangig in die Ukraine leiten. (...)

Aber wenn es um die Verteidigung geht, muss unsere Industrie jetzt in den Kriegswirtschaftsmodus wechseln.

Thierry Breton, EU-Industriekommissar, euractiv

EDIRPA: Ein neuer Meilenstein in der EU-Rüstungspolitik

Als vierter zentraler Rüstungstopf existiert schließlich seit Oktober 2023 das "Instrument zur Stärkung der Europäischen Verteidigungsindustrie durch Gemeinsame Beschaffung" (engl. EDIRPA). Mit EDIRPA wird es nun erstmals möglich, auch länderübergreifende Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen mit insgesamt 500 Millionen Euro aus dem EU-Haushalt zu bezuschussen.

Wie schon den EVF und ASAP tarnt die Kommission auch EDIRPA als industriepolitische Maßnahme, obwohl auch hier der Ausbau militärischer Kapazitäten klar im Vordergrund steht.

Weiterer Türöffner für ehrgeizige Pläne

Auch wenn es hier ebenfalls erst einmal um vergleichsweise überschaubare Beträge mit einer Befristung bis Ende 2025 geht, gelang hier ein weiterer Türöffner, worauf auch Michael Gahler (CDU), der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, begeistert mit folgenden Worten hinwies.

Die heutige Abstimmung markiert einen historischen Moment für die EU-Verteidigung und schafft das erste EU-Instrument für die gemeinsame Beschaffung durch die Mitgliedstaaten. (…)

Angesichts einer historischen Krise kann EDIRPA jedoch nur ein Ausgangspunkt für eine weitaus ehrgeizigere gemeinsame Verteidigungsagenda sein.

Michael Gahler (CDU), außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion

Die Zukunft der EU-Verteidigungsindustrie: EDIS und EDIP

Trotz ihres bahnbrechenden Charakters sind ASAP und EDIRPA wegen ihrer diversen Beschränkungen noch nicht der ganz große Wurf. Der hätte eigentlich durch die Vorlage einer EU-Strategie für die Verteidigungsindustrie (engl. EDIS) und ein Europäisches Verteidigungsinvestitionsprogramm (engl. EDIP) bereits im November erfolgen sollen.

Aus ungeklärten Gründen kam es aber zu Verzögerungen, als neuer Termin wurde nun der 27. Februar 2024 angekündigt. Ziel scheint es dabei zu sein, die zeitlichen und teils funktionalen Beschränkungen von ASAP und EDIRPA mit den neuen Instrumenten zu beseitigen und für Rüstungsproduktion und -Beschaffung dann Beträge in einer ganz anderen Größenordnung zu mobilisieren.

Hierfür wird aktuell intensiv die Werbetrommel gerührt. Unklar ist, in welcher Giftküche der Vorschlag für einen EU-Rüstungstopf maßgeblich zusammengekocht wurde. Schon im Sommer letzten Jahres wurde aber zum Beispiel im Flaggschiff des deutschen außenpolitischen Establishments, der "Internationalen Politik", Folgendes gefordert:

Höhere Verteidigungsausgaben, gemeinsame Waffenlieferungen für die Ukraine, neue EU-Rüstungsinitiativen und ein klares, gemeinsames Bekenntnis zur Bündnis- und Landesverteidigung: Die Europäer haben ihre Verteidigungszusammenarbeit seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg zwar deutlich vertieft – doch für eine wirkliche Verteidigungswende bedarf es mehr. (…)

Die Schaffung eines schuldenfinanzierten EU-Sondervermögens nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds mag derzeit ebenfalls unrealistisch erscheinen. Dies könnte aber im Zuge der Diskussionen rund um den nächsten EU-Haushalt erneut in Erwägung gezogen werden.

Die US-Präsidentschaftswahlen 2024 könnten den nötigen Anstoß geben.

Nicole Koenig / Leonard Schütte: Verteidigungswende jetzt! Internationale Politik, 28.August 2023

Diskussionen um einen neuen EU-Rüstungsfonds

Ende November 2023 wurde dann im Handelsblatt berichtet, diese Idee werde inzwischen in Brüssel eifrig diskutiert:

Europa hat die Möglichkeit eines Trump-Comebacks lange verdrängt, doch inzwischen lässt sich das Risiko nicht länger leugnen. Hinter verschlossenen Türen wird in Brüssel deshalb diskutiert, einen neuen Milliardenfonds aufzulegen – nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbauplans "Next Generation EU". Der entscheidende Unterschied: Dieses Mal sollen die Mittel nicht in Klimaschutzmaßnahmen, sondern in die Aufrüstung fließen.

Handelsblatt, 27. November 2023

Thierry Bretons Vision eines massiven EU-Rüstungsfonds

Inzwischen wird die Idee auch von höchsten Stellen unterstützt, besondere Beachtung fand dabei die am 9. Januar 2024 erfolgte Äußerung von Industriekommissar Thierry Breton, er beabsichtige einen derartigen Fonds bei der Vorstellung von EDIS und EDIP vorzuschlagen – sogar ein genaues Preisschild lieferte er gleich mit:

Um sicherzustellen, dass die gesamte Industrie mehr und mehr zusammenarbeitet, brauchen wir Anreize (…). Ich glaube, dass wir einen riesigen Verteidigungsfonds brauchen, um zu helfen, ja sogar zu beschleunigen. Wahrscheinlich in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro. (...)

Nehmen wir an, Sie arbeiten zusammen, so wie wir es beim Europäischen Verteidigungsfonds (EVF) getan haben – vier Länder, verschiedene Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen -, dann können wir Ihnen helfen, das, was Sie tun werden, im Voraus zu unterstützen.

Thierry Breton, EU-Industriekommissar, 9. Januar 2024

Ob der Fonds tatsächlich vorgeschlagen wird, steht aktuell noch nicht fest – und selbst wenn sich die Kommission dafür einsetzt, heißt das noch lange nicht, dass die EU-Staaten sich mit dem Vorschlag anfreunden werden.

Finanzierung des EU-Rüstungsfonds: Eine offene Frage

Viel wird davon abhängen, woher das Geld stammen soll, mit dem der Fonds befüllt werden soll. Über eine diesbezüglich diskutierte Option findet sich ein Hinweis in einem Artikel des EU-Nachrichtenportals Euractiv mit Blick auf Bretons Aussagen:

Seine Äußerungen kommen im Vorfeld der neuen Europäischen Strategie für die Verteidigungsindustrie (EDIS), welche die EU-Kommission am 27. Februar vorschlagen wird. Diese soll die Produktionskapazitäten des Kontinents für Waffen und Munition stärken und Anreize für die grenzüberschreitende Produktion und Zusammenarbeit schaffen. (…)

Woher die 100 Milliarden Euro für den Rüstungsfonds kommen sollen, ließ Breton offen. Aus dem EU-Budget wohl kaum. In Brüssel spielt man mit dem Gedanken, die Europäische Investitionsbank einzuspannen, um private Investitionen zu hebeln.

Euractiv, 10. Januar 2024